Diskussion um Ruderin Nadja Drygalla:Wenn sich der Nebel langsam lichtet

Ein Gespräch, zwei Versionen: Bei der Darstellung im Fall Nadja Drygalla widersprechen sich hochrangige Ruder-Funktionäre. Es geht um die fundamentale Frage der ganzen Debatte: Warum wurde das Verhältnis der Ruderin zu einem früheren Neonazi erst nach ihrem Auftritt in London bekannt?

Thomas Kistner

Nach einer Woche heftiger Debatten und deftiger Schuldzuweisungen in Sport und Politik lichtet sich der Nebel um die Affäre Nadja Drygalla. Und zwar in der Kernfrage: Warum wurde die Beziehung der Ruderin zu einem früheren Rechtsextremisten den Spitzen des deutschen Olympiasports erst nach ihrem Auftritt in London bekannt?

Der Deutsche Olympische Sportbund mit Generaldirektor Michael Vesper und Sportdirektor Mario Woldt vom Deutschen Ruderverband (DRV) hatten Drygalla vor einer Woche im Blitzverfahren einvernommen zu der Frage, die ihnen angeblich erst Stunden vorher durch Mails und Internet-Berichte zur Kenntnis gelangt war.

Drygalla reiste ab, die Verbände untersuchen seitdem die Kommunikationspanne. Die scheint sich auf oberster Ebene zu lokalisieren: Offenbar hat DRV-Mann Woldt beim Londoner Dreiergespräch mit Drygalla und Vesper mehr gewusst, als er bisher kundtat.

Das behauptet Hans Sennewald, Chef des Ruderverbandes von Mecklenburg-Vorpommern und Vater von Drygallas langjähriger Partnerin in Zweier und Achter, Ulrike Sennewald. Er verweist auf ein konkretes, umfassendes Gespräch zur Causa Drygalla, das er mit dem DRV-Sportdirektor im April bei der Kleinboot-Überprüfung in Köln geführt habe. Woldt bestätigt dies auf SZ-Anfrage zum Großteil. Der DRV-Direktor erklärte am Mittwoch, im Gespräch mit Sennewald sei "die persönliche Situation von Drygalla, ihr Ausscheiden aus dem Polizeidienst und die finanzielle Situation, die daraus für sie entstand", angesprochen worden.

So weit decken sich die Versionen der Gesprächspartner. Es gibt nur eine entscheidende Differenz. Woldt behauptet: "Über das Thema rechte Szene wurde nicht gesprochen. Ich habe (Sennewald; d. Red.) nicht gefragt nach den genauen Details, die zum Abschied aus dem Polizeidienst führten. Es ging darum, wie man finanziell mit ihr weitermachen kann."

Sennewald widerspricht scharf: "Das Thema war sogar Gegenstand meiner Gesprächseröffnung mit Herrn Woldt. Ich habe ihm die besonderen Hintergründe für Nadjas Ausscheiden aus dem Polizeidienst genau dargelegt, weil mir wichtig war, dass er sie kannte." Es sei um Abklärung der Frage gegangen, wie die Athletin nach dem Verlust von Job und Polizei-Sportförderung unterstützt werden könne. Bis Ende Juni 2012 war sie zwar beim Landes-Ruderverband angestellt. Doch das sei nur eine Not-, keine Dauerlösung gewesen.

Woldt bestätigt das. Der Sportdirektor räumt sogar eine weitere, delikate Aussage Sennewalds ein: Den Vorschlag, Drygalla in die Bundeswehr-Sportförderung einzugliedern, habe Woldt selbst unterbreitet. Auch dieser Vorgang sorgte bisher für Rätselraten. Jetzt erklärt Woldt: "Im Sinne der Athletin, um sie zu entlasten und ihr eine gute Olympia-Vorbereitung zu ermöglichen, wurde von mir vorgeschlagen, dass ein Sportförderantrag geprüft werden kann bzw. eine Möglichkeit sein könnte."

"Da hätte ich nachhaken müssen"

Der Fördervorschlag für Drygalla kam also vom Deutschen Ruderverband - eine bemerkenswerte Erkenntnis. Drygalla war sogar schon gemustert worden, am 17. Juli in Lüneburg, sie hätte am 1. September einrücken sollen. Der DRV, berichten nun Agenturen aus Bundeswehrkreisen, habe den Antrag am 2. August zurückgezogen.

Das legt, neben weiteren Umständen, die Vermutung nahe, dass Sennewalds Version die zutreffende ist. Der sagt, dass auch seine Ehefrau beim Kölner Treff mit Woldt zunächst zugegen war und somit Zeugin der Gesprächspassagen zur Privatsituation Drygallas. Auch stellt sich ja grundsätzlich die Frage, warum ein Sportdirektor nicht sofort nach Gründen fragt eingedenk der ungewöhnlichen Mitteilung, dass eine 23-jährige Olympionikin aus dem Polizeidienst ausschied und damit aus der Sportförderung. Das ist das Rundum-Versorgungspaket für deutsche Athleten.

Dazu erklärt Woldt, für ihn gab es keinen Grund zur Annahme, "dass Drygalla durch ihr Ausscheiden aus der Polizei ein Problem sein könnte"; sie sei ja beim Landesverband angestellt gewesen. Doch das berechtigt nicht zur Förderung, es löst das Problem nicht. Woldt räumt ein, "mit heutigem Wissen" sehe er die Sache anders: Da "hätte ich noch mal nachhaken müssen".

Verantwortung schiebt er aber zu Sennewald: Der habe "ja nie etwas dazu schriftlich beim Vorstand eingereicht", obwohl es "vielfältige lange Mails von Sennewald an den Vorstand" gegeben habe. Woldt findet, man hätte "so ein Thema generell nicht nur durch ein Gespräch unter vielen an einem Regatta-Platz abhandeln" können.

Das mag sein. Aber warum wurde Sennewald dann nicht darauf hingewiesen? Woldt ist hoher Hauptamtlicher des deutschen Fachverbandes, insofern wohl eher Ansprechpartner als die ehrenamtlichen Funktionäre. Und eine Art Anmeldeformular für derlei Privatprobleme gibt es im organisierten Sport ja nicht. Sennewald sagt: "Wenn ich mit dem Sportdirektor ein Gespräch führe und am Ende sogar von ihm einen Lösungsvorschlag bekomme, mit dem ich sehr zufrieden war, dann habe ich doch gar keinen Anlass, mit dieser Sache auch noch an andere Leute zu gehen."

Manche Fragen zur verbandsinternen Sprachlosigkeit klären sich nun. Sennewalds Anwalt hat den DRV bereits um ein schnelles Signal für dessen Gesprächsbereitschaft gebeten. Das werde nun erfolgen, sagte DRV-Justitiar Stefan Felsner. Und Sennewald selbst erklärt, er habe Woldt schon am Sonntag auf dem Anrufbeantworter eine Rückrufbitte hinterlassen. Woldt, in London mit britischem Handy ausgestattet, teilte am Mittwoch mit, er habe seinen deutschen Anrufbeantworter noch nicht abgehört.

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