Doping bei Olympia:Klammern an die Illusion

Sotschi 2014 - Biathlon

Positiv auf Doping getestet: die deutsche Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle

(Foto: dpa)

Um ein Haar wäre in Sotschi angesichts all der Empörung über Trauerflor-Verbote und Putin-Kungelei ein weiteres Übel in den Hintergrund gerückt: Doping. Der Fall Evi Sachenbacher-Stehle sieht nun wie ein Erfolg fürs Testsystem aus - ist er aber nicht.

Ein Kommentar von Claudio Catuogno

Weggesperrte Umweltschützer, zwangsumgesiedelte Anwohner, ausgebeutete Bauarbeiter, gefälschte Fernsehbilder, homophobe Gesetzgebung, Propaganda. Die Spiele von Sotschi hatten viele unerfreuliche Aspekte. Und selbst wenn die Probleme fast alle im Ausrichterland wurzelten, in Putins scheindemokratischem Riesenreich, so haben sie doch auch etwas über den Sport erzählt: Weil das Internationale Olympische Komitee (IOC) konsequent den Eindruck erweckt hat, all das gehe den Sport gar nichts an.

Das ist natürlich durchschaubar gewesen. Die Aufregung hatte aber einen fürs IOC angenehmen Nebeneffekt. Um ein Haar wäre angesichts all der berechtigten Empörung über Trauerflor-Verbote und Putin-Kungelei ein weiteres Übel arg in den Hintergrund gerückt. Eines, das man nach der Schlussfeier am Sonntag nicht einfach in Sotschi zurücklassen kann wie planierte Berge oder Aktivisten in Lagerhaft. Eines, das den modernen Leistungssport von innen heraus zerfrisst. Doping eben.

Doping bedroht den Mythos vom sauberen Ski-, Lauf- und Sprung-Helden, auf dem das Milliardengeschäft Olympia gründet, im Kern. Insofern das Publikum davon erfährt. Aber dafür gibt es ja Dopingtests, nicht wahr?

Mehr Tests, kaum Dopingfälle

Frage an Arne Ljungqvist vor einigen Tagen, den Chef der medizinischen Kommission des IOC: So viele Tests bei den Sotschi-Startern, mehr als 2000, aber bis kurz vor Spiele-Schluss kein einziger Fall - ist das nicht irgendwie seltsam? Nein, gab Ljungqvist zur Antwort, "das ist keine Überraschung. Ich hatte nicht vermutet, dass die Leute hier betrügen". Doping bei Olympia? Kaum vorstellbar, behauptete Ljungqvist. Wo doch "unser System so abschreckend ist".

Abschreckend? Dass die meisten verbotenen Schnellmacher gar nicht detektiert werden können, dass Mittel im Umlauf sind, die von skrupellosen Chemikern gezielt am Dopingsystem vorbei entwickelt werden - das weiß spätestens seit Marion Jones (Leichtathletik) und Lance Armstrong (Radsport) auch ein breiteres Publikum. So ein Satz also, dahingesprochen von einem, der im IOC für den Anti-Doping-Kampf zuständig ist, so ein Satz über die angeblich sauberen Spiele: Er ist nicht minder dreist als die Behauptung, ein russischer Umweltschützer, der wegen Olympia-Protesten in Lagerhaft muss, habe "nichts mit Olympia zu tun".

Der Unterschied: Lagerhaft ist Lagerhaft. Ein zerstörter Wald ist zerstört. Aber Sport ist Show, Emotion, Leidenschaft. Wenn es um Doping geht, klammert sich selbst der Putin-Kritiker auf dem Fernsehsessel daheim gern an die Illusion von den sauberen Medaillengewinnern. Und warum auch nicht? So wenig wie in Sotschi ist bei Olympischen Spielen seit Ewigkeiten nicht mehr über Doping gesprochen worden.

Wenn Evi Sachenbacher-Stehle nun über einen verunreinigten Energieriegel oder ähnliches stolpert, sieht das wie ein Erfolg fürs Testsystem aus. Wie ein dummer Einzelfall. Verunreinigte Energieriegel sind aber nicht die Art von Doping, die man immer mitdenken muss, wenn man sich mit den olympischen Extremleistern befasst. Mit den russischen, weißrussischen, amerikanischen, deutschen und so weiter.

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