Doping-Experimente im deutschen Fußball:Forscher erheben Doping-Vorwürfe gegen WM-Spieler von 1966

Nach dem umstrittenen Wembley-Tor ist die WM 1966 um einen Streitpunkt reicher: Historiker belegen, dass im deutschen Fußball bereits 1949 mit Doping experimentiert wurde - bei der WM 1966 wurden offenbar drei Nationalspieler positiv getestet.

Boris Herrmann

Schwer auszumalen, was jetzt los wäre, wenn die deutschen Fußballer das WM-Finale von 1966 tatsächlich gewonnen hätten. Bis hin zum Abzug britischer Diplomaten aus Berlin wäre eigentlich alles denkbar - wie gesagt, wenn die DFB-Elf damals in Wembley nicht ein berühmtes Gegentor selbigen Namens kassiert und am Ende 2:4 verloren hätte.

Doping-Experimente im deutschen Fußball: Drin oder nicht? Neben dem umstrittenen Wembley-Tor durch Geoff Hurst gegen die deutsche Nationalelf gibt es jetzt eine weitere Streitfrage: Waren drei deutsche Spieler gedopt?

Drin oder nicht? Neben dem umstrittenen Wembley-Tor durch Geoff Hurst gegen die deutsche Nationalelf gibt es jetzt eine weitere Streitfrage: Waren drei deutsche Spieler gedopt?

(Foto: ap)

Die Gastgeber aus England haben den Pokal bekanntlich selbst behalten dürfen, und deshalb hat man auf der Insel jetzt auch ganz gelassen und hübsch hämisch auf die Nachricht reagiert, dass mindestens drei deutsche Nationalspieler damals gedopt gewesen sein sollen. Der englische Weltmeister George Cohen stänkerte im Boulevardblatt The Sun: "Kein Wunder, dass die nicht erkannt haben, wo der Ball gelandet ist." Die Deutschen hätten damals wohl doppelt gesehen.

Man kann den Fall allerdings auch ernsthaft betrachten, vor allem entlang der Frage, weshalb er 45 Jahre lang verschwiegen wurde - bis eine Historiker-Kommission der Berliner Humboldt-Universität nun belastendes Material entdeckte. Demnach wusste zumindest ein hoher Funktionär des Weltverbandes Fifa von drei positiv getesteten deutschen Spielern in England.

Der Jugoslawe Dr. Mihailo Andrejevic, ein langjähriges Mitglied der Fifa-Exekutive und Vorsitzender des Medizinischen Komitees, schrieb am 29. November 1966 an den deutschen Mediziner und Leichtathletik-Funktionär Max Danz, die Kontrollen bei der WM seien grundsätzlich gut verlaufen, "wir hatten nur zum Schluss bei der deutschen Mannschaft bei drei Spielern sehr feine Zeichen von der Einnahme gewissen Ephedrinmittels gegen Schnupfen, entdeckt."

Nun kann im verregneten England jedem Mal die Nase triefen, aber sportrechtlich war das, was Andrejevic beschrieb, schon damals ein Dopingvergehen. Ephedrin stand unter "Drogen der Amphetamine-Gruppe" auf der Liste der verbotenen Medikamente. Einen Grenzwert gab es nicht, der Gebrauch hätte zumindest angemeldet werden müssen. Davon ist nichts bekannt. Andrejevic gibt in seinem Brief weder an, welche Spieler aus dem Team von Trainer Helmut Schön überführt wurden, noch ob es wirklich um das Endspiel gegen England oder um das Halbfinale gegen die Sowjetunion ging.

Fakt ist, dass die Fifa nie einen positiven Dopingfall im Zusammenhang mit der WM 1966 publizierte. Der Zeitzeuge Hans Tilkowski, der dem Wembley-Tor als DFB-Keeper am nächsten stand, sagte dieser Zeitung, er könne sich nicht mehr daran erinnern, ob es damals überhaupt Kontrollen gegeben habe.

Hat es aber - für zwei bis drei Spieler aus jedem Team nach jeder Partie. Die Fifa ließ bei der WM 1966 erstmals Urinproben analysieren, offenbar auch auf Druck einiger Mitgliedsverbände, die sich von dopenden Konkurrenten umzingelt sahen. So hat Uruguays Delegation laut Erkenntnissen der Historiker schon vor der WM 1962 einen Antrag gestellt, alle Spieler vor den Wettkämpfen testen zu lassen. Und wer bei diesem Turnier die sogenannte Horrorschlacht zwischen Chile und Italien gesehen hat, der ahnt, dass es gewiss keine schlechte Idee gewesen wäre. Zumal Kontrollen in der italienischen Liga in jener Zeit ergeben hatten, dass teilweise die Hälfte der dort tätigen Spieler Amphetamine konsumiert hatte.

Missbrauch von Amphetaminen in Deutschland wohl Normalität

Als erster offizieller Dopingsünder der Fußball-WM-Geschichte gilt bislang Haitis Ernst Jean-Joseph aus dem Jahr 1974. Die Recherchen der Berliner Historiker belegen nun erstmals schwarz auf weiß, was durch Zeitzeugenberichte schon lange vermutet werden darf: Der Mann aus der Karibik kann weder der Erste noch der Einzige gewesen sein.

Auch ein zweites Dokument, das die Wissenschaftler frisch aus den Tiefen der Archive geborgen haben, erhärtet den Verdacht, wonach der Missbrauch von Amphetaminen im Fußball - zumal in Deutschland - seit jeher zur Normalität gehörte. In einem Forschungsbericht, der der SZ vorliegt, wird ein Doping-Experiment im deutschen Oberliga-Fußball aus dem Jahr 1949 beschrieben. Der Sportlehrer und Mediziner Heinz-Adolf Heper, damals beim 1. SC Göttingen 05 in der höchsten westdeutschen Spielklasse aktiv, berichtet in seiner Dissertation mit dem Namen "Leistungssteigerung durch chemische Hilfsmittel im Sport" von einem eigens durchgeführten Feldversuch mit dem aus Kriegszeiten hinlänglich bekannten Aufputschmittel Pervitin, das Heper als "typisches Dopingmittel" jener Zeit bezeichnet.

Er verabreichte den Göttinger "Fußballsportlern" offenbar eine Dosis von je 10 Milligramm, verzeichnete positive Wirkungen wie die "Erhöhung des Siegeswillens" oder eine "schnellere Auffassungsgabe", beobachtete aber auch "unangenehme Nebenwirkungen" wie Luftmangel und erhöhte Ventilation - alles in allem diagnostizierte er eine "große Gefahr für den Sportsmann". Ob er seine Mitspieler und Testpersonen vorher wenigstens über das Experiment aufgeklärt hatte, verschwieg Heper allerdings.

Kann es noch Zufall sein, dass sich nun von den Experimenten Hepers über den Spritzen-Einsatz im DFB-Lager bei der WM 1954 (angeblich mit Vitamin C, mutmaßlich mit Pervitin) bis zu den Amphetamin-Spuren 1966 allmählich eine lückenlose Zeitleiste der Entwicklung von Doping im Fußball zu ergeben scheint? Juristisch mögen all diese Fälle längst verjährt sein, aber wäre es für die Fifa und den DFB nicht trotzdem an der Zeit, sich mit diesen Vorwürfen ernsthaft zu befassen?

Der DFB teilte den Historikern auf Anfrage mit, dass er keine Akten zum Thema "Doping in den 1960er-Jahren" bereithalte.

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