Die Trainer und ihre Spiel-Philiosophie:Menschenfänger zwischen den Systemen

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Pep Guardiola, Thomas Tuchel, Dirk Schuster und Alexander Zorniger (von links oben im Uhrzeigersinn): Menschenfänger und Systemkenner.

(Foto: dpa)

Ballbesitz- oder Umschaltfußball? Für moderne Trainer ist das keine Entscheidung mehr, sie müssen ihren Teams beides beibringen. Und sind zudem noch als Psychologen gefragt.

Von Tobias Schächter

"Wenn man Bayern München trainiert", sagt Dirk Schuster leicht gestelzt, "kann man alle Varianten des Fußballsports rausholen."

Dirk Schuster trainiert aber nicht den deutschen Rekordmeister mit seinen Weltstars, sondern den SV Darmstadt 98. Die "Lilien" sind im Sommer zum ersten Mal seit 33 Jahren wieder in die Bundesliga aufgestiegen, die Spieler heißen nicht Arjen Robben oder Robert Lewandowski, sondern Gerome Gondorf oder Dominik Stroh-Engel. Außerhalb der Stadtgrenzen treiben diese Namen wohl keinen Jungen auf den Bolzplatz. Seit drei Jahren heißt es vor jeder Saison über den SV Darmstadt 98 des Dirk Schuster, die Mannschaft sei Absteiger Nummer 1. Doch entgegen der Voraussagen sind die Lilien in den letzten Jahren immer auf- statt abgestiegen: von der dritten in die zweite Liga und von der zweiten direkt weiter in die erste. Und nach der Vorrunde dieser Bundesligasaison stehen die Südhessen mit ihren anderswo gescheiterten Profis, dem alten Stadion und dem kleinen Budget nicht hoffnungslos am Tabellenende, sondern mit 18 Punkten ordentlich im hinteren Mittelfeld. Gelänge der Klassenerhalt, wäre das für Dirk Schuster, der jüngst vom kicker zum "Mann des Jahres" gekürt wurde, wie der Gewinn eines großen Titels.

"Wir können nur das spielen, was unsere Spieler können"

Dirk Schuster gehört zu den Pragmatikern der Trainerzunft. Er weiß, dass seine Mannschaft nicht wie Bayern München spielen kann, also lässt er sie wie Darmstadt 98 spielen: defensiv, zweikampfbetont, willensstark und auf Konter lauernd. Schuster sagt: "Wir können nur das spielen, was unsere Spieler können." Mit diesem vermeintlich einfachen Ansatz generiert dieser Trainer gemessen an den Voraussetzungen seines Klubs maximalen Erfolg. Ähnliches lässt sich übersetzt auf die jeweiligen Verhältnisse von den Trainern Peter Stöger in Köln, Markus Weinzierl in Augsburg, Ralph Hasenhüttl in Ingolstadt, Martin Schmidt in Mainz oder Pal Dardai in Berlin sagen. Andersherum zeigte diese Vorrunde aber auch: Trainer, die ihre eigene Idee vom Fußball über die Fähigkeiten der Spieler stellen, scheiterten krachend.

Andreas Zorniger beim VfB Stuttgart war seinen Job schon nach fünf Monaten wieder los, weil er bedingungslos an seiner Spielart der Vorwärtsverteidigung festhielt, obwohl im Kader dafür viel zu langsame und zu schlechte Abwehrspieler stehen. "Alternativlos", nannte Zorniger beratungsresistent das Festhalten an seinem Stil, obwohl keine Mannschaft mehr Gegentore kassierte als seine und die Anfälligkeit für Konter in dieser extrem offensiven Spielweise ohnehin gegeben ist. Außerdem ist dieser Stil durch die ständige Balljagd sehr kräfteraubend, was zum Beispiel die TSG Hoffenheim oft am Ende eines Spiels in dieser Vorrunde Punkte kostete. In Markus Gisdol verlor in Hoffenheim ein zweiter rigoroser Verfechter des risikoreichen Vorwärtsverteidigungsfußballs früh in der Runde seinen Job. Der einzige Kompromiss, zu dem Gisdol bereit war, war die Verschiebung der Anlaufhöhe des Gegners um ein paar Meter weiter hinten. Es ist nicht ohne Ironie, aber folgerichtig, dass die Dogmatiker von Pragmatikern ersetzt wurden: der rebellische Zorniger in Stuttgart vom biederen U-23-Trainer Jürgen Kramny; der am Ende leere Gisdol von dem 62 Jahre alten Huub Stevens, einem Altmeister der Defensivkunst.

Die vermeintliche Avantgarde war leicht zu entschlüsseln

Was beide Trainer falsch einschätzten: Der attraktive Vorwärtsverteidigungsfußball, den Ralf Rangnick einst in Hoffenheim geprägt und Jürgen Klopp in Dortmund zur Meisterschaft geführt hat, ist nicht mehr Avantgarde. Keine Mannschaften waren in dieser Bundesligavorrunde leichter zu entschlüsseln als Hoffenheim unter Gisdol und Stuttgart unter Zorniger. Der "Kampf der Systeme" (Gisdol) tobt nicht mehr so wie vor einigen Jahren: Die Ballbesitz-Lehre eines Pep Guardiola, wie er diese in Barcelona lehrte und der aggressive Vorwärtsverteidigungsrausch wie ihn Klopp in Dortmund zelebrierte, vermischen sich immer mehr. Vor ein paar Jahren, erinnert sich der aktuelle Mainzer Trainer Martin Schmidt, habe es nur die Barca-Schule gegeben und die andere: "Viele haben versucht, wie Barca zu kicken, aber dann zu wenig Punkte geholt, weil du für diesen Stil allerhöchste individuelle Klasse brauchst. Dann gab es diesen Umschaltfußball. Jetzt beginnen sich die beiden Stile zu mischen. Man redet derzeit sehr viel von der Balance zwischen den beiden Systemen. Als modernes Team bist du besser aufgestellt, wenn du beides kannst." Mit Ballbesitz tun sich außer den Bayern und Dortmund fast alle Mannschaften schwer. Zeit und Raum werden für die Spieler am Ball immer knapper, nur die besten Spieler finden unter Druck Lösungen. Deshalb machen Spieler mit der Schnelligkeit und der Ballbeherrschung wie Robben, Lewandowski oder Douglas Costa oft den Unterschied, weil sie eine 1:1- oder sogar 1:3-Situation gewinnen und so Raum und neue Möglichkeiten schaffen.

Aber selbst die Bayern unter Guardiola spielen keinen reinen Ballbesitz-Fußball mehr. Die Guardiola-Bayern erobern sich das Spielgerät nicht nur deshalb immer wieder so schnell zurück, weil die Gegner müde sind vom Hinterherlaufen und dem ständigen Defensivdenken. Unter dem Katalanen spielen die Münchner auch ein perfektes Pressing bei der Balljagd. Und dass Ballbesitz nur um des Ballbesitzes Willen nicht zwangsläufig erfolgreich ist, zeigt die derzeitige Stagnation von Manchester United unter Louis van Gaal, einem Guru dieses Stils. Andererseits fügt Thomas Tuchel in Dortmund derzeit den klassischen Tugenden des Pressing- und Gegenpressingfußballs einen Ballbesitzansatz mit großer Zielstrebigkeit hinzu.

Guardiola und Tuchel sind Trainer, die sich sehr stark über Taktik definieren. Beide suchen detailversessen nach der besten Lösung für die jeweilige Aufgabe. Von alten Fußballweisheiten wie "Never change a winning team" halten sie nichts. Diese Trainer verändern nicht nur fast wöchentlich die Aufstellung, sondern wechseln in einem Spiel mitunter auch mehrmals die taktische Ausrichtung. Glaubt der Gegner, die Guardiola- oder Tuchel-Elf entschlüsselt zu haben, stellen diese Trainer dem Kontrahenten durch Umstellungen plötzlich neue Rätsel. Beide machen mit ihrem Ansatz Spieler und Mannschaften besser, selbst auf diesem höchsten Niveau.

Der Jugendfußball ist ein Trainerspiel, bei den Profis ist es ein Spieler-Spiel

Aber wer entscheidet Spiele? Der Trainer oder die Spieler? Martin Schmidt sagt, vielleicht würden sich Trainer manchmal ein bisschen zu wichtig nehmen: "Ich glaube, der Jugendfußball ist ein Trainer-Spiel. Bei den Junioren ist es wichtig zu coachen, wer wo steht, wie läuft und so weiter. Aber je höher es geht, desto mehr wird der Fußball ein Spieler-Spiel. Die Spieler entscheiden das Spiel. Der Trainer kann mitentscheiden, je besser er die Spieler vorbereitet, motiviert und sie in die richtige Verfassung bringt." Ein Trainer, sagt der Schweizer Schmidt, der in seinem früheren Leben unter anderem Schafhirte, Extremskifahrer, Automechaniker und Modeunternehmer war, müsse vor allem auch: ein Menschenfänger sein.

Dass Psychologie immer wichtiger werde, beweisen für Schmidt Trainer-Persönlichkeiten wie Jupp Heynckes oder Ottmar Hitzfeld, die bis ins hohe Traineralter Erfolge hatten. In der Ansprache machten diese Trainer keine Fehler, glaubt Schmidt. Dieses Gespür für die Gruppe sei für einen Trainer neben der Glaubwürdigkeit einer der wichtigsten Faktoren. Verlieren die Spieler den Glauben an den Trainer und dessen Weg, sind Veränderungen unausweichlich. Verändern Trainer in solchen Situationen nicht ihre Herangehensweise, tun das meistens die Vereine mit einer: Trainerentlassung.

Dirk Schuster sagt: "Als Trainer muss man flexibel sein. Es kann ja auch sein, dass Verletzungspech dazukommt. Man muss mit verschiedenen Situationen umgehen und richtige Schlüsse ziehen." Diese Einstellung hilft einem Trainer - egal, ob er Bayern München oder Darmstadt 98 trainiert. Ob Pep Guardiola und Dirk Schuster, beide, so ist zu hören, können auch ganz schön stur sein.

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