Dirk Nowitzki bei Dallas:Basteln an der Legende

Washington Wizards v Dallas Mavericks

Dirk Nowitzki: Der Titel ist wichtiger Geld

(Foto: AFP)

Dirk Nowitzki erfindet den Mannschaftsspieler neu: Auch weil er auf viel Geld verzichtet, stehen die Dallas Mavericks in der NBA derzeit gut da. Das bringt ihm noch mehr Respekt ein als ohnehin schon.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt diese Unsitte im amerikanischen Sport, Vereine als das Eigentum ihrer prägenden Akteure zu betrachten. So treten nie die Los Angeles Lakers gegen die Cleveland Cavaliers an, sondern stets "Kobe Bryant und seine Lakers gegen die Cavaliers von LeBron James". Basketball wirkt deshalb bisweilen nicht wie eine Mannschaftsdisziplin, sondern wie der Vergleich zweier Einzelsportler, die zum Privatduell antreten - und denen ein paar Adjutanten zur Seite gestellt werden. Damit, wie im Reglement gefordert, zehn Akteure auf dem Parkett stehen.

Es war deshalb überaus angenehm, dass die Partie zwischen den Boston Celtics und den Dallas Mavericks am Freitagabend im amerikanischen Fernsehen als Partie "zwischen den Boston Celtics und den Dallas Mavericks" angekündigt wurde. Das lag natürlich auch daran, dass die Celtics nach dem plötzlichen Wechsel von Rajon Rondo Mitte Dezember (zu den Mavericks) nun keinen Akteur mehr haben, auf den sich die Werbung konzentrieren könnte - die Mavericks hingegen so viele, dass die Sendezeit kaum gereicht hätte: "Nowitzki, Chandler, Rondo, Ellis, Parsons und ihre Mavericks", das passt nun wirklich in keinen Werbespot.

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Bester NBA-Scorer, der nicht in den USA geboren wurde

Natürlich gelingen Dirk Nowitzki noch immer viele Punkte, gerade erst hat er Elvin Hayes überholt und liegt nun auf Platz acht in der Liste der erfolgreichsten Werfer in der Geschichte der Profiliga NBA. Länger schon ist Nowitzki der beste NBA-Scorer, der nicht in den USA geboren wurde. Und er ist einer der Treuesten in diesem Sport. Nowitzki ist nun schon 36, aber hinter seinem Namen stehen nur zwei Klubs, für die er Körbe warf: DJK Würzburg und Dallas Mavericks (seit 1999). Im Jahr 2011 gewann er mit den Mavericks einen Meisterring, die Juroren wählten ihn zum wertvollsten Spieler (MVP) des Finales.

Er hat damit eigentlich alles erreicht, aber mit einem gewissen Erstaunen wird in dieser Saison in den USA registriert, dass der Deutsche weiter an seiner Legende bastelt. Und er scheint, wie der lockere 119:101-Sieg in Boston bewies, voll auf Kurs zu sein. Gerade weil Nowitzki mit 17 Zählern gegen Boston nach Rondo (29) und Monta Ellis (22) nur der drittbeste Werfer seines Vereins war. Gerade weil er in nur zehn von 34 Saisonspielen bislang die meisten Punkte erzielte. Gerade weil 15 Mal Ellis der Topscorer war, sieben Mal Chandler Parsons, seit seinem Wechsel nun sogar schon zwei Mal Rondo.

Weniger Geld, mehr Chancen auf den Titel

So paradox das zunächst klingen mag: Gerade wegen dieser Ausgewogenheit sind die Mavericks die Mannschaft von Nowitzki - womöglich mehr als je zuvor. Es sind dies die Auswirkungen des bemerkenswertesten NBA-Vertrages, der im vergangenen Sommer unterzeichnet wurde. Nein, es geht nicht um den von LeBron James in Cleveland, den von Carmelo Anthony in New York oder jenen von Chris Bosh in Miami -, sondern um den Kontrakt von Nowitzki. Der hätte beim wichtigsten Punkt, seinem Jahresgehalt, eine beliebige Zahl zwischen 20 und 22 Millionen US-Dollar wählen können (so viel hatten ihm die Los Angeles Lakers und die Houston Rockets bieten wollen). Nun aber steht dort für diese Spielzeit eine - vergleichsweise - bescheidene Summe: 7,97 Millionen Dollar.

"Dirk ist einzigartig. Ohne seinen Verzicht wäre das alles nicht möglich gewesen", sagt Mark Cuban, der wahre Eigentümer der Mavericks: "Er hat klar gemacht, dass es ihm zum Ende seiner Karriere nicht darum geht, ein paar Dollar mehr zu verdienen. Er kämpft lieber um den Titel." Freilich haben auch James, Anthony und Bosh bei der Unterzeichnung ihrer Verträge betont, dass es ihnen nicht nur ums Finanzielle gehe - James maß seiner Rückkehr aus Miami in die darbende Industriestadt Cleveland gar eine gesellschaftliche Bedeutung bei. Dennoch bestanden sie alle darauf, dass in der Zeile mit dem Salär die jeweils höchstmögliche Zahl eingetragen wurde.

Die NBA ist eine Liga, deren Protagonisten sich weniger als Sportler betrachten denn als Marken, als Brands. Das Gehalt verdeutlicht den Stellenwert. Die Anzahl der Erwähnungen in den Top-Ten-Videos stellt ihre sportliche Bedeutung heraus. Der Umsatz durch Schuhe und Trikots die gesellschaftliche Relevanz. Nowitzki hat all dem entsagt, er verzichtete schon vor Jahren auf viel Geld, um finanziellen Spielraum für die Mavericks zu schaffen, den Kader zu verbessern. Im US-Sport gibt es, anders als zum Beispiel in Europas Fußball, sogenannte Gehaltsobergrenzen. Die Summe aller Team-Gehälter ist nach oben nicht beliebig dehnbar. Bei Nowitzki wirkt es glaubhaft, wenn er betont, dass ihm persönliche Rekorde derzeit kaum etwas bedeuten würden (dass aber natürlich auch er seinen Enkeln irgendwann einmal davon zu berichten gedenkt).

Die Mavericks kommen gerade in Fahrt

Nowitzki hat mit dieser Haltung so seine eigene Marke kreiert, für die er in der NBA respektiert wird, weil sie als Wert aus einer eigentlich vergangenen Zeit gilt: Er ist tatsächlich ein Mannschaftsspieler. Während der finanzielle Spielraum anderer Vereine aufgrund der Maximalverträge für sogenannte "Superstars" erheblich eingeschränkt war, konnte Cuban durch Nowitzkis Verzicht einen Kader zusammenstellen, der aktuell andeutet, dass Basketball tatsächlich noch immer ein Mannschaftssport sein kann. Es gibt vermutlich keinen Akteur bei den Mavericks, der am Ende der Saison mit dem Titel wertvollster Spieler (MVP) ausgezeichnet werden wird -, und es ist derzeit sogar möglich, dass kein Spieler aus Dallas zum All-Star-Spiel am 15. Februar nach New York eingeladen wird.

Dennoch gelten die Mavericks als aussichtsreicher Kandidat auf den Titel. Nach dem Sieg in Boston, dem vierten in Folge, liegen sie auf Platz vier der Western Conference. Die Abstände zwischen den Mannschaften sind gering, die Mavericks kommen gerade in Fahrt. Vor der Saison kamen Center Tyson Chandler und Aufbauspieler J.J. Barea - Mitglieder der Meistermannschaft von 2011 - zurück nach Dallas. Zudem verpflichtete Cuban den talentierten Flügelspieler Chandler Parsons aus Houston. Der verdient nun derart prächtig (14,7 Millionen Dollar in dieser Saison), dass Nowitzki sagt: "Er muss nun bei Auswärtsspielen jedes Abendessen bezahlen, weil das ohnehin mein Geld ist." Mitte Dezember gelang Cuban dann noch jenes spektakuläre Tauschgeschäft, durch das Rondo von Boston nach Dallas kam. "Er hat in Boston eine Meisterschaft gewonnen und bringt diese Mentalität mit", sagt Nowitzki: "Wir wollen nun, dass er sich schnell eingewöhnt, aggressiv ist und uns in der Verteidigung führt."

Eigentlich hätte Nowitzki, der 36-Jährige, gemächlich dem Karriereende entgegen reiten und dabei den Sonnenuntergang genießen können. Es scheint jedoch, als hätte er in den kommenden drei Spielzeiten - so lange gilt sein Vertrag - durchaus noch Lust auf ein paar Abenteuer. So arbeitet er unermüdlich daran, sein Wurfrepertoire zu erweitern. Und jüngst akzeptierte es der Power Forward, der vernehmlich über die Flanke angreift, sogar, dass ihn sein Trainer Rick Carlisle - wegen einer Verletzung von Tyson Chandler - als Center auf Feld schickte. Auch wenn er Carlisle kurzzeitig für trunken erklärte: "Als ich das hörte, dachte ich, dass er ein paar Bier zu viel hat." Es ist ein überaus interessantes Sport-Gebilde, das sie da in Dallas entwickelt haben. Es ist eine Abkehr vom Superstar-Gehabe, wie es zum Beispiel die San Antonio Spurs seit Jahren erfolgreich (fünf Titel in 15 Jahren) praktizieren. Es lohnt durchaus, diese Mannschaft in dieser Saison genauer zu verfolgen, Gelegenheiten gibt es genug: Die Playoffs starten erst im April.

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