Domenico Tedesco im SZ-Interview:"Ich trage nichts Luxuriöses in mir"

Bundesliga - Eintracht Frankfurt vs Schalke 04

Nimm die Kritik von Mehmet Scholl gelassen. Domenico Tedesco, Trainer von Schalke 04.

(Foto: REUTERS)

Der Fußball-Trainer des Jahres 2017: Domenico Tedesco spricht über sein Faible für Bergarbeiterklubs, Schalkes 4:4 gegen Dortmund - und reagiert auf die Kritik von Mehmet Scholl.

Von Moritz Kielbassa und Philipp Selldorf

Der Fußball-Trainer des Jahres 2017 in Deutschland - das ist für viele Experten Domenico Tedesco. Vor zehn Monaten war er noch A-Jugend-Trainer in Hoffenheim, doch Anfang März begann für den erst 32-Jährigen ein steiler Aufstieg im Profifußball, der bis auf Tabellenplatz zwei in der Wintertabelle der Bundesliga mit Schalke 04 geführt hat. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung (Weihnachtsausgabe) blickt Tedesco auf sein spektakuläres Jahr zurück. Den Zweitligisten Erzgebirge Aue übernahm er auf dem letzten Platz, weil all seine Bedenken nach einer Live-Sichtung der Mannschaft "wegemotionalisiert waren", wie er sagt: "Klar fragst du dich: Welchen Anker kannst du bei einem Tabellenletzten noch werfen? Aber so gehe ich nicht heran an eine solche Aufgabe."

Tedesco zeigte keine Scheu, seine erste Profistation mitten im Abstiegskampf anzutreten - mit Erfolg. Er führte Aue zum Klassenerhalt und bekam bereits im Sommer die Chance, nach Schalke zu wechseln. Dass er bei zwei Bergarbeiterklubs gelandet ist, sei nicht nur Zufall, sagt er: "Ich identifiziere mich mit Menschen in solchen Städten. Ich weiß, wo ich herkomme. Meine Familie stammt aus Kalabrien, das ist nicht die reichste Gegend Italiens. Ich trage nichts Luxuriöses in mir."

Der aktuelle Hype sei "unangebracht"

Im Interview erklärt Tedesco seinen ungewöhnlichen Lebenslauf. Von den Anfängen seines Fußballspielens in der Wohnung der Eltern ("Der Kleiderschrank war unser Tor - und wir hatten einen Ölofen, da hat's schön gedonnert, wenn der Ball dagegen gekracht ist.") über seine Entscheidung, zunächst lieber auf Beruf und Studium zu setzen als auf höherklassiges Kicken ("ich weiß, ich habe eine Ausbildung, das gibt mir Sicherheit für den Fußball") - bis zum Einstieg ins Trainerfach: Tedesco war 22, als er in seinem Heimatklub ASV Aichwald die F2-Bambini zu coachen begann. Mit Ehrgeiz, aber auch hilfreichen Zufällen kam er in die Jugendabteilung des VfB Stuttgart - und startete durch.

Der aktuellen Hype um ihn als Schalke-Trainer, sagt Tedesco, sei "unangebracht", die Spieler seien "die Hauptdarsteller". Und er erklärt seine spezielle Art der Fußball-Anschauung und der Kommunikation mit den Spielern. Trotz seiner erst 32 Jahre setzt der Coach im Umgang mit Spielern und Vereinsmitarbeitern auf Augenhöhe statt auf Autorität: "Auch sie dürfen mir den Spiegel vorhalten - nicht nur umgekehrt." So entstünden Gespräche wie mit Schalkes Kapitän Leon Goretzka, der für sich eine neue Position im Mittelfeld vorgeschlagen hatte: "Ich habe gesagt: Danke, Leon, für deine Offenheit! Im Moment brauchen wir dich als Sechser. Aber ich verspreche: Wenn wir den nächsten Entwicklungs-Step geschafft haben, bist du Achter! Es gibt mir ein gutes Gefühl, die Spieler bei Entscheidungen mit im Boot zu haben."

Tedesco spricht auch über die großen Emotionen, die bei einem Volksklub wie Schalke mitschwingen: über Fan-Briefe nach dem Weggang von Kapitän Höwedes, den viele dem Trainer angekreidet hatten ("zu lesen, dass ich arrogant sei, hat weh getan"). Oder über 2000 Fans im Training vor dem Derby in Dortmund: "Da wurde ich schon etwas nervös." Es folgte das legendäre 4:4 nach 0:4-Rückstand beim BVB: Dort habe er durch sein temperamentvolles Coaching, das auch nach dem hohen Rückstand weiterging, "den Spielern zeigen wollen: Wir coachen durch, wir sind bei euch, auch an schlechten Tagen". Und Tedesco schildert im Interview genau, was wirklich in der Halbzeitpause passiert war.

In der Debatte um Mehmet Scholl, der Tedesco kürzlich zu jenen "Laptop-Trainern" gezählt hatte, die angeblich "18 Systeme rückwärts furzen können", aber bei jungen Spielern keine Kreativität und Anarchie mehr zulassen, sagt Tedesco: "Das trifft mich nicht." Den Trainerlehrgang beim DFB habe er allerdings nicht, wie Scholl behauptet, als Gehirnwäsche empfunden: "Genau das ist es aus meiner Sicht gar nicht. Das ist dort wie bei einem Büffet mit allem, wo du dir das rauspicken kannst, was dir gefällt."

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