Diego Contento bei Girondins Bordeaux:Dem FC Bayern gehen die Münchner aus

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Diego Contento hatte Angebote aus Russland und England - doch er entschied sich im Winter, in Bordeaux zu bleiben.

(Foto: imago/PanoramiC)
  • Beim FC Bayern schaffte es Diego Contento nie dauerhaft zum Stammspieler, dabei ist er ein echter Münchner.
  • Sein Fall zeigt, dass es Nachwuchsspieler beim Rekordmeister immer schwerer haben.
  • Mittlerweile spielt er bei Girondins Bordeaux und hat sich dort weitestgehend durchgesetzt.

Von Jonas Beckenkamp

Quizfrage zum sogenannten "Finale dahoam" von 2012, das in mancher Fanseele bis heute sticht wie ein Brennnesselbad: Welche Bayern-Spieler machten gegen Chelsea die ganze Tortur über 120 Minuten mit? Neuer, Lahm, Tymoschtschuk, Schweinsteiger, Kroos, Robben, Gomez und: ein Mensch namens Diego Armando Valentin Contento. Richtig, der Contento! Bis zum Elfmeterschießen hatte er damals einen handelsüblichen Linksverteidiger gegeben, es lässt sich also feststellen: Contento ist ein Augenzeuge dieses Monuments der Schmerzen.

"2012 werde ich niemals vergessen, unser bestes Saisonspiel. Es ging nur Richtung Chelsea-Tor. Dann kriegen wir aus dem Nichts das 1:1 und verlieren noch", sagt Contento, 26, heute. "Das bleibt für immer im Herz. Die Enttäuschung war riesig." Saublöd alles, hundsgemein und nervtötend, aber der Fußball ist eben manchmal so wie dieses Endspiel: ein Mikrokosmos fürs Unerklärliche. Contento findet einfachere Worte: "Nicht gut gelaufen für uns." Dabei erlebte er selbst in dieser Nacht einen Karriere-Höhepunkt. Als einziger echter Münchner neben Philipp Lahm im Münchner Finale - das klingt nach großer Gefühlswallung.

Und die war es ja auch, obwohl Contento derjenige war, bei dem in der Kneipe mancher raunte: Puh, ob das gut geht mit diesem jungen Kerl? Es ging erstaunlich gut, musste es ja, denn einen anderen hatten die Bayern seinerzeit nicht. Koa Alaba (der gelb-gesperrt fehlte), koa Bernat, koa Badstuber. Nur Contento, den Italo-Bayern, dessen Eltern vor vielen Jahren aus der Nähe aus Neapel eingewandert waren. Sie ermöglichten so die Geschichte eines Fußballers, der für ein Dilemma des FC Bayern steht: Jungs aus der Bayern-Jugend schaffen es seither nicht mehr zu den Profis. Woran das liegt, lässt sich an Contentos Beispiel nachzeichnen.

Seit Schweinsteiger, Lahm, Alaba, Müller und mit Abstrichen Badstuber ist keiner mehr dabei gewesen, der qua Herkunft das "Mia-san-Mia"-Gen implantiert hat. Ab nächster Saison heißen die bayerischsten Bayern (neben Müller) Ribéry, Robben und Neuer - alles "Zuagroaste", wie man sagt. Contento dagegen ist in Ramersdorf aufgewachsen, zwischen Innsbrucker Ring und Salzburger Autobahn. Das ist da, wo selbst in München auch ein bisserl der Putz abgeht. Heute spielt er in der französischen Liga bei Girondins Bordeaux, sein zweiter Profiklub nach zuvor 13 Jahren FC Bayern. Er sagt: "Ich bin eher die treue Sorte Mensch. Ich bin keiner, der gerne wandert."

Van Gaal als großer Förderer

Er wäre also gerne geblieben, nachdem er mit 19 einen Null-auf-Hundert-Start hingelegt hatte. Contentos Aufstieg fiel in eine Zeit, in der ein gewisser Louis van Gaal das Bayern-Credo auf seine eigene Weise interpretierte: "Mia san mia - und ich bin ich!" Zu diesem Ich zählte beim Holländer auch die Idee, im Klub eine einheimische Identität zu bewahren. "Van Gaal war neben Herrmann Gerland (damals Trainer der U23, d. Red.) die entscheidende Figur für mich. Ich habe im Training alles gegeben, und das hat er erkannt", sagt Contento, "er war ein sensationeller Coach, ein großer Förderer." Klar, habe der General auch mal herumgeblafft, "aber er meinte es gut, das spürte ich."

2010 spielte Contento in beiden Halbfinals der Champions League gegen Lyon, ehe er die Finalniederlage gegen Inter Mailand von der Bank aus verfolgte. Solche Experimente traute sich keiner von van Gaals Nachfolgern, zumindest nicht in Spielen vom Rang "Tod oder Gladiolen". Jupp Heynckes verhalf zwar Emre Can und Pierre-Emile Højbjerg zum Debüt, doch mehr als ein paar Mal reinschnuppern war für die späteren Nationalspieler nicht drin. Pep Guardiola zauberte Talente wie Mitchell Weiser, Gianluca Gaudino oder Lucas Scholl aus seinem Tüftlerhut, aber nachhaltig gefördert hat er keinen von ihnen. Alle spielen längst anderswo.

Und Carlo Ancelotti hat gar keine "Eigengewächse" mehr zu Verfügung, sondern Joshua Kimmich und Renato Sanches - beide teuer und talentiert, aber sie duften eben nicht nach bayerischer Folklore. Die Frage ist: Sind all die Genannten nicht gut genug oder bekommt der Nachwuchs bei Bayern keine Chance mehr? In Contentos Fall war es wohl eine Mischung aus beidem. Nachdem er unter van Gaal noch phasenweise zum Stammpersonal zählte, setzte ihn Heynckes mit Ausnahme des Chelsea-Endspiels immer weniger ein. David Alaba transformierte sich zum Alaba der heutigen Zeit - und wenn der fehlte, spielte halt ein Linksverteidiger, an dem kein Mensch auf dieser Welt vorbeikommt: Philipp Lahm. Den hatte Heynckes kurzfristig wieder umfunktioniert - Lahm kann bekanntlich links wie rechts und ansonsten eh alles.

Warum Contento es immer schwerer hatte

Der Weltklassetyp Lahm, auch daran scheiterte also der Mittelklassemann Contento. Insofern ist seine Geschichte gleichermaßen eine übers Timing wie auch übers Talentiertsein. Während es 2012 vor lauter Linksfüßermangel noch hieß: Contento, das wäre mit ganz viel Wohlwollen sogar einer für Joachim Löw, verbrachte derselbe Contento sein drittes Champions-League-Finale 2013 nur noch in Zivil. Er stand gar nicht im Aufgebot, weil die Münchner ihren Millionenkader mittlerweile entsprechend hochgerüstet hatten. "Es gab 18 super Leute, da war es auch für den Trainer schwer, allen gerecht zu werden. Wenn der es so entscheidet, kannst du es nicht ändern", sagt Contento. Enttäuschung ja, Resignation nein. Wer ihm genau zuhört, merkt aber auch: Er wusste schon, dass er an seinem persönlichen Limit angekommen war.

Im Blitzlicht neben all den Bayern-Ikonen

Contentos Karriere ist das zufälligste Start-up der vergangenen zehn Bayern-Jahre, aber selbst der Zufall hat Grenzen. Vieles fand er selbst "unbeschreiblich", die Spiele im Blitzlicht neben den Schweinsteigers und Lahms haben ihn beeindruckt. Im Grunde empfinde er es bis heute so, "dass ich diese Erlebnisse kaum realisieren kann." Dauerhaft hat es für ihn nicht gereicht, mit all den Weltklasseleuten mitzuhalten: Seine Chancen auf Einsatzzeit blieben überschaubar, die Karriere bog ab Richtung Tribüne. Man könnte also folgern, dass Contento dem Niveau nicht ganz gewachsen war, dass die Zweifler in den Kneipen doch recht hatten. Festzustellen ist aber auch, dass der Leistungsbetrieb beim Rekordmeister die Entwicklung seiner Nachwuchsspieler nicht gerade fördert.

Contento findet: Es fehle nicht an Talenten, es liege an der Einstellung der Jungen. Während Jugendspieler heute gerne mal ans Handy oder an die Playstation denken, umschreibt er seinen Arbeitsethos gerne mit Worten wie "kämpfen" oder "immer hundert Prozent geben". Das Einmaleins der Phrasen zwar, aber irgendwie auch glaubwürdig. Trotzdem scheiterte er am fehlenden Vertrauen der Bayern-Verantwortlichen in sein Können. Man könnte es verwunderlich finden, dass Contento dieses Schicksal einfach so hinnahm, aber auch er weiß eben: Einen wie ihn würde sich der FC Bayern heute nicht mehr gönnen. Der Nachwuchs braucht heutzutage schon den Stempel "Jahrhunderttalent", um es zu packen.

"Man muss den Konkurrenzkampf annehmen und sich reinknien", sagt Contento rückblickend über seine Erfahrungen als Bankangestellter, "es gibt halt nix geschenkt, schon gar nicht bei Bayern." Er selbst fand im Sommer 2014, dass er es zu Genüge probiert hatte. Die Aussicht auf Minuten schrumpfte unter Guardiola auf ein Minimum - schließlich verlangte der Katalane von seinen Abwehrspielern mehr als nur reines Verwalten.

Als der Klub mit dem zehn Millionen Euro teuren Juan Bernat einen dritten Linksverteidiger holte, "war es Zeit für eine neue Herausforderung." Die Konkurrenz erdrückte Contento, er wollte weg von seinem "Herzverein", für den er seit seinem fünften Lebensjahr aktiv war. Auf einer Amerika-Reise erreichte ihn ein Anruf von Willy Sagnol, dem berühmtesten Halbfeld-Flankengeber in der Geschichte des FC Bayern. Der damalige Trainer von Girondins Bordeaux bot ihm eine Position mit reichlich Spielzeit an. "Er sagte: 'Bordeaux ist eine super Stadt, ein toll geführter Verein mit großer Ambition im europäischen Fußball'", erzählt Contento. "Und er meinte, dass ich als offensiver Linksverteidiger gut hinpassen würde."

Das überzeugte Contento, der einen Schritt zurück machte, um endlich regelmäßig dran zu kommen. Er tauschte die Atlantikküste gegen die Isar, lernte Französisch und hat es seither zur Stammkraft in der Ligue 1 gebracht - auch ohne Trainer Sagnol, der vor einem Jahr gehen musste. Contento rennt nun meistens die linke Bahn rauf und runter, er spielt so wie er es in München auch oft tat: solide bis unauffällig. Bis vor kurzem besaßen die Bayern noch einen Teil der Transferrechte an ihm, sie hätten sich also ein wenig bayerischen Anstrich zurückholen können - doch diese Tür ist jetzt zugefallen. Wenn im Mai Philipp Lahm (aufgewachsen im Stadtwesten) aufhört, ist der FC Bayern alle seine echten Münchner los.

Und Herrmann Gerland übernimmt das neue Nachwuchsleistungszentrum, aus dem endlich wieder mal ein heimischer Fußballheld entspringen soll.

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