Diskussion in den USA:Der Sport, das N-Wort und die Moral

Memphis Grizzlies v Los Angeles Clippers

Beschwerte sich über seine Kollegen: Matt Barnes

(Foto: AFP)

Basketballer Matt Barnes verwendet in einem Twitter-Eintrag das N-Wort, Footballspieler Richie Incognito bedroht einen Mitspieler, eine Zuschauerin kippt einem Eishockeyspieler Bier über den Kopf: Die USA diskutieren über Umgangsformen im Sport.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

In der Umkleidekabine der Los Angeles Clippers geht es nach Spielen bisweilen recht wild zu. Die Söhne von Chris Paul, Matt Barnes und DeAndre Jordan rangeln und werfen mit Mini-Basketbällen um sich. Sie erschrecken erst, als Jordan eingreift: Die 2,11 Meter große und 120 Kilogramm wuchtige Naturgewalt packt seinen Sohn und schleppt ihn unter die Dusche: "Jetzt ist Ruhe!" Alle in der Umkleidekabine lachen, auch Trainer Doc Rivers. Kein Wunder, die Clippers hatten an diesem Wochenende gerade die Brooklyn Nets besiegt.

Es war das erste Spiel nach dem Twitter-Eintrag, in dem sich Barnes über seine Kollegen beschwert und dabei das N-Wort verwendet hatte. Er hatte während der Partie gegen Oklahoma City Thunder seinem Mitspieler Blake Griffin bei einer Rangelei mit Serge Ibaka geholfen und war deshalb des Feldes verwiesen worden - und beschwerte sich danach, immer den Sündenbock für seine Kollegen abgeben zu müssen. Er löschte seinen Twitter-Eintrag später und entschuldigte sich dafür, wurde aber dennoch von der Baskeballliga NBA mit einer Strafe von 25.000 US-Dollar belegt.

"Ihr müsst euch daran gewöhnen"

"Mein Fehler war, dass ich das Wort auf einem sozialen Netzwerk gepostet habe", sagte Barnes am Samstagabend: "Nur: Es wird auf dem Spielfeld ausgesprochen, es wird in der Umkleidekabine verwendet, wenn ich mit Freunden und Familie unterwegs bin. Es ist ein normales Wort für mich." Dann sagte er noch einen Satz: "Ihr Jungs müsst euch daran gewöhnen."

Man muss diesen Vorfall in einem anderen, womöglich größeren Zusammenhang betrachten. In den Vereinigten Staaten wird gerade darüber diskutiert, wie es zugeht beim Sport - nicht nur in den Umkleidekabinen oder dem Spielfeld von Profi-Sportvereinen, sondern auch auf den Tribünen der Arenen und bei Nachwuchsmannschaften.

Der Footballtrainer Randall Burbach etwa wollte das Bankett zum Abschluss der Saison unbedingt in einer Filiale der Restaurantkette "Hooters" abhalten, die vor allem dafür bekannt ist, dass leicht bekleidete Frauen billiges Bier servieren. Er ging so weit, dass er sich lieber feuern ließ, als die Veranstaltung woanders hin zu verlegen. Ach ja: Burbach war verantwortlich für eine Schulmannschaft, keiner der Spieler ist älter als 14 Jahre.

Bei der Partie der Eishockeyliga NHL wurde vor zwei Wochen Adam Pardy von den Winnipeg Jets von einem Gegenspieler durch das Plexiglas hindurch und über die Bande hinweg in den Zuschauerraum gecheckt. Ein Fan der Chicago Blackhawks nutzte die Gelegenheit, stibitzte Pardys Helm und setzte ihn sich auf - die Frau daneben kippte sogleich Bier über Pardys Kopf. "Ich versuche immer noch herauszufinden, was genau da passiert ist", sagt Pardy, "aber wenn ich mir die Aufzeichnung so ansehe, dann muss ich lachen."

Auf unbestimmte Zeit suspendiert

Und natürlich gibt es noch den Fall des Footballprofis Richie Incognito von den Miami Dolphins, der seinen Teamkollegen Jonathan Martin rassistisch beleidigte, beschimpfte und bedrohte. Auch er verwendete das N-Wort und kündigte an, Martins Mutter ins Gesicht schlagen und Martin anschließend töten zu wollen. Der begab sich zunächst in psychiatrische Behandlung und hält sich nun bei seinen Eltern in Kalifornien auf. Die Liga NFL hat einen unabhängigen Ermittler beauftragt, Incognito wurde von den Dolphins auf unbestimmte Zeit suspendiert und könnte bis zu 1,1 Millionen US-Dollar an Gehalt verlieren.

Nur: Incognito hat sich nicht entschuldigt, er hat seinen Verein gar verklagt und beschreibt sich selbst als Opfer in dieser Geschichte. "Wenn sich hier jemand schädlich für den Verein verhalten hat, dann sind das die Vertreter von Herrn Martin, die Herrn Incognito und die Dolphins öffentlich verunglimpfen möchten", heißt es in einem Statement seiner Anwälte. Die Strafe sei "unangemessen, unvernünftig und willkürlich".

"Werden wir alle immer dümmer?"

Namhafte Publikationen wie die Los Angeles Times und Sports Illustrated lesen aus diesen kleinen und großen Skandalen - Dopingprobleme in der NFL und der Baseballliga MLB, die Kopfverletzung-Thematik in der NHL und der NFL, die zahlreichen Verhaftungen - einen gesellschaftlichen Trend heraus: "Werden wir alle immer dümmer?", lautet die Frage in einem Kommentar in der Sports Illustrated.

Es sei durchaus bedenklich, wenn Zuschauer die Athleten mit Bier beschütten und deshalb zu YouTube-Stars werden, wenn Jugendtrainer mit ihren Schützlingen unbedingt zu "Hooters" gehen wollen, wenn sich einer nicht einmal dafür entschuldigt, wenn er dafür sorgt, dass sein Teamkollegen emotional zusammenbricht - und wenn ein rassistisches Wort als Slang abgetan wird.

"So reden die Menschen heutzutage nun einmal", sagte der Basketballer Barnes: "Man hört das Wort im Radio, in Filmen, im Fernsehen. Ich habe es heute schon wieder hier in der Umkleidekabine gehört. Es ist keine große Sache." Und dann sagte er noch einmal: "Ihr müsst Euch daran gewöhnen."

Vielleicht ist das wirklich so, womöglich muss man sich tatsächlich daran gewöhnen, was im amerikanischen Sport derzeit so passiert. Das zeigt auch die Reaktion des Publikums in Los Angeles: Als Barnes Mitte des ersten Viertels eingewechselt wurde, jubelten die Menschen im Staples Center. So laut, als hätten die Clippers gerade einen wichtigen Korb erzielt.

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