Diskussion um Schalke-Lied:Es war einmal ein Blumenbeet

Lesezeit: 4 min

Eine Zeile über Mohammed sorgt für Aufregung ums Schalke-Lied. Wie es entstand - und warum solche Texte weder wissenschaftlich noch politisch korrekt sein müssen.

Dirk Metz

"Es gibt Leute, die denken, Fußball ist eine Frage von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann Ihnen versichern, dass es noch sehr viel ernster ist." An dieses berühmte Zitat von Bill Shankly, Trainer des FC Liverpool in den sechziger und siebziger Jahren, fühle ich mich erinnert, wenn ich die Diskussion um das angeblich an einer Stelle den Islam verhöhnende Vereinslied des FC Schalke 04 miterlebe und erleide. Als Erstes dachte ich an die Auseinandersetzung um die Mohammed-Karikaturen. Als ob es um einen Kampf der Kulturen gehe.

Wegen einer Passage über den Propheten Mohammed gab es viel Aufregung um das Schalke-Lied. (Foto: Foto: AP)

Seit den siebziger Jahren fahre ich regelmäßig auf Schalke, habe unser Vereinslied "Blau und weiß, wie lieb ich dich" vor Spielbeginn ungezählte Male und mit Inbrunst gesungen. Und seit vielen Jahren ist dieses Lied mein Klingelton auf dem Handy. Ich habe die Liebe zum FC Schalke 04 von meinem Vater übernommen wie Millionen Anhänger zuvor und habe sie erfolgreich an zwei meiner drei Kinder weitergegeben (während das dritte Kind wenigstens Eintracht Frankfurt und nicht Borussia Dortmund anhängt).

Schalke 04, das ist kein normaler Fußballklub. Das ist Tradition mit den Erfolgen der Vergangenheit, das ist die seit einem halben Jahrhundert ungestillte Sehnsucht nach der achten Deutschen Meisterschaft. Zur Tradition dieses Klubs gehört auch eine Zuneigung der Anhänger, die manchmal fast religiöse Züge annimmt. Die Aufs und Abs des Klubs treiben uns alle um, nie aber könnten die Abs uns dazu bringen, dem Klub ade zu sagen.

Als Jugendlicher miterleben zu müssen, dass auch Schalke 04 mit allen damaligen Lieblingen 1971 in den Bundesliga-Skandal verstrickt war, und wie man sich damals attackiert fühlen musste - das tat richtig weh. Wie uns die Meisterschaft 2001 durch einen völlig ungerechtfertigten Freistoß des FC Bayern in der letzten Spielsekunde beim Hamburger SV weggenommen wurde - selten haben wir so gelitten. Dass ausgerechnet Gazprom Hauptsponsor des Klubs wurde: Es verursachte schon leichte Bauchschmerzen. Eine gewisse Leidensfähigkeit gehört für einen Schalke-Fan einfach dazu.

Und zu unserer Tradition gehört auch und gerade unser Vereinslied. Es ist Teil der Seele des Vereins. In ihm wird mit Inbrunst besungen, dass dieser Verein niemals untergehen wird, weil - wie es im Text heißt - "tausend Freunde zusammenstehn".

Zu ihnen gehören längst auch viele türkische Muslime, für die das Vereinslied ebenfalls selbstverständlicher Teil der gewachsenen Fankultur ist, und die - wie ich, der Enkel eines deutschen Bergmanns - niemals auf den Gedanken gekommen wären, bei der diskutierten Stelle handele es sich um eine Beleidigung Mohammeds. Darüber habe ich mir auch niemals überhaupt Gedanken gemacht, obwohl ich einen Beruf ausübe, in dem man täglich mit Begriffen umgehen muss: sorgsam, abwägend und manchmal auch auf die Goldwaage legend.

Auf der nächsten Seite: Wie der Textdichter auf die Liedzeilen kam und warum es absurd ist, aus der sinnfreien Textpassage einen Kulturkampf entfachen zu wollen.

Vor der 47. Bundesliga-Saison
:Der Rotwein wartet

Der Mann, der ein Magnet-Pin war, ein von Bayern unterwanderter Klub und eine unsterbliche Mischung aus Mut, Wahnsinn und Gottvertrauen: Auf Spurensuche bei den Bundesligisten.

"Mohammed war ein Prophet, der vom Fußballspielen nichts versteht. Doch aus all der schönen Farbenpracht / hat er sich das Blau und Weiße ausgedacht." Wer im ersten Satz dieser dritten Strophe ernsthaft Kritik des Texters Hans König am Propheten Mohammed zu erkennen glaubt, verkennt, dass auch dieser Texter vor fast 50 Jahren gewusst haben dürfte, dass Mohammed bereits im 6. und 7. Jahrhundert nach Christus und damit lange vor den ersten Anfängen des Fußballs gelebt hat. Und wer im zweiten Satz mit gutem Willen ein Kompliment für Mohammed zu erkennen glaubt, der weiß sicher auch, dass Grün die Farbe des Islam ist - weil der Prophet sie (und nicht Blau und Weiß) als Farbe seiner Kleidung und Standarte wählte.

Dirk Metz, Schalke-Fan und Sprecher der hessischen Landesregierung. (Foto: Foto: dpa)

Der Textdichter König hatte sich als Berufsmusiker an die Überarbeitung des Vereinsliedes gemacht, der nämlich so lautete: "Unsre Spieler Hand in Hand, hatten heut' nen schweren Stand. Sollten sie dennoch siegen im Schweiß, halten sie noch höher in Ehren das Blau und Weiß". Auch nicht gerade der Gipfel deutscher Lyrik.

Ursprünglich handelte es sich übrigens um ein fröhliches, wenngleich schlichtes Mai-Lied mit dem Titel "Grün ach Grün", in dem das "Festkleid der Natur" und "Wald und Flur" besungen werden, ehe bereits darin der Prophet Einzug hielt: "Mohammed war ein Prophet, dieser liebt ein Blumenbeet, und von aller Farbenpracht hat er sich das holde Grün wohl ausgedacht". Das ist der Ursprung der jetzt urplötzlich umstrittenen dritten Strophe. Auch irgendwie ziemlich sinnfrei.

Aber was sagt uns das: Texte von Vereinsliedern müssen keiner wissenschaftlichen Überprüfung standhalten. Sie müssen auch nicht das Siegel der politischen Korrektheit tragen, sondern können sogar sinnfreie Stellen enthalten. Wie so viele Schlagertexte. Wer käme auf die Idee, es für sachlich-korrekt zu erklären, wenn die Fans eines Drittligisten bei einem Pokalspiel singen: "Wir holen den DFB-Pokal und wir werden Deutscher Meister". Fußball, das ist eine Welt für sich, in die man sich am Wochenende fallenlassen kann, ohne alles auf seine Sinnhaftigkeit hinterfragen zu müssen.

Der Versuch, aus der sinnfreien Textpassage des Schalke-Lieds einen Kulturkampf entfachen zu wollen, ist absurd. Schon in den dreißiger Jahren wurde unsere Meistermannschaft als "Pollackenklub" angefeindet, weil die Eltern von Kuzorra, Szepan und Co. aus Masuren, Oberschlesien und Westpreußen stammten und im Ruhrgebiet heimisch geworden waren. In den Jugendmannschaften des Klubs tummeln sich heute unter den Hunderten Kindern und Jugendlichen viele, die Moslems sein dürften. Für seine Fanprojekte, für seinen Einsatz gegen Fremdenfeindlichkeit ist der FC Schalke 04 bekannt und mehrfach ausgezeichnet worden. Und in Gerald Asamoah kommt der erste farbige deutsche Nationalspieler aus unserem Klub.

Dem Zusammenleben von Christen und Moslems wurde mit dem Versuch, das Vereinslied ins Zwielicht zu rücken, wahrlich kein Dienst getan. Es ist bedrückend, mit welchen sprachlichen Entgleisungen und Drohungen in Mails und Internetblogs der Kampf um das Vereinslied geführt wird. Fußball ist eben nicht eine Sache auf Leben und Tod, oder gar mehr als das. Lasst uns den Ball flach halten. Lasst uns Schalkern das Vereinslied so, wie es 1963 getextet wurde. Lasst uns den in Gelsenkirchen geborenen Türken Halil Altintop bejubeln, wenn er für uns Königsblaue trifft - und ganz fest daran glauben, dass wir wieder Deutscher Meister werden!

Dirk Metz, 52, ist stellvertretender Vorsitzender des Fanklubs "Schalke-Union e.V.". Im Hauptberuf ist er Staatssekretär und Sprecher der hessischen Landesregierung.

© SZ vom 06.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: