Die Saison des FC Bayern:Liebe auf den dritten Blick

Vom Krisenklub des Herbstes zum umschwärmten Kandidaten für das Titel-Triple: die Chronik einer erstaunlichen Bayern-Saison.

Andreas Burkert und Moritz Kielbassa

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FC Bayern Saison 2009/10

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8. August: Hoffenheim - FCB 1:1 (im Bild) Louis van Gaal hat Geburtstag, er wird 58 - und schenkt der Liga einen neuen Fachbegriff. Ralf Rangnick, sein Hoffenheimer Kollege, lobt die guten "Positionsspiele", die den FC Bayern auf ein "ganz anderes taktisches Niveau heben". Erst Monate später werden auch all jene Menschen, die van Gaal für ahnungslos hält, diese Fortentwicklung erkennen - darunter befinden sich wohl auch einige seiner Spieler. Zwar trifft erstmals Nulltarif-Zugang Olic zum 1:0. Doch noch erkennt niemand einen großen Plan. Das Spiel endet mit der ersten Krise: remis.

15. August: FCB - Bremen 1:1 Diesmal lernt die Liga, dass van Gaal bei der Bewertung von Spielen gerne exklusive Sichtweisen "kreiert", die mit Realität und Endresultat nicht viel zu tun haben müssen. Van Gaal sieht eine "sehr gute erste Halbzeit", 69.000 Besucher sehen: Ballgeschiebe ohne Torszenen - und das 0:1. 35-Millionen-Mann Mario Gomez verhindert mit seinem ersten Tor das Schlimmste (1:1). Lichtblick: Ein gewisser Thomas Müller macht nach seiner Einwechslung viel Betrieb. Wer?

22. August: Mainz - FCB 2:1 Noch mehr Krise: Schlechtester Start seit 110 Jahren! Van Gaal erlebt in der Karnevalshochburg sein erstes Waterloo, johlende Fans mit Rasseln bohren in den Wunden. Mit dem 0:2 zur Pause kommt die irrlichternde Abwehr glimpflich weg, auch Torwart Rensing patzt - und sofort werden Zweifel laut an van Gaals Personalstrategie hinten: Lúcio weg, dafür van Buyten, ein gewisser Badstuber und ein Spieler namens Braafheid in der Abwehr? Was denkt sich dieser strenge Mann aus Amsterdam?

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29. August: FCB - Wolfsburg 3:0 Mit dem Rücken zur Wand stehend, erinnern sich die Bayern-Bosse ihres liebsten Reflexes: Sie kaufen einen Star: Arjen Robben. Und: Plötzlich wird gezaubert im Zirkus Fröttmaning. 3:0 gegen Meister Wolfsburg - und die Liga hat ein neues Traumpaar: Rib & Rob. Wegen diverser Verletzungen Ribérys bleibt es in der Arena aber für lange Zeit der einzige Auftritt des neuen Dribbler-Duos. Das Tor hütet jetzt übrigens nicht mehr Michael Rensing. Sondern Jörg Butt.

12. September: Dortmund - FCB 1:5 (im Bild) Nach schwacher erster Halbzeit wird 1:1-Schütze Gomez ausgewechselt - wegen falscher Laufwege. Für den jungen Herrn Müller, der zwei schöne Tore schießt, ist Dortmund der Durchbruch. Auch für Bayern? Nun, in Erinnerung bleibt zunächst nur der kolossale Jubelsprung Ribérys in die Arme van Gaals, nach seinem Tor zum 3:1. Ist es Liebe auf den dritten Blick? Nein, der Franzose liebt den Trainer in diesen Tagen so sehr wie seinen Zahnarzt.

19. September: FCB - Nürnberg 2:1 Müdes Derby, spätes Siegtor durch van Buyten (82.). Die Bayern holpern zur Wiesn-Zeit durch den Herbst.

26. September: Hamburg - FCB 1:0 Der FC Bayern spielt im Liga-Hit passabel (doch, der HSV ist mal eine Spitzenmannschaft gewesen). Aber die Zuspitzung im Sturm geht ihm ab - wie so oft in dieser zähen Phase. Van Gaal lernt an jenem Abend, dass zu viele Personal- und Systemwechsel sein Team überfordern.

3. Oktober: FCB - Köln 0:0 Robben, der angeblich "Gläserne", ist verletzt. Was noch keiner weiß: Oft wird ihm das nicht mehr passieren. Gegen militant defensive Kölner sehen die Zuschauer wieder nur Ballgeschiebe. Van Gaal ist weiterhin auf der Suche, diesmal spielt ein gewisser José Sosa mit.

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17. Oktober: Freiburg - FCB 1:2 (0:1) Verdienter, glanzloser Sieg. Durchatmen. In dieser Zeit ohne Ribéry und Robben blüht ein letztes Mal Luca Toni auf - das finale Stammelf-Intermezzo des Italieners, der seinen Zahnarzt definitiv lieber mag als den Trainer.

24. Oktober: FCB - Frankfurt 2:1 Brechstangen-Kopfballtor zum Sieg von Verteidiger van Buyten (88.), den der Trainer als Nothelfer in den Sturm schickt. Van Gaal tippt sich nach dem Tor demonstrativ auf seine eisenharte Denker-Stirn. Die Geste zeigt zweierlei: Wie groß sein Ego ist - und auch der Druck, den er um sich herum spürt.

31. Oktober: Stuttgart - FCB 0:0 Wieder passiert vorne nichts. Bemerkenswertes Detail: Der begnadigte Nationalstürmer Gomez spielt von Beginn an, erstmals seit Wochen wieder. Er hat eine Stammplatzgarantie erhalten - weil Toni unten durch ist. Die Spieler lernen ihren Trainer erst jetzt richtig kennen. Sie merken: Van Gaal ist nicht nur schroff, pedantisch, dogmatisch - er geht auch auf die Spieler zu und ist bereit, seine Einschätzungen zu überdenken.

7. November: FCB - Schalke 1:1 (1:1) (im Bild) Ein erstes Endspiel für van Gaal? Ja, ganz offenbar. Weil in Magaths Minderjährigen-Truppe schon wieder ein Debütant trifft (Matip, 18), ist das Ergebnis im Spitzenspiel für die angeknockten Bayern weder Fisch noch Fleisch.

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22. November: FCB - Leverkusen 1:1 (im Bild) Das ultimative Endspiel für van Gaal? Oh ja, ganz gewiss. Das Ergebnis im Spitzenspiel ist wieder weder Fisch noch Fleisch. Kießlings 1:2 für Leverkusen wird wegen Abseits zu Unrecht aberkannt. Dass van Gaal bei einer Niederlage statt einer beginnenden Ära ein gescheitertes Experiment hinterlassen hätte, wird ein paar Monate später bestätigt werden, zumindest in Hintergrundgesprächen. Offiziell dementiert der Vorstand aber, über eine Trennung nachgedacht zu haben. Großes Indianer-Ehrenwort!

29. November: Hannover - FC 0:3 (0:1) Unverhofft entsteht etwas: In der Mitte findet sich ein weiteres neues Paar, das zum Kraftwerk der späteren Erfolgself wird: Van Bommel/Schweinsteiger. Der interne Kritiker Lahm hatte angeblich die Idee mit Schweinsteiger vor der Abwehr. Zusammen mit van Gaal, logisch. Olic ist in der langsam aufblühenden Elf der Retter: Seine Tore, seine Marathonläufe und seine Kampfhaltung reißen die Bayern mit. In Hannover gelingt ein überzeugender Sieg - 48 Stunden nach der so wichtigen, den Klub vereinenden Hauptversammlung in der Messe Riem, wo Uli Hoeneß zum Präsidenten gekürt wird - und van Gaal Applaus erhält.

4. Dezember: FCB - M'gladbach 2:1 Badstuber, neben Müller der zweite Aufstrebende aus dem eigenen Jugendressort, sichert den schmeichelhaften Sieg mit einer Freistoß-Bogenlampe (75.). Mit Glück bekommen die Bayern Rückenwind für ihr Erweckungserlebnis - das 4:1 vier Tage später in Turin.

12. Dezember: Bochum - FCB 1:5 (0:2) Die Blockaden sind gelöst, und auch die Gegner in der Adventszeit sind dankenswert schwach. In Bochum schießt sogar der Kroate Pranjic ein schönes Tor, van Gaals zweites Mitbringsel aus Holland, neben dem durchgefallenen Braafheid. Es wird vom Comeback des "Mia-san-mia" schwadroniert.

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19. Dezember: FCB - Hertha 5:2 (2:0) Frohes Fest! Gegen die Hertha deutet sich der Trend der Rückrunde an: Dass diese neuen Bayern nicht nur organisiertes Pressing und Positionsspiele beherrschen - sondern auch einen Herzenswunsch der Bosse auf der Tribüne erfüllen: Sie spielen keinen unterkühlten 1:0-Fußball mehr. Sie spielen Fußball, der die Münchner Champagner-Kundschaft zuweilen von den Sitzen reißt.

25. Januar: FCB - Hoffenheim 2:0 Die Bayern prüfen schon mal, wie sich das anfühlt: Platz eins. Zwar zieht Leverkusen (doch, Bayer 04 ist mal ein Topteam gewesen) am nächsten Tag nach. Nach Demichelis' Führungstor trift der deutsche Nationalangreifer Klose zum Endstand. Sein allererstes Saisontor.

23. Januar: Bremen - FCB 2:3 Eine Premiere: Es geht alles bei den Bayern. Bei den Bremern geht gar nichts, sie lassen links einen tunesischen Neuzugang vom FC Sahel verteidigen. Robben spielt gegen ihn. Robben beginnt dann an diesem Tag auch mit seinen wertvollen Kunstschüssen in letzter Sekunde. Nachdem Werder ausglich (niemand weiß, wie das gelang), jagte Robben einen Freistoß in den Winkel. Unglaublich. Diesmal springt Robben den Trainer an. Mit Folgen: Faserrriss bei van Gaal.

30. Januar: FCB - Mainz 3:0 Die Bayern hätten sich eigentlich bedanken müssen für das 1:2 im August am Bruchweg, den Auslöser für den Zukauf Robbens. Machen sie aber nicht. Schließlich ist kein Wetter für Blumen, es schneit. Das bemerkt auch FSV-Keeper Müller, der einen Kopfball des Teilzeit-Mittelstürmers van Buyten zum 1:0 durch die Beine lässt (58.). Butt hatte zuvor einen Elfmeter verschossen. Selbst schuld. Künftig tritt Robben vom Punkt.

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6. Februar: Wolfsburg - FCB 1:3 Butt hält diesmal einen Elfmeter. Ansonsten das Übliche: Robben trifft, auch van Buyten - und Ribéry. Das erste Tor des Franzosen nach fünf Monaten Enthaltsamkeit. Da Leverkusen gegen Bochum nur 1:1 spielt, ziehen die Bayern nach Punkten erstmals gleich.

13. Februar: FCB - Dortmund 3:1 (im Bild) Jetzt trennt die Münchner nur noch ein Tor von der Tabellenspitze. Sie fliegen längst, das ist jetzt allen klar. Ribéry steht erstmals seit Oktober wieder in der Startelf. Liebt er jetzt endlich van Gaal? Och nö, non, noch nicht. Van Gaal nimmt ihn ja schon in der 72. Minute wieder heraus. Es beginnt die ewige Litanei: Bei ihm spielen Profis nur, wenn sie zu 100 Prozent ...

20. Februar: Nürnberg - FCB 1:1 Die Bayern lassen auswärts Punkte liegen, dieser Trend wird sich nun ein paar Wochen fortsetzen. Van Gaal ist trotzdem vergnügt: Ein gewisser Diego Contento - 19, Münchner mir italienischen Wurzeln - gibt sein Debüt. Macht er gut.

28. Februar: FCB - Hamburg 1:0 Es ist vollbracht: Nach der Ewigkeit von 57 Spieltagen übernimmt der FC Bayern wieder mal die Tabellenspitze der Bundesliga. Ribéry trifft spät (78.). Zur Belohnung darf er durchspielen. Ausnahmsweise.

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6. März: Köln - FCB 1:1 Lukas Podolski hat es bei den Bayern zwar nicht geschafft, aber sie können ihn hier immer noch ganz gut leiden. Der Prinz darf deshalb ein Tor schießen. Geschenkt.

13. März: FCB - Freiburg 2:1 Intermezzo der alten Dusel-Bayern. Ein lächerlicher Freistoß geht Robbens 1:1 voraus, seinem Elfmeter zum Sieg ein ebenso überflüssiger Pfiff.

20. März: Frankfurt - FCB 2:1 (im Bild) Van Gaal hat es mit seinen ganz Jungen etwas übertrieben: David Alaba, 17, der in Florenz aushalf, wird nicht aus dem Betrieb genommen. Die Folgen erinnern an Barcelona 1999: Zwei späte Gegentore binnen 100 Sekunden.

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27. März: FCB - Stuttgart 1:2 Huch, Platz eins ist weg! Van Gaal hat sich - in guter Absicht - etwas verzockt und Robben sowie Ribéry erst nach der Pause gebracht. Denn ein Spieler spielt bei ihm nur, wenn ...

3. April: Schalke - Bayern 1:2 (im Bild) Wenige Tage nach dem Pokalerfolg auf Schalke folgt dieser Coup gegen den Widersacher Magath. Und dass in Unterzahl. An diesem Tag wird erkennbar: Der heimliche Star der Bayern ist Schweinsteiger. Er räumt alles ab. Wirklich alles.

10. April: Leverkusen - FCB 1:1 Der Abschluss der Münchner Tour de Force mit sieben Topspielen binnen 22 Tagen. Hoeneß und Rummenigge grinsen schon, als ihr Wagen am Stadion eintrifft: Schalke hat nachmittags in Hannover verloren. Hannover! Pfff.

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17. April: FCB - Hannover 7:0 Die Schalke-Besieger werden vorgeführt. Auf der Tribüne herrscht erstmals Hochstimmung. Klar, jetzt, wo der Titel immer wahrscheinlicher wird, feiern sie mit. So sind's halt, die Münchner.

24. April: Mönchengladbach - FCB 1:1 Klose, angeblich immer noch deutscher Nationalstürmer, köpft die Bayern mit seinem Ausgleich zum Titel, zumindest aus Expertensicht. Punkte auf Schalke verloren? Ach was, sagt der Experte van Gaal. "Wir haben es weiter in der eigenen Hand, denke ich."

1. Mai: FCB - Bochum 3:1 (im Bild) Der FC Bayern, neuerdings Champions-League-Finalist, ist durch. Experte van Gaal hat es natürlich gewusst: Seine beiden Töchter und die Enkel sind eingeflogen. Wie so vieles bei ihm ist auch dies: eine erstaunliche Punktlandung.

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