Die Strecke in Aserbaidschan:Enger als in Monte Carlo

Lesezeit: 3 min

In Baku gibt es Ecken, an denen gefühlt nicht einmal im stehenden Zustand zwei Rennwagen nebeneinander Platz hätten. (Foto: Kirill Kudryavstev/AFP)

Das Rennen könnte heikel werden: Das Kurvengeschlängel durch die Altstadt lässt Safety-Car-Phasen erwarten, die den Ausgang beeinflussen dürften.

Von Elmar Brümmer, Baku/München

Bescheidenheit ist nicht unbedingt eine Zier des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew, weshalb es nicht einfach nur ein Autorennen in der Hauptstadt Baku sein musste, sondern gleich der "Große Preis von Europa" in der Formel 1. Und damit auch jeder begreift, was das neue Land auf der Motorsport-Landkarte (sich) da geleistet hat, steht auf manchen der Sicherheitsbarrieren "Well done, Baku".

Wie gut es die Veranstalter, der Streckenarchitekt Hermann Tilke und Renndirektor Charlie Whiting wirklich gemacht haben, wird der achte WM-Lauf am Sonntagnachmittag zeigen. Aufgrund der höchst ungewöhnlichen Streckenführung gegen den Uhrzeigersinn, mit einer zwei Kilometer langen Höchstgeschwindigkeitsgeraden und einem Kurvengeschlängel durch die Altstadt könnte das Rennen durch Safety-Car-Phasen beeinflusst werden. An der schmalsten Stelle misst die Durchfahrtsbreite weniger als acht Meter - so eng geht es weder in Monte Carlo noch in Singapur zu. Es sind Verhältnisse wie in der nordamerikanischen Indycar-Serie, allerdings sind dort die Autos robuster und das Tempo nicht so hoch.

"Ab und zu die Pobacken zusammenkneifen"

Das Risiko spaltet vor der Premiere die Fahrergemeinde. Dass die sechs Kilometer lange Stadtrundfahrt anspruchsvoll ist, geben alle zu. Nur: Wie groß das Risiko tatsächlich ist, kann keiner abschätzen. Sebastian Vettel referierte nach dem Freitagstraining über die Diskrepanz zwischen den Simulatorfahrten und dem Echt-Test: "Der langsame Teil in der Altstadt ist nicht so schlimm wie erwartet. Die schnellen Kurven sind nicht so einfach, wie wir es erwartet hätten. Da muss man doch ab und zu die Pobacken zusammenkneifen." Vettel machen solche Herausforderungen Spaß, auch Weltmeister Lewis Hamilton fordert seine Kollegen auf, mit der Jammerei aufzuhören. Force-India-Pilot Nico Hülkenberg kann die Kritik an der Sicherheit in Baku nicht nachvollziehen: "Ich bin immer der Meinung, dass uns niemand zwingt, schnell zu fahren. Wenn sich einer unsicher fühlt, soll er früher vom Gas gehen."

Ganz so einfach ist das aber nicht. Es hat schon seinen Grund, dass zwei Jahrzehnte lang kein Toter mehr beklagt werden musste - ehe Jules Bianchi Ende 2014 im Regen von Suzuka in einen Bergekran krachte. Der Automobilverband FIA und die Fahrergewerkschaft GPDA legen immer strengere Maßstäbe an, wie die jüngsten Bemühungen um eine Cockpitkanzel zeigen, die für einen besseren Kopfschutz sorgen soll. Doch an temporären Rennstrecken werden sich immer die Geister scheiden, bleiben die Möglichkeiten begrenzt. Die fehlenden Auslaufzonen sind den örtlichen Gegebenheiten geschuldet, "Gebäude konnten wir leider nicht verlegen", sagen die Veranstalter in Baku.

WM-Spitzenreiter Nico Rosberg, wie Veteran Jenson Button einer der Kritiker an den Rahmenbedingungen, vertraut auf die Funktionäre um Renndirektor Charlie Whiting: "Ich hoffe, sie haben auch diesmal richtig gerechnet, auch wenn ich an einigen Stellen meine Zweifel habe. Aber es ist halt einfach nicht mehr Platz da." Fehler kann sich keiner erlauben, genau das mache aber den Reiz für ihn aus, bescheidet Lewis Hamilton. Der war weder im Simulator noch ist er die Piste abgelaufen - er vertraut auf seinen Instinkt und ein paar Playstation-Runden.

Mutprobe in der Gischt

Vor drei Wochen in Monte Carlo hatte es ebenfalls Sicherheitsdiskussionen gegeben. Zunächst wegen eines nicht verschweißten Kanaldeckels, dann wegen des Safety Cars, hinter dem im strömenden Regen gestartet werden musste. Sieben Runden lang bremste Bernd Mayländer das Feld ein, dann hatten die Funksprüche der Fahrer, dass man nun endlich richtig fahren wolle, Erfolg. Später beklagten sich viele Piloten, dass die Neutralisierung zu lange gedauert habe. Offiziell führten sie Probleme mit zu kalten Reifen an, aber den meisten ging es mehr um eine Mutprobe in der Gischt.

Der Stadtkurs von Baku, das muss auch Lewis Hamilton zugeben, ist eine weit größere Herausforderung: "Die Zielgerade ist sehr holprig, das Auto vibriert stark. Es ist schwierig, aber das ist Teil des Rennsports. Ich bin froh, dass es diese Bodenwellen gibt. Denn sonst würde es diesen Strecken den Charakter und das Leben nehmen." Dennoch fingen nach dem ersten Trainingstrag Umbauarbeiten an. Randsteine, an denen sich Reifen aufgeschlitzt hatten, wurden neu verankert, abgeflacht oder entfernt, die gefährliche Einfahrt zur Boxengasse durch eine länger durchgezogene Linie entschärft. Ob das genug war, um "eines der größten Abenteuer der jüngeren Formel 1-Geschichte" ( auto, motor und sport) sicher zu gestalten, wird der Ernstfall am Sonntag zeigen.

© SZ vom 19.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: