Doping im Fußball:"Der Fußball hat definitiv ein Dopingproblem"

WM 1994 - Diego Maradona

Der wohl bekannteste Dopingfall im Fußball: Diego Armando Maradona bei einer Dopingprobe während der WM 1994 in den USA. Der Argentinier wird später positiv getestet und für 15 Monate gesperrt.

(Foto: dpa)

Weil er als Ex-Profi einen besonderen Zugang hat, verfasst Lotfi El Bousidi eine einmalige Studie zum Thema Doping im Fußball. Die Zahl der dopenden Spieler ist erschreckend, das Interesse der Fifa gering.

Interview von Max Ferstl

Lotfi El Bousidi war Fußballer. Für die große Karriere reichte es nicht, er spielte für die zweite Mannschaft von Mainz 05 und später in der vierten spanischen Liga für CD Torrevieja. Doch El Bousidi sah, dass im Fußball etwas schiefläuft; dass es ein Problem gibt, das stets kleingeredet wird. El Bousidi studierte nach seinem Karriereende 2010 Wirtschaftswissenschaften und beschäftigte sich für seine Diplomarbeit im Fach Statistik mit diesem Problem. Das Thema seiner Arbeit: "Eine Analyse des Dopingverhaltens im professionellen Fußball mit Hilfe der Randomized Response Technik". Anonym gaben dabei viele Fußballer zu, gedopt zu haben. Ein Gespräch über das gerade wieder sehr populäre Märchen, im Fußball werde nicht gedopt - und über eine fragwürdige Reaktion der Fifa.

SZ: Niko Kovač, der Trainer des Bundesligisten Eintracht Frankfurt, hat vor ein paar Wochen gesagt, dass Fußball ohne Schmerzmittel nicht gehe. Was halten Sie von so einer Aussage?

El Bousidi: Kovač hat auf Blessuren angespielt. Da gibt es natürlich viele Dinge, die sich mit einem Schmerzmittel beheben lassen. Das hat erst mal nichts mit Doping zu tun. Ich habe mir einmal die Nase gebrochen und vier Tage später wieder gespielt. Dahinter steckt aber eine problematische Denkweise: Die Vereine versuchen, Spieler fit zu kriegen, und Spieler wollen unbedingt spielen. Also auch dann, wenn der Körper eigentlich eine Pause bräuchte. Der Druck innerhalb einer Fußballmannschaft ist enorm. Zu meiner aktiven Zeit gab es meist vier andere, die auf meine Position gedrängt haben. Da versuchst du natürlich alles, dass es irgendwie geht, auch über die Schmerzgrenze hinaus. Spieler entwickeln oft einen falschen Ehrgeiz.

Sie haben im vergangenen Jahr ihre Diplomarbeit veröffentlicht, in der 150 Profifußballer anonym über Dopingpraktiken befragt wurden. Zwischen 14 und 29 Prozent gaben zu, zu verbotenen, leistungssteigernden Mitteln zu greifen. Haben Sie Ihre Ergebnisse überrascht?

Nicht wirklich, ich war selbst Profi und habe natürlich mit Spielern über das Thema gesprochen. Im Grunde haben sich meine Vermutungen bestätigt. Erschrocken hat mich eher die Zahl der Tests, beziehungsweise der nicht erfolgten Tests. 43 Prozent gaben an, in der laufenden Saison kein einziges Mal getestet worden zu sein. Ein Spieler in Deutschland absolviert pro Saison 34 Ligapartien plus Pokal - das ist ein Witz. Ein System, das so löchrig ist, verleitet natürlich dazu, mal zu einem verbotenen Mittel zu greifen, besonders wenn man verletzt ist. Die Chance, erwischt zu werden, ist verschwindend gering.

Die Aussage der Studie ist deutlich: Der Fußball hat ein Dopingproblem. In Deutschland zum Beispiel sind Ihrer Berechnung nach zwischen 10 und 35 Prozent der Spieler gedopt.

Der Fußball hat definitiv ein Dopingproblem, das sollte man auch ernst nehmen. Fußball ist zwar unheimlich populär, aber auch der Radsport war mal richtig groß. Heute will das keiner mehr sehen. Das war ja auch ein Grund für die Studie: Ich will den Fußball nicht in ein schlechtes Licht rücken oder irgendjemanden an den Pranger stellen, sondern einen Denkanstoß geben. Zeigen, dass sich etwas ändern muss.

Wie fielen denn die Reaktionen aus?

Ich habe viele positive Zuschriften bekommen, auch von Fifa-Funktionären. Einer meinte sogar, ich hätte "Rückgrat" bewiesen. Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass das Thema so gepusht wird. Viele Zeitungen haben sich gemeldet, auch die Vereinigung für Vertragsfußballer, die viel für Dopingprävention tut. Es ist wichtig, dass das Thema stärker die Öffentlichkeit kommt. Nur so entsteht Druck auf die Verantwortlichen, nur so kann sich etwas verändern.

Ein "dilettantisch untersuchtes Doping-Phänomen"

Keine Nestbeschmutzer-Vorwürfe? So mancher ist mitunter sehr empfindlich, wenn es um seinen heiligen Fußball geht.

In den Kommentarspalten unter den Artikeln gab es schon welche, die das nicht wahrhaben wollten. "Der hat ja nur 150 befragt, das heißt nicht viel", solche Sachen. Es stimmt, die Stichprobe war klein, deswegen ist die Streuung relativ groß. Ich weiß aber, dass meine Daten valide sind. Um ein genaueres Bild zu bekommen, müsste man eine größere Untersuchung machen.

Ist in der Richtung etwas geplant? Hat sich zum Beispiel von der Fifa oder vom DFB jemand gemeldet?

Nein, leider nicht. Dafür Perikles Simon, der vor allem in der Leichtathletik viel über Doping geforscht hat. Wir hatten die Idee, eine ähnliche Studie in großem Stil aufzuziehen. Das Problem: Die Ethik-Kommission der Fifa müsste zustimmen und die hat kein Interesse. Eine Anfrage ist im Sande verlaufen. Über das Thema wird nicht gerne gesprochen.

Sie schreiben von einem "dilettantisch untersuchten Doping-Phänomen" im Fußball. Was heißt das konkret?

Als ich mit meiner Studie begonnen habe, habe ich festgestellt, dass es so gut wie keine Forschungsliteratur oder vergleichbare Studien gibt. Der Grund dafür wurde mir auch schnell klar: Es gab viele Vereine, die sofort abgewinkt haben. Nach dem Motto: Mit Doping wollen wir nichts zu tun haben. Für "normale Leute" ist es quasi unmöglich, so eine Studie durchzuführen. Sie kommen nicht an die Profis ran, die sie befragen wollen. Ich kannte aus meiner aktiven Zeit viele Spieler, die dann wieder welche kannten und so weiter. Ich konnte auch anders mit ihnen sprechen als ein Reporter, das war eine andere Ebene. Mir haben anschließend viele geschrieben, zum Beispiel von der Sporthochschule in Köln, die auch gerne so eine Studie gemacht hätten, aber keinen Zugang bekamen.

Sie haben in der Studie Fußballer aus drei Ländern befragt: Deutschland, Schweden und Spanien. Dabei ergibt sich ein klares Ranking: In Schweden geht es scheinbar vorbildlich zu, in Deutschland schon weniger und Spanien...

...ist eine Katastrophe. In Mainz zum Beispiel war die Aufklärung sehr gut. Ich kann mich noch an die Schulungen erinnern. Als ein Arzt uns erklärte, welche Mittel wir nehmen dürfen, wenn uns zum Beispiel abends schlecht wird. In Spanien gab es so etwas nicht. Höchstens, wenn du mal nachgefragt hast. Aber ein Spieler fragt in der Regel nicht nach. Er nimmt das, was ihm der Arzt gibt. Er will ja nur so schnell wie möglich wieder auf den Platz.

Haben Sie in Ihrer Karriere selbst Erfahrungen mit fragwürdigen Praktiken gemacht?

In Spanien hatte ich einmal Grippe, Fieber. Der Arzt legte mir eine Infusion, drei Tage später konnte ich spielen. Ob es Doping war oder nicht, weiß ich nicht. Aber nach der Karriere überlegst du dir dann schon: Was war das? Jeder Arzt sagt dir, dass du bei Grippe auf keinen Fall Sport machen sollst, weil das aufs Herz gehen kann.

In Spanien gaben 62,5 Prozent der Spieler an, nicht ausreichend über die Dopingverordnungen der Wada Bescheid zu wissen, in Deutschland waren es immerhin noch 37,5. Wird Doping nicht ernst genug genommen?

An der Stelle müsste dringend etwas passieren. Die Dopingliste muss sitzen, schon im Jugendbereich. Die Liste muss wahrscheinlich auch verständlicher werden. Es gibt viele Fachbegriffe, mit denen nicht jeder etwas anfangen kann. Mehr Prävention, mehr Tests. Die Spieler müssen wissen, dass regelmäßig und viel getestet wird. Das würde sicherlich viele davon abhalten, mit verbotenen Mitteln nachzuhelfen. Erwischt und gesperrt will schließlich keiner werden. Kontrolle klingt immer so negativ, aber manche Dinge muss man einfach kontrollieren, sonst passiert nichts.

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