Doping im DDR-Sport:Der Täter spricht von Sorgfaltspflicht

Krebs, Leberschäden, Unfruchtbarkeit: Wenn Ex-Funktionär Köhler nun das DDR-Doping verharmlost, ist das nicht nur für die Opfer ein Ärgernis.

Claudio Catuogno

Zum Beispiel Gerd Jacobs. 50 Jahre alt. Invalide. In seiner Brust schlägt ein Spenderherz, das eigene hat schlappgemacht, ohne das fremde wäre Jacobs jetzt tot. Früher, in der DDR, war er Kugelstoßer. Sein Trainer hieß Werner Goldmann, der gleiche Werner Goldmann, der heute den Diskus-Weltmeister Robert Harting betreut.

Doping im DDR-Sport

Die DDR-Mannschaft zieht 1980 bei den Olympischen Winterspielen von Lake Placid ins Stadion ein. Heute ist bekannt, dass Doping damals Teil des Systems war.

(Foto: dpa)

Bis zu vier Tabletten Oral-Turinabol, das war Jacobs' tägliche Anabolika-Dosis, dazu Infusionen, bis heute weiß er nicht, was da drin war. Sein kaputtes Herz hat er in ein Paket gepackt und einem Experten geschickt, er sucht nach der letzten Gewissheit, was es ruiniert hat. Was der Grund dafür ist, dass es für ihn keinen Tag ohne Schmerzen gibt.

Ärgernis statt großer Leistung

Was soll Gerd Jacobs jetzt damit anfangen, wenn einer, der sich das DDR-Staatsdoping damals mit ausgedacht hat, zwanzig Jahre nach der Wende ein Buch schreibt und darin zwar zugibt: Ja, wir haben gedopt, aber gleichzeitig behauptet: Eine "sachgerechte und medizinisch kontrollierte Anwendung ausgewählter Dopingmittel" sei das damals gewesen, alles unter "strengster Beachtung der ärztlichen Sorgfaltspflicht" und natürlich im Einvernehmen mit den Athleten?

Das Spätwerk des 70-jährigen Thomas Köhler, einst Vizepräsident des DDR-Sportdachverbands, hat 232 Seiten, 20 davon widmet er dem Thema Doping, und die Botschaft ist: Es war nicht alles schlecht! Aus Sicht der Täter mag das eine nachvollziehbare Perspektive sein, niemand blickt ja gern auf sein Leben zurück mit dem Fazit: Doch, im Kern war es schlecht, gemessen an den Folgen war es schlecht, und wenn man ethische Standards heranzieht, war es unverantwortlich. Aber für die Opfer des DDR-Dopingsystems müssen die Worte wie eine weitere, späte Verhöhnung klingen.

Krebs. Leberschäden. Kaputte Gelenke. Unfruchtbarkeit. Oder missgebildete Kinder. Die Folgen der anabolen Jahrzehnte im Sport (in Ost und West, da hat Köhler recht) sind zu offenkundig, als dass "Sorgfaltspflicht" dafür eine angemessene Bezeichnung sein könnte. Rund 200 ehemalige Spitzensportler sind vom Staat als DDR-Dopingopfer anerkannt und entschädigt worden. Viele weitere begreifen jetzt erst, dass ihre Leiden mit den Pillen zu tun haben könnten, die sie einst zugesteckt bekamen, und die angeblich bloß Vitamine enthielten.

Es ist deshalb keine Leistung, wenn Thomas Köhler jetzt etwas zugibt, das ohnehin längst aktenkundig ist. Es ist ein Ärgernis, wenn eine Figur wie er mehr zur Geschichtsklitterung beiträgt denn zur historischen Aufarbeitung.

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