Doping:Ein Sumpf, in dem nicht nur Biathlon versinkt

ARD: 30 Sportler sollen Kunden von Wiener Blutbank sein

Der Biathlon-Skandal könnte sich auf viel mehr Sportarten ausweiten.

(Foto: dpa)
  • Stimmenkäufe, Jagdausflüge, Escort-Abenteuer: Die Zustände an der Spitze des Biathlon-Weltverbands sollen abenteuerlich gewesen sein.
  • Doch die Affäre um vertuschte Dopingproben hat ein viel größeres Ausmaß: 60 internationale Sportverbände schlagen sich seit Dezember mit brisanten Dopingdaten in ihren Sportarten herum - bisher in aller Stille.
  • Das wirft neue Fragen auf: Waren bei Olympia in Pyeongchang Sportler dabei, die man schon hätte sperren können?

Von Thomas Kistner

Der Biathlon-Weltverband IBU löst sich gerade in seine Einzelteile auf, österreichische Strafbehörden ermitteln zu zwei brisanten Themenkomplexen: Doping und Korruption. Vor einigen Tagen gab es Razzien am IBU-Hauptsitz in Salzburg, dazu in Bayern und in Norwegen; im Fokus der Ermittlungen stehen die langjährige IBU-Spitze sowie zehn weitere Personen, denen angelastet wird, mutmaßliche Dopingfälle vertuscht zu haben. Und der organisierte Sport verfolgt die Vorgänge wie stets: mit gesammeltem Schweigen.

Hinter den Kulissen dürften die Aktivitäten indes enorm sein. Der Schlag gegen die internationale Biathlon-Führung beruht auf der Vorarbeit einer neuen, bisher erstaunlich autark wirkenden Ermittlungseinheit der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada: Die Abteilung Intelligence and Investigations (I&I) erhielt im Herbst 2017, wohl über einen Whistleblower, die sogenannte "Lims"-Datenbank des Moskauer Dopinglabors zugespielt - zur Auswertung: einen Datensatz mit allen dort gefertigten Dopingproben seit 2012. Darunter gewiss viele, aber nicht nur russische Athleten.

Schon im November waren die Ermittler unter Leitung des früheren bayerischen LKA-Fahnders Günter Younger so weit, ein 16-seitiges Dossier zu den Missständen in der Skijäger-Welt herauszugeben - an die für die IBU zuständigen Behörden in Österreich. Das aber ist nur die Spitze des Eisberges. Tatsächlich fanden die Ermittler rund 9000 auffällige Befunde quer durch die Sportwelt. Die Wada wollte diese Größenordnung, die die ARD am Sonntag vermeldet hatte, auf SZ-Anfrage weder bestätigen noch dementieren. Mitgeteilt hat sie aber eine andere Dimension der weitflächigen Pharmaverseuchung: "Rund 60 internationale Verbände" umfasse der ganze Sumpf, hieß es am Montag auf SZ-Anfrage.

Welche Verbände sind eigentlich nicht betroffen?

60 Verbände, Winter- wie Sommersportarten - da stellt sich die Frage, welche Disziplinen eigentlich nicht betroffen sind. Neu ist das aber nur für die Öffentlichkeit - die betroffenen Spitzenverbände, so die Wada weiter, wüssten schon seit gut vier Monaten davon. "Das I&I-Team hat sich am 17. Dezember 2017 mit den Internationalen Verbänden, dem Internationalen Olympischen Komitee und dem Internationalen Paralympic-Komitee getroffen, um ihnen Lims-Daten aus dem Moskauer Labor zu geben, die Urinproben mit auffälligen Befunden enthielten. Diese Organisationen untersuchen nun alle Daten, und das I&I-Team erwartet ihre Schlussfolgerungen, ob sie (...) Fälle gegen Athleten einbringen wollen." Hart mit Dopern zu verfahren, wäre dem IOC und den Verbänden anzuraten - auch das lässt die Wada anklingen: "Die Wada ist verpflichtet, jeden einzelnen Fall zu prüfen und gegebenenfalls ihr unabhängiges Recht auf Berufung beim Sportschiedsgericht auszuüben."

60 internationale Verbände schlagen sich also seit Dezember mit brisanten Dopingdaten in ihren Sportarten herum - bisher in aller Stille. Obwohl ja in dieser Zeit, im Februar 2018, auch die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang stattfanden. Das wirft neue Fragen auf: Waren dort Akteure zugange, die man aufgrund der im Dezember von der Wada vorgelegten Daten schon hätte sperren können? Die Wiener Behördensprecherin Ingrid Maschl-Clausen verweist auf SZ-Anfrage darauf, dass die Dopingermittlungen neben den beiden IBU-Spitzenleuten, Präsident Anders Besseberg (Norwegen) und Generalsekretärin Nicole Resch (Deutschland), auch "Betreuer und Sportler des russischen Biathlon-Teams wegen der Anwendung verbotener Substanzen bzw. Methoden zum Zweck des Dopings" betreffen. Diese Vorgänge reichen im Kern sogar bis kurz vor die Pyeongchang-Spiele: Im Fokus der Ermittler ist die Biathlon-WM 2017 im österreichischen Hochfilzen.

Insider-Berichte über Escort-Abenteuer von Besseberg

Alle Fragen offen: wie stets, wenn sich der Spitzensport mit seinem Systemproblem herumschlägt. Auch der Dopingskandal um die (vorläufig ausgemusterten) IBU-Granden Besseberg und Resch köchelt vor sich hin. Während der verbliebene Vor- stand am Sonntag per Dringlichkeits-Meeting die Aufgaben umverteilte, verdichten sich die Hinweise, dass Besseberg und seine deutsche Getreue ein Doppelleben an der Verbandsspitze geführt haben könnten. Zwar weisen sie Fehlverhalten zurück, doch die im Wada-Report dargelegte Verdachtslage passt zu sehr vielem, was aus dem Arbeitsumfeld der IBU dringt.

Demnach soll Resch, die das Generalsekretariat 2008 aus der Assistentenrolle übernahm, in der Zentrale eine bald immer umfassendere Alleinkontrolle ausgeübt haben; gerade auch im Umgang mit Dopingfragen. Die Wada-Ermittler sehen die Deutsche, der auch das Blutpass-Programm unterstand, als Vertuscherin und "starke Verteidigerin russischer Interessen"; sie habe "fast autonome Kontrolle" über den Anti-Doping- Bereich ausgeübt und nachgeordnete Mitarbeiter dort "aktiv" rausgehalten - so steht es im Report für die Behörden.

Verdächtiges Votum für Biathlon-WM 2021

Und Besseberg? Auch hier stützt das Dossier viele Insider-Berichte. Die Rede ist von Stimmkäufen, vielzähligen Jagdausflügen und notorischen Escort-Abenteuern. Dieser Teil der Affäre dürfte ebenso noch an seinem Beginn stehen wie andere Korruptionsfragen. So hat Besseberg in seinem IBU-Vorstand Anfang des Jahres nur mit Mühe die Bestätigung durchgeboxt, dass das Weltcup-Finale im März, der russischen Doping-Staatsaffäre zum Trotz, im russischen Tjumen stattfand. Insider berichten von einem 4:4-Vorstandsvotum. In dieser Patt-Situation habe dann, wie in anderen Verbänden auch, die Stimme des Präsidenten den Ausschlag gegeben. Vermeldet wurde indes, dass der Beschluss in einem demokratischen Prozess gefallen sei. Interessant könnte das noch werden, weil im Wada-Dossier - das sich ja ganz auf Zeiträume vor dieser Tjumen-Abstimmung bezieht - von Zahlungen an "nicht bekannte" IBU-Vorstände die Rede ist, abgestuft von 25 000 bis 100 000 Dollar.

Dass die in der Biathlon-Affäre Beschuldigten ihr Schweigen brechen, ist vorläufig so wenig zu erwarten wie ein klärendes Wort vonseiten der 60 internationalen Verbände, die diskret mit ihren Daten ringen. Aber die Wada hat sich positioniert. Sie will nicht ewig warten, und notfalls dort auf Dopingverfahren drängen, wo Funktionäre in bewährter Manier nach Ausflüchten suchen - um Publikum und Geldgeber nicht allzu sehr zu verschrecken. Letztere, die Geldgeber, sind aber jetzt unmittelbar in der Verantwortung. Auch hierzulande, wo Biathlon der deutschen Fernsehzuschauer liebster Wintersport ist. Gern wurde ja betont, dass es harte Anti-Doping-Klauseln in öffentlich-rechtlichen TV-Verträgen gebe. Deshalb könnte, was der dopingverseuchte Radsport einst erlebt hatte, demnächst auch den Wintersport erfassen.

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