Dokumentation - Das ganze Interview:"Jetzt sei nicht beleidigt" II

Delling: Ganz so schlimm ist es nicht, aber da muss man mal durchschnaufen, offenes Visier, machen wir von hier oben aber auch. Und das mit dem hohen Ross - ich glaube, das haben wir nicht dabei. Wir gucken das Spiel und bewerten es und müssen nach wie vor sagen: Es war kein gutes Spiel. Man hätte sich vielleicht gewünscht, der eine oder andere ginge so aus sich heraus wie Rudi Völler.

Netzer: Das ist in der Tat so. (...) Nicht nur, dass er mich angesprochen hat, was wir in der Vergangenheit für einen Scheiß gespielt haben. Das sage ich oft genug hier, dass wir einen schönen Mist gespielt haben früher. Nur: Die Anhäufung der schlechten Spiele dieser Mannschaft von Rudi Völler ist etwas, was zu denken gibt. Das war bei uns nicht der Fall. Wir sind in Albanien ausgeschieden, haben in Zypern verloren. Aber dann kamen zehn überragende Spiele. Das kann ich hier überhaupt nicht feststellen. Und wir haben nicht übermäßig kritisiert. Die können froh sein, dass sie bei uns beiden im letzten Jahr so weggekommen sind.

Delling: Vielleicht ist Rudi Völler gedanklich einfach nur ein bisschen weiter, um es positiv zu formulieren. Er hat gesagt, wir erwarten einfach ein bisschen zu viel von dieser Mannschaft. Und da muss ich ihm mittlerweile ehrlich gesagt Recht geben. Wir sind hier mit der deutschen Mannschaft beim Tabellenführer, der sich so viele Chancen erspielt, dass man doch Angst haben muss.

Netzer: Aber was ist das für eine Aussage? Wir erwarten zu viel von der deutschen Mannschaft, die in Island nicht nur nicht gewinnen kann, sondern eine Art Fußball spielt, die wir nicht tolerieren können? Das sollten wir nicht tun. Wir sollten diese Maßstäbe nicht anlegen. Dass wir solche Schwierigkeiten haben. Selbst beim Tabellenführer. Weiß der Teufel, wie der da hingekommen ist! Island - Tabellenführer! Da gehören wir hin, Deutschland gehört in die Tabellenführung! So, und diese Ansprüche wollen wir uns von Rudi Völler nicht wegnehmen lassen. Die müssen wir nach wie vor besitzen im deutschen Fußball.

Delling: (...) Ich höre, Rudi Völler ist noch bei Waldemar Hartmann, dann wollen wir doch mal zurückgehen.

Hartmann: Also, liebe Zuschauer, ich denke, Sie waren von Anfang an bei dieser auch verbalen Auseinandersetzung ohne Ball mit dabei und haben das mitbekommen. (...) Hier in Reykjavik haben schon russische Staatsoberhäupter und amerikanische Präsidenten Friedensgespräche geführt. Ich will jetzt nicht den Friedensnobelpreis gewinnen, Rudi, aber ich stelle jetzt mal eine These auf: Wir haben ausgemacht, als Du angefangen hast, dass wir per Sie sind, weil wir . . . (Völler winkt ab), nein, nein, vor der Kamera, weil nach dem Spiel, ich weiß, ein Teamchef - das war bei Berti Vogts genauso - unter Hochspannung steht. Das war heute auch so. Ist diese Auseinandersetzung, die jetzt zustande gekommen ist, auch ein Zeichen dafür, dass Du einfach richtig sauer warst? Auch sauer auf die Leistung dieser Mannschaft?

Völler: Vielleicht habe ich auch in meinen Worten etwas überzogen. (...) Aber trotzdem bin ich der Meinung, gewisse Dinge, die gehören sich einfach nicht. Ich bin nicht so wie der Erich Ribbeck oder Berti Vogts, die dann jahrelang immer im Stuhl festgeklebt haben, egal was die Journalisten geschrieben haben oder was Ihr im Fernsehen gesagt habt. Das ist mir das Ding nicht wert. Ich versuche, bestmöglich hier mein Ding zu machen; dass wir erfolgreich und schön Fußball spielen. Immer gelingt uns das nicht. Und manchmal, wie heute, sieht's auch mal ein bisschen schlechter aus. Nur, eines müssen wir uns merken - und auch was der Günter gesagt hat, die haben früher zwar mal schlechte Spiele gemacht, aber danach zehn überragende Spiele: Also, die zehn überragenden nach dem schlechten Spiel, die hätte ich gerne mal gesehen. Das muss noch vor dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein. Aber Spaß beiseite. Da gehe ich auch nicht von ab: Ich finde, dass viel zu hart berichtet wird. Immer wieder muss es sein, Kritik. Und heute ist die Kritik ja auch angebracht. Wenn ich mich hier her setze, da bin ich natürlich schon sauer auf meine Mannschaft, aber da muss ich den Herrn Delling hören . . . das ist halt nun mal unsere Zeit, so extrem negativ zu sein, und das kann ich nicht akzeptieren. Ich kann mich doch locker zurücklehnen, Herr Hartmann, und könnte sagen: Keiner kritisiert mich, sondern nur die Mannschaft. Aber da wäre ich am falschen Platz, da müsste ich mir einen neuen Beruf suchen, das wäre nicht richtig. (...) Da muss ich die Mannschaft in Schutz nehmen. Und diese Aussagen, die ab und zu mal gemacht werden, das ist für mich eine absolute Sauerei. Ich weiß, irgendwann krieg' ich das selbst wieder auf die Nuss, aber das kann ich ab. Ich brauch' auch nicht, dass alle immer "Rudi, Rudi" schreien oder "Du bist der Größte und der Schönste". Will ich gar nicht. Ich will nur, dass ordentlich berichtet wird.

Hartmann: Ich werde mir erlauben, auch am Mittwoch oder bei anderen Länderspielen kritisch das zu fragen, was zu fragen ist. Ich denke, wir werden es auch weiterhin schaffen. Ich bedanke mich, dass Du da warst. Und wenn der deutsche Fußball, die deutsche Mannschaft so viel Elan, so viel Feuer und so viel Verve hätte wie ihr Teamchef, dann wäre er wahrscheinlich weiter, und wir müssten nicht noch zwei Heimspiele zittern.

Völler: Danke.

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