"Dirty Games":Dokumentarfilm: So schmutzig ist der Sport

  • Tote Bauarbeiter in Katar, Absprachen bei Boxkämpfen, Referees, die auf eigene Spiele wetten: "Dirty Games" wirft einen entlarvenden Blick hinter die Hochglanzkulisse des Weltsports.
  • Benjamin Best, Fernsehjournalist und Sportbetrugsexperte, sagt über seinen Film: "Ich will wissen, wie die permanente Korruption und Spielmanipulation im Sport bei den normalen Leuten ankommt."
  • Nur die strukturelle Dopingproblematik bleibt ausgeklammert, ansonsten geht es ins Zentrum der Show.

Von Thomas Kistner

Soeben trieb den FC Bayern seine Geld-um-jeden-Preis-Mentalität in die Arme eines Topsponsors aus Katar. Derweil streitet Altfunktionär Theo Zwanziger vor Gericht darum, das Emirat als "Krebsgeschwür des Weltfußballs" bezeichnen zu dürfen. Die Debatte läuft, nur - kann es die überhaupt geben? Nicht eingedenk von Bildern wie der Einstiegsszene zum Film "Dirty Games": Särge aus Doha landen am Flughafen Kathmandu. Das Gesicht Bahadours, von blütenweißen Leintüchern umwölkt und so friedlich, wie ihn die Bosse in Doha auf die letzte Heim- reise geschickt haben: Herzstillstand ist die offizielle Todesursache. Es ist die Art Herzstillstand, die nahezu täglich eintritt am Golf bei Fremdarbeitern wie Bahadour. Er wurde 26 Jahre alt und war Vater einer kleinen Tochter.

4000 Tote auf Katars Baustellen bis zum WM-Anpfiff 2022, lautet die Prognose von Menschenrechtsgruppen; sie wirkt statistisch stabil. Das sind die wirklich relevanten Informationen, zum Turnier und zur Milliardenindustrie mit dem Sport. Aber ins Auge sticht nur, was der Fan sieht - jedenfalls in der Bilderwelt des Sports, der aus allen Starkult-Nähten platzt. Hier sind sie also, die Särge junger Männer; zu sehen auch zahllose Todesurkunden, die sich in nepalesischen Ämtern stapeln.

Kein Paradies von Reinheit und Fairplay

Benjamin Best, Fernsehjournalist und Sportbetrugsexperte, dringt mit seinem Filmprojekt "Dirty Games" in den Maschinenraum des Sportbetriebs vor. "Ich will wissen", sagte er zur Premiere kürzlich beim Landsberger Snowdance Independent Filmfestival, "wie die permanente Korruption und Spielmanipulation im Sport bei den normalen Leuten ankommt."

Nicht gut. Aber nur, wenn das Publikum die Chance hat, sich mit dieser Frage zu befassen. Die hat es ja meistens nicht, das Gros der Medien leistet dem Sport Beihilfe zu einem äußerst geldwerten Zwitter- dasein. Die Fans träumen in Bildern - doch die knallharte Milliardenindustrie hinter diesem Gespinst ist, dank einer absurden Autonomie, die ihr gewährt wird, das Gegenteil von dem, was sie suggeriert: Kein Paradies von Reinheit und Fairplay. Skrupellos navigiert die Sportbranche in ihrer Erfolgsspur, auf der Nahtstelle zwischen Illusion und Wirklichkeit. Der entscheidende Unterschied zur Film- und Fernsehwelt liegt ja darin, dem Publikum ein Gefühl zu vermitteln, das das cineastische Erlebnis niemals liefern kann: Authentizität. Dass nichts gesteuert und alles möglich ist.

Nach 800 Spielen schlug dann das FBI zu

"Dirty Games" legt das Blendwerk offen. Franz Beckenbauer behauptet, er habe "nie einen Sklaven in Katar" gesehen. Im Film berichten die nepalesischen Arbeiter, dass der Krankenwagen "ohne Sirene kommt", wenn ein Toter abgeholt wird. Die Scheindebatte um Katar, in der sich Mitverdiener aus dem Sport sogar als subtile Weltverbesserer gerieren, ist indes nur ein Teil der Betrugsbereiche, die der Film beleuchtet. Nur die strukturelle Dopingproblematik bleibt ausgeklammert, ansonsten geht es ins Zentrum der Show.

Da spricht Bonita Mersiades über Lügen und Finanztricks, die sie als Managerin des WM-Bewerbers Australien erlebte. Da ist der Bar-Betreiber in Rio de Janeiro, der sich bis zuletzt gegen den Abriss seines Wohnviertels gewehrt hat und am Ende als Gefangener im eigenen Haus saß, ohne Wasser, Strom, Schutz vor Eindringlingen. Das Viertel sollte einem Parkplatz für die WM 2014 weichen; heute ist es eine Brache für Drogenjunkies. Ähnliches passiert nun beim urbanen Revirement für die Sommerspiele in diesem Sommer in dem Land.

Da ist Charles Farrell, Boxmanager, der "Hunderte" Profikämpfe in den USA manipuliert hatte, bis ihn die Mafia zum Ausstieg zwang. Er schildert bestechliche Ringrichter und die Codes, die für Kampf- absprachen von den Parteien benutzt werden. Er erzählt, wie Mike Tysons Comeback 1995 nach seiner Haftstrafe gegen Peter McNeeley so spektakulär verschoben worden sei, dass der Markt sofort entflammte: In 90 Sekunden sollte die Nummer durch sein, nach 89 Sekunden flog das Handtuch aus McNeeleys Ringecke. "Verlierer kassieren manchmal mehr als Gewinner", sagt Farrell. Heute hat er einen Namen als Jazz-Pianist.

Ruhige Bilder transportieren Bewegendes

Oder Tim Donaghy. Der pfiff 13 Jahre als Profischiedsrichter in der US-Basketball-Liga. Nach 800 NBA-Spielen schlug das FBI zu, Donaghy hatte auf eigene Partien gewettet und sie passend gestaltet. Er beschreibt strukturelle Manipulation in der ewigen Glitzer-League: Wie NBA-Offizielle die Play-off-Runden so manipulieren, dass Duelle über die volle Sieben-Matches-Distanz gehen, das bringt mehr Geld aus dem TV- und Ticketgeschäft. Oder dass die Referees gehalten seien, Superstars der NBA und speziell den Superklub L. A. Lakers zu bevorteilen. Donaghy schrieb sogar ein Buch darüber, verklagt wurde er nie.

Fußball darf hier nicht fehlen. Ruhige Bilder transportieren Bewegendes: Die feste Front der Fans in der Türkei, die nach der von Fenerbahce Istanbul manipulierten Saison 2010/11 bis heute auf die vorgesehene Bestrafung des Topklubs durch die Europa-Union Uefa drängen. Ob Fenerbahce die Macht der Politik und des Geldes schützt? Die europäische Fußball-Union Uefa beklagt jedenfalls kein Defizit an türkischen Sponsoren. Und sieht zu, wie Samstag für Samstag in türkischen Städten protestiert wird, auf Istanbuls Taksim-Platz stand jüngst die 199. Demonstration an. Gianni Infantino, Uefa-Generalsekretär, hat Wichtigeres zu tun. Er düst per Learjet um die Welt und wirbt mit Transparenz-Versprechen um den Fifa-Thron, der am 26. Februar neu besetzt wird.

Bests Film darf den medialen Mainstream nicht erreichen. Er könnte Nachahmer finden, die den Sport Zug um Zug als das entlarven, was er ist: Die größte Bewusstseinstäuschung unserer Zeit. Wahrhaftig, ein Märchen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: