Doping im Fußball:Alles sauber, ganz bestimmt

EURO 2012 - Mehmet Scholl Reinhold Beckmann

ARD-Fußballexperte Mehmet Scholl glaubt nicht an Doping im Fußball - liegt er damit richtig?

(Foto: dpa)

Wenn die Fußballbranche über Doping redet, klingt es, als sei sie in den späten Siebziger- oder frühen Achtzigerjahren stehen geblieben. Manche Aussagen mögen gezielte Beschwichtigung sein - Vieles ist wohl schlicht Ignoranz.

Kommentar von Claudio Catuogno

Der Fußball der späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre: Das war im Vergleich zu heute noch eine zügellose Veranstaltung. Statt wissenschaftlicher Ernährungspläne gab es in der Halbzeitpause schon mal eine Zigarette. Ein gut gezapftes Pils galt als das beste isotonische Getränk. Und um andere Ausschweifungen, nennen wir sie mal jene im außerehelichen Bereich, musste von den umschwärmten Kickern auch kein großes Geheimnis gemacht werden. Die Sportjournalisten - ältere Kollegen erinnern sich mit einem Schaudern - wussten oft alles, aber schrieben es nicht. Die Wahrheit lag ja auf dem Platz.

Es waren andere Zeiten. Es waren jene Zeiten, in denen der Freiburger Sportmediziner Armin Klümper Päckchen mit Anabolika an den VfB Stuttgart schickte.

Es braucht meist einen äußeren Anlass, damit der Fußball sich mal wieder ein paar Tage mit dem Thema Doping befasst. In dieser Woche waren Erkenntnisse über Anabolika-Lieferungen an Fußballklubs dieser Anlass. Helden von damals meldeten sich zu Wort, plötzlich unter Rechtfertigungsdruck. Sie erzählten von Spritzen, bei denen sie nicht wussten, was genau drin war. Nur, dass es Doping war, wollten sie ausschließen. Und es meldeten sich Ärzte, die seinerzeit praktizierten. Anabolika? Ja, vielleicht sei das mal vorgekommen. Aber bestimmt nicht zur Leistungssteigerung. Nur zu therapeutischen Zwecken.

Man muss diese Geschichten im Kontext ihrer Zeit sehen. Natürlich war Doping schon damals verboten - auch in der Reha, im Training, zu vermeintlich therapeutischen Zwecken. Aber die Regeln waren noch nicht so präzise formuliert. Kontrollen gab es kaum. Und vor allem waren weder Fußballer noch Publikum dafür sensibilisiert, wo die Grenze verläuft. Paracetamol, Cortison, Captagon, Megagrisevit - wer will das auseinanderhalten? "Läufst du wie ein Stümper, musst du mal zum Klümper" - das war der geflügelte Spruch damals. Der Klümper spritzte dann was. Damit man schneller fit wurde.

Und wie ist der Fußball heute?

Zumindest darf er nicht mehr so zügellos wirken. Die Kicker sind immer noch umschwärmt, aber hinter jeder Ecke wartet der potenzielle Leserreporter mit der Smartphone-Kamera. Am besten, man bestellt in der Öffentlichkeit nur noch stilles Wasser. Sonst heißt es gleich: Man nimmt das Spiel am Samstag nicht ernst. Es hat sich im Grunde alles geändert. Nur eines nicht: Wenn die Fußballbranche heute über Doping redet, klingt es, als sei sie in den späten Siebziger- oder frühen Achtzigerjahren stehen geblieben.

Befragt wurden unter anderem: Jürgen Klopp, Mehmet Scholl, Robin Dutt, Guido Buchwald, Paul Breitner. Im Kern sagten sie, Doping im Fußball bringe nichts oder mache Spieler sogar schlechter. Wenn es überhaupt vorgekommen sei, dann nur in der Vergangenheit. Heute sei alles sauber, ganz bestimmt.

Manches an diesen Statements mag gezielte Beschwichtigung sein. Vieles ist wohl schlicht Ignoranz. Dass sich auch Nationalspieler vollgepumpt mit (erlaubten) Schmerzmitteln in die Schlacht werfen - eine Selbstverständlichkeit! Aber die Verlockung, in diesem immer körperlicher, immer athletischer werdenden Spiel auch mit anderen (verbotenen) Mitteln zu bestehen - angeblich kein Thema! Der Fußball von heute ist das Zentrum des modernen Kommerzsports, aber vor dessen allgegenwärtigen Begleiterscheinungen fühlt er sich seltsam gefeit.

Am leichtesten ist die Realität halt zu ertragen, wenn man sich gar nicht erst mit ihr beschäftigt.

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