Die Ukraine vor der Fußball-EM:Charterflüge zum Campingplatz

Im EM-Gastgeberland Ukraine sind jetzt alle für das Turnier vorgesehenen Stadien eingeweiht - das überdeckt die wahren Probleme der Veranstaltung im kommenden Sommer: Vor allem bei den angekündigten Verbesserungen in der Infrastruktur hängen die Organisatoren deutlich hinterher. Sorgen bereitet außerdem die Situation der Unterkünfte.

Johannes Aumüller, Kiew

Das Gefühl für Inszenierungen haben sie in der Ukraine noch nicht verloren. Vor rund einem Monat luden die Organisatoren der Europameisterschaft zur großen Eröffnungsfeier des Kiewer Stadions, mit viel Brimborium, Feuerwerk und einem Auftritt der Sängerin Shakira - und nur die Pfiffe des Publikums gegen Staatspräsident Viktor Janukowitsch störten die Party-Atmosphäre.

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Kopf hoch - am Ende ist noch jedes Stadion fertig geworden! Im September werkelten die Arbeiter in der neuen Arena von Kiew, inzwischen liegt Rasen.

(Foto: AFP)

Alle vier EM-Stadien sind nun eingeweiht, und nach den jüngsten Glitzer-Shows zeigen sich die Verantwortlichen erleichtert. "Es gibt keine größeren Probleme mehr", behauptet der umstrittene Fußballverbands-Präsident Grigorij Surkis. "Vielleicht zum ersten Mal seit der Vergabe des Turniers schauen wir nach harter Arbeit der EM optimistisch entgegen."

Doch selbst am Tag des Spiels gegen die deutsche Nationalelf (die Partie endete 3:3) war die Arbeit rund um das Kiewer Stadion nicht zu Ende. Drinnen ist die unterste Sitzreihe so niedrig angebracht, dass es schwerfällt, über die Werbebande zu lugen. Draußen klafft noch ein tiefes Loch in der Erde: Dort soll ein Einkaufszentrum entstehen, in Teilen war es sogar schon einmal fertig.

Doch dann wies Europas Fußball-Verband Uefa die Organisatoren an, das Gebäude aus Sicherheitsgründen wieder abzureißen und eine Nummer kleiner zu bauen. Auch an anderen Spielstätten gibt es noch Probleme, in Lwow zum Beispiel fehlen Teile des Daches, eine richtige Zufahrt gibt es auch noch nicht.

Trotz dieser Probleme ist die Stadien-Situation sieben Monate vor Turnierbeginn aber immerhin halbwegs befriedigend - anders als der restliche Stand der Vorbereitung. Von all den zahlreichen infrastrukturellen Projekten, die das Organisationskomitee angehen wollte, von den geplanten Metro-Stationen und Fernstraßen ist jedenfalls nur wenig zu sehen. Manches soll bis zum Sommer kommenden Jahres noch entstehen, vieles wurde schlicht gestrichen.

Zehn Klos für 350.000 Euro

Besonders problematisch ist die Situation bei den Unterkünften. Die Klientel, die gerne und selbstverständlich in Nobelhotels nächtigt, ist bestens versorgt. Doch weil sich mit Blick auf die Nach-EM-Nutzung Investitionen in Hotelzimmer des niedrigeren Preissegments offenbar kaum lohnen, herrscht hier ein massiver Mangel - und dieser Missstand führt zu absurden Situationen. Da schlagen die Verantwortlichen interessierten Fans vor, sie könnten doch auf Campingplätzen oder in Kasernen übernachten.

Auch sollen Studenten früher als üblich ihre Wohnheimplätze räumen, um Platz für EM-Gäste zu schaffen. Und da denkt die Stadtverwaltung in Donezk darüber nach, sich gar nicht weiter um Hotels im Drei-Sterne-Bereich zu kümmern, sondern die Besucher nach Spielende via Charterflug in andere Städte zu bringen. Dort wird sich schon was finden lassen, vielleicht auf einem Campingplatz oder in einem Studentenwohnheim.

Abrisse und Neubauten verschlingen Geld

Solche Entwicklungen sind es, die den Frust mächtig erhöhen. Zumal sich die Ausgaben für das Turnier im Vergleich zur ursprünglichen Planung vervielfacht haben. Rund zehn Milliarden Euro investierte der ukrainische Staat mittlerweile, allein das Kiewer Stadion kostete mehr als 500 Millionen US-Dollar und damit mehr als doppelt so viel wie geplant. Auch manche andere öffentlich gewordene Investition zeigt, wie das Geld versickerte. Die Stadt Charkow bestellte zehn Holzbänke für 5500 Euro - je Stück. Die Stadt Donezk orderte zehn mobile Toiletten im Wert von 350.000 Euro.

Und der Abriss und Neubau des Einkaufszentrums vor dem Kiewer Stadion wird einen hohen zweistelligen Millionenbetrag verschlingen. Vor allem der für die EM-Vorbereitung verantwortliche Vize-Premier Boris Kolesnikow geriet deshalb in die Kritik. Nach Recherchen der Ukrainskaja Prawda soll er rund um den Bau des Kiewer Stadions Aufträge an Firmen von Freunden vergeben haben und sogar an ein Unternehmen, an dem er selbst beteiligt sein soll, was Kolesnikow strikt bestreitet.

Die frühere Ministerpräsidentin Julija Timoschenko - eine erbitterte Gegnerin der aktuellen Regierung und in einem offenkundig politisch motivierten Prozess unlängst zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil sie angeblich zu Lasten des Staates gewirtschaftet habe - griff die Verantwortlichen heftig an. "Prestigeprojekte wie die Fußball-EM 2012 dienen der Geldwäsche", sagte sie.

Nicht nur im Baubereich gibt es Probleme. Auch die Sicherheitslage ist verbesserungswürdig, wenngleich die Ukrainer darunter bisweilen etwas anderes verstehen als westeuropäische Beobachter. In der Hauptstadt Kiew streunen Zehntausende wilder Hunde herum, und bis zum Turnierbeginn will man möglichst viele davon von den Straßen holen. Berichte über das Vergiften und Verbrennen der Tiere schockierten zuletzt sogar Spieler der deutschen Nationalelf.

Andere Experten denken bei der Sicherheitslage eher daran, dass die Notrufnummer 112 noch nicht überall funktioniere und dass auch die Polizisten insgesamt schlecht vorbereitet seien. Viele sprechen sehr schlecht oder gar nicht Englisch. Zudem ist die Beschilderung, etwa des öffentlichen Nahverkehrs, oft nur auf Kyrillisch.

Die Verantwortlichen intensivieren daher die Suche nach Freiwilligen, die den ausländischen Fans während der EM helfen sollen. Doch Berichten mancher Studenten mit Fremdsprachenkenntnissen zufolge läuft auch das zum Teil auf fragwürdige Art und Weise ab: Danach sollten sich diejenigen, die bald ihren Uni-Abschluss bestehen wollen, vorher besser als Freiwillige melden.

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