DLV-Sportdirektor Kurschilgen:Die neue Doppelkompetenz

Die deutsche Leichtahletik hat einen neuen Sportdirektor: Thomas Kurschilgen löst Jürgen Mallow ab - und will eher bewahren statt verändern.

Thomas Hahn

Auch die großen Veränderungen ereignen sich nicht von heute auf morgen, und deswegen ist für Thomas Kurschilgen einen Tag nach der entscheidenden Unterschrift zunächst wieder alles wie bisher gewesen. Er ist am Freitag in die Kamener Sparkasse gegangen, für die er als Marketingleiter tätig ist, und hat dort seine Arbeit getan. Mit dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) hat er sich darauf geeinigt, dass er am 1. November als neuer DLV-Sportdirektor die Nachfolge des in den Ruhestand verabschiedeten Jürgen Mallow antritt. Dann erst wird er in sein neues Berufsleben hinübertreten, das den früheren Stabhochspringer, gelernten Leichtathletik-Trainer und Hobby-Triathleten Kurschilgen sozusagen in die Zentrale seiner Leidenschaft bringt. Bis dahin hat er noch ein paar Dinge abzuarbeiten in der Bank.

Der DLV befindet sich gerade in einer sensiblen Phase seiner Geschichte, denn nicht nur Mallow geht. Auch der Saarbrücker Sportökonom Eike Emrich hat erklärt, beim nächsten Verbandstag (31. Oktober in Berlin) nicht mehr für das Amt des Vizepräsidenten Leistungssport zu kandidieren. Damit verliert der DLV die zwei Leitfiguren einer leistungssportlichen Neuausrichtung nach den Olympischen Spielen in Athen 2004, die nach zwei mickrigen Silber-Gewinnen als Tiefpunkt einer nicht sehr fortschrittlich geführten DLV-Abteilung galten.

Mallow folgte damals dem früheren DDR-Cheftrainer Bernd Schubert als Bundestrainer, Emrich bezog sein Ehrenamt im DLV-Vorstand, und gemeinsam etablierten sie neue Grundsätze des Leistungsaufbaus: mehr Vertrauen auf die Dynamik der Vereinslandschaft, flachere Hierarchien, mehr Raum für Neues, bessere Kommunikation, Vorbeugung im medizinischen Bereich statt gedankenlosem Drauflostrainieren.

Das Konzept trug der Vielfalt der Leichtathletik Rechnung, mündete nach einem bitteren Rückschlag bei Olympia in Peking (einmal Bronze) kürzlich bei der WM in Berlin in der Erfolgsbilanz von neun Medaillen, aber brachte dem DLV in der deutschen Sportlandschaft keineswegs nur Zustimmung ein; der deutsche Sport ist grundsätzlich sehr beeindruckt von dem Gedanken der Zentralisierung, wie er gerade im überschaubareren Wintersport zu medienwirksamen Erfolgen geführt hat.

In Thomas Kurschilgen, 49, scheint der DLV nun einen Mann gefunden zu haben, der Emrichs und Mallows Linie fortführt. Emrich selbst hat ihn vorgeschlagen nach Durchsicht der 15 Bewerbungen, DLV-Präsident Clemens Prokop nennt Kurschilgens Konzept "überzeugend". Kurschilgen gehört nicht unbedingt zur Prominenz der deutschen Leichtathletik, eher schon seine Frau Brigitte, geborene Holzapfel, aktuelle Hochsprung-Bundestrainerin, Olympiateilnehmerin (1976, 1984) und EM-Dritte von 1978. Aber er ist auch nicht ganz unbekannt in der Szene als früherer DLV-Leistungssportkoordinator am Olympiastützpunkt Westfalen in Dortmund, früherer Cheftrainer und ehemaliges Vorstandsmitglied der LG Olympia Dortmund sowie Veranstalter des Dortmunder Hallen-Meetings.

Derzeit führt er den Kamener Sportverband, davor hatte er den Dortmunder Sportverband vor der drohenden Insolvenz bewahrt, wobei ihm zugute kam, dass er nicht nur ein Diplom in Sportwissenschaften besitzt, erworben an der Sporthochschule Köln, sondern auch diplomierter Betriebswirt ist. "Ohne betriebswirtschaftliches Know-How hätte ich das damals nicht regeln können", sagt Kurschilgen. Und im Wettbewerb um den hohen DLV-Posten half ihm seine Doppelkompetenz auch, Präsident Prokop sagt: "Ich fand spannend, dass er ein ausgewiesener Sportfachmann ist, aber auch ein ausgewiesener Wirtschaftfachmann."

Fortsetzung der bewährten Prinzipien

Thomas Kurschilgen versteht den Sport als komplexes Feld, in dem es mehr braucht als nur ein bisschen Fachwissen. Über die Jahre hat er eine Erfahrung nach der anderen gesammelt, als Aktiver, als junger Vereinstrainer, der, wie Kurschilgen sagt, "die Übungsleitertätigkeit von der Pike auf gelernt" hat, als Funktionär, im Leistungssport, im Regionalsport und in seinen Führungspositionen als Bankangestellter. Er sagt, "das Herz war immer schon bei der Leichtathletik", und als DLV-Sportdirektor will er nun sein Talent zur nüchternen Bestandsaufnahme in den Dienst dieser Leidenschaft stellen. "Eine spannende Managementaufgabe" sieht Kurschilgen auf sich zukommen und will damit sagen, dass er sein neues Amt auch als Betriebswirt führen wird, nicht nur als Sportwissenschaftler.

Das wiederum soll nicht heißen, dass er einen frischen Wind in die Darmstädter DLV-Zentrale bringen will, der die bewährten Prinzipien der vergangenen fünf Jahre fortbläst. "Ich komme in ein gut bestelltes Haus", sagt er, "man muss nicht alles erneuern wollen." Fast feierlich verkündet Thomas Kurschilgen: "Ich stehe voll hinter der Leistungssportphilosophie von Jürgen Mallow und Professor Doktor Eike Emrich." Auch er sieht den Athleten nicht als bloßes Mittel zum Medaillengewinn, sondern als Hauptdarsteller eines komplizierten Aktionsfelds zwischen Sport und Ausbildung, in dem der Athlet Raum bekommen muss, um seine persönlichen Talente zu entfalten.

Wer neu ist, muss sich erst bekannt machen. Thomas Kurschilgen sagt: "Es ist wichtig, zunächst Vertrauen zu entwickeln. Vertrauen kann ich nicht anordnen. Man muss kommunizieren. Man muss zuhören." Er wird viele Gespräche führen müssen nach dem 1. November. Die deutsche Leichtathletik ist groß. Thomas Kurschilgen weiß, dass die nächsten Monate anstrengend werden im neuen Amt als Sportdirektor.

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