Doping:Doping-Freigabe ist Beihilfe zu Mord und Massenverstümmelung

Doping: Eine Doping-Freigabe wäre das Ende des Sports- nicht nur des Leistungssports.

Eine Doping-Freigabe wäre das Ende des Sports- nicht nur des Leistungssports.

(Foto: AFP)

Nein, das Anti-Doping-System funktioniert nicht. Aber es abschaffen? Wer einmal ein staatlich anerkanntes Dopingopfer besucht hat, bekommt bei dieser Forderung das Grausen.

Kommentar von Claudio Catuogno

Das war schon ein bitterböser Satz, den der Diskus-Olympiasieger Robert Harting aus Berlin über den IOC-Präsidenten Thomas Bach gesagt hat: "Er ist für mich Teil des Doping-Systems, nicht des Anti-Doping-Systems." Natürlich war Bach empört. Der Vorwurf stimmt ja auch nicht. Richtig ist: Bach ist Teil eines gigantischen Doping-Verharmlosungs- und Vertuschungs-Systems.

Nichts anderes ist nämlich das Anti-Doping-System, das der Sport sich so viele Millionen kosten lässt. Selten ist das so deutlich geworden wie in diesen Tagen, in denen russische Sportler dem IOC beweisen sollen, dass sie "sauber" sind - durch Dopingproben, die außerhalb Russlands analysiert wurden, also außerhalb des dort gerade enttarnten Staatsdoping-Systems. Dabei weiß inzwischen fast jeder, dass Dopingtests überall auf der Welt nur einen kleinen Teil der verbotenen Substanzen enttarnen. Dass im Training gespritzte Mikro-Dosen im Wettkampf längst abgebaut sind. Dass also das Anti-Doping-System die einzige Frage, die es beantworten soll - wer ist sauber, wer betrügt -, nicht beantworten kann. Das zu leugnen, heißt dem Publikum etwas vorzumachen. Wie Bach gerade mit seiner Meister-Proper-Show.

Wie vielen Sportlern wird der russische Medaillen-Staatsplan vorzeitig das Leben kosten?

Tatsächlich könnte man die Millionen sinnvoller ausgeben als für ein untaugliches Kontrollsystem - und Doping einfach freigeben. Oder nicht?

Wer einmal einen Tag im Wohnzimmer eines staatlich anerkannten Dopingopfers verbracht hat, bekommt bei dieser gerne so dahingesagten Forderung einen Schauder. Dopingopfer trifft man oft in ihren Wohnzimmern an, sehr viel weiter tragen sie ihre kaputten Gelenke nicht mehr, oder sie sind dort ans Dialysegerät angeschlossen. Die Kollateralschäden des Medaillenwahns - alleine die DDR hat wohl mehrere Tausend hinterlassen. Wie vielen Sportlern wird der russische Medaillen-Staatsplan dereinst vorzeitig das Leben kosten? Das ist der viel zu wenig thematisierte Aspekt der gegenwärtigen olympischen Vertrauens-Krise, übrigens nicht nur in Russland.

Wenn der instrumentalisierte Sport schon heute derart skrupellos seine Talente verheizt - wie ungezügelt würde gespritzt, wenn alle Grenzen fielen? Und wann ginge es los? Im Kindergarten? Nicht überall könnten Eltern sich dagegen wehren, dass Späher ihre Kinder als Goldhoffnungen ausmachen. Um es mal drastisch zu formulieren: Dopingfreigabe ist bloß ein anderes Wort für Beihilfe zu Mord und Massenverstümmelung.

Es wäre das Ende des Sports. Nicht des Sports als kommerzielles Spektakel: Ein Publikum würde sich schon finden auch für das perverseste Muskel-Olympia, so wie sich auch für Wrestling oder Ultimate Fighting Tickets und Sendezeiten verkaufen lassen. Aber es wäre das Ende des Sports als Körperkultur, als gesellschaftliche Massenbewegung, bei der Olympia die Spitze der Pyramide ist und der Sportunterricht in der Schule oder das Jugendtraining im Verein das Fundament.

Es gibt eine Menge auch demokratischer Länder, in denen der Rechtsstaat nicht funktioniert, weil die Korruption stärker ist oder die Verwaltung kollabiert. Trotzdem fordert niemand: Lassen wir es halt, viel zu mühsam, dieser Rechtsstaat, und machen Anarchie! Für manche Dinge lohnt es sich zu kämpfen. Zum Beispiel für eine Welt, in der man seine Kinder zum Sport schicken kann, und wenn sie sehr talentiert und sehr, sehr fleißig sind, schaffen sie es zu Olympia und kommen gesund zurück. Das Problem ist, dass Leute wie Thomas Bach, die die Macht haben, nicht mitkämpfen. Sondern so tun, als sei dieser Zustand schon die Realität. Dabei ist er derzeit mehr Utopie denn je.

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