Die Motor City Detroit:Stolz auf Verlierer

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Kein Sieg, nur Skandale: Die Bürger der gebeutelten Automobil-Stadt Detroit finden Halt bei den Sportvereinen - obwohl die auch kräftig kriseln.

Jürgen Schmieder

Die Gebäude an der Michigan Avenue in Detroit haben zugenagelte Fenster und Wände, die mit Schimpfwörtern beschmiert sind. Menschen findet man in diesen Häusern nicht, eher schon Wölfe und Füchse, die aus den Wäldern in die Stadt gekommen sind und nun dort hausen.

Das Ford Field in Detroit vor der Super Bowl XL im Jahr 2006: ein Zufluchtsort in einer gefährlichen Stadt. (Foto: Foto: rtr)

Auf der anderen Seite, Richtung Woodward Avenue, fällt der Blick auf das Rathaus, in dem Ex-Bürgermeister Kwame Kilpatrick in den vergangenen Jahren auf seine Art Politik machte: Er feierte Orgien mit Stripperinnen und berechnete der bankrotten Stadt die Kosten dafür. Er kaufte seiner Frau mit städtischen Mitteln eine Luxuslimousine. Es war wie im alten Rom: Die Stadt brennt an allen Ecken und Enden, während "Nero" - so taufte ihn die Tageszeitung Detroit News - in seinem Palast rauschende Feste feiert.

Aber eine Rechtskurve weiter, auf der East Adams Avenue hinter dem Grand Circus Park, ragen plötzlich zwei prächtige Arenen auf: der Comerica Park der Tigers und das Ford Field für die Lions.

Die Glasfront des Ford Field erinnert an eine Kathedrale, vor dem Comerica Park grüßen riesige Bronze-Tiger. Es gibt Hot Dogs und Zuckerwatte, Bier mit Alkohol, Vergnügungsparks - und überall Polizisten. Es sind sichere Orte inmitten einer Stadt, die als die gefährlichste der USA gilt und in der Stadtführer Touristen raten: "Nehmen Sie Ihre Ringe ab, ziehen Sie Ihre ältesten Klamotten an, und lassen Sie es bitte nicht wie eine Führung aussehen. Sonst könnten wir tot sein."

In den Stadien fühlen sich Detroits Einwohner sicher. Das Spektakel bietet ihnen ein paar Stunden Zerstreuung von der Finanzkrise, den Entlassungen und der Gewalt auf den Straßen. Wer diese Stadt in Michigan verstehen will, der darf nicht nur auf die kriselnde Autoindustrie schauen, auf die Abwanderung des legendären Musiklabels Motown oder auf die Tatsache, dass Filme aus Detroit typischerweise Studien sozial schwacher Gesellschaftsschichten sind wie "8 Mile" oder nun "Gran Torino". Man lernt mehr über diese Stadt, wenn man seine Sportvereine betrachtet und die Menschen, die sich als deren Fans bezeichnen.

Die Football-Mannschaft der University of Michigan erreichte eine miserable Saisonbilanz. (Foto: Foto: rtr)

Am 28. Dezember 2008 war die Rekordsaison für die Detroit Lions zu Ende. Das Team hatte etwas erreicht, das noch nie zuvor einem Verein in der National Football League gelungen war: Es hatte keines seiner 16 Saisonspiele gewinnen können, am Ende gab es ein 21:31 bei den Green Bay Packers. "Es ist eine Schande", sagte Linebacker Ernie Sims nach dem Spiel. "Eine Schande für uns, eine Schande für Detroit."

Nicht nur die Lions, auch die anderen Detroiter Vereine sind schwach. Die Baseballmannschaft Tigers war die erfolgloseste in ihrer Division, die einst ruhmreichen Pistons dümpeln trotz der Verpflichtung von Superstar Allen Iverson im Mittelfeld. Die Basketballer waren vor wenigen Jahren in einen Bestechungsskandal verwickelt und wurden zwei Jahre lang von den Playoffs ausgeschlossen. Auch die University of Michigan steckt in der sportlichen Krise. Die renommierte Football-Mannschaft beendete die vergangene Saison mit einer Bilanz von 3:9 - der schlechtesten in der Geschichte der Universität.

Detroits Bürger sind trotz der Erfolglosigkeit stolz auf ihre Sportvereine - zu jedem Heimspiel der Lions kamen in dieser sieglosen Spielzeit mehr als 50.000 Menschen. Die Spiele der Baseballmannschaft Tigers verfolgten durchschnittlich 39.500 Besucher. Die Basketballer der Pistons sind mit 22.000 Besuchern pro Spiel der meistgesehene Verein der NBA. Und die Heimspiele der University of Michigan im benachbarten Ann Arbor sind seit 41 Jahren ausverkauft - und das in einem Stadion, das mehr als 106.000 Besucher fasst. Ein wenig ist Detroit wie der Ruhrpott: Je schlechter es einer Region geht, desto wichtiger werden Sportvereine. "Wenn du ein schönes Leben haben willst, dann zieh woanders hin", sagt der ehemalige Eishockeyspieler Steve Yzerman, der von 1983 bis 2006 für die Red Wings spielte. "Wenn du Sport liebst, dann komm nach Detroit."

Mit dem Misserfolg gehen die Einwohner ironisch um. Als die Tigers im Jahr 2003 nur 26 Prozent ihrer Saisonspiele gewinnen konnten - es war die schlechteste Bilanz in der Geschichte der American League - gab es T-Shits mit der Aufschrift: "Wenigstens ein Rekord." Und beim Spiel der Lions gegen die Packers im Dezember trugen die Fans Pullis mit der Aufschrift: "Gar nichts zu gewinnen, ist auch eine Form von Perfektion." Das Scheitern gehört zu Detroit - der trotzige Stolz auch. "Siege sind egal", sagt der Musiker Kid Rock, erklärter Fan sämtlicher Detroiter Sportvereine. "Es ist ehrliche Arbeit, die die Jungs abliefern. Das zählt für mich."

Sport wird in Detroit nicht gespielt, sondern gearbeitet. Man sah sich in den vergangenen Jahrzehnten als Motor der Nation, versteckt unter der glänzenden Karosserie. Nicht schön, aber kräftig und ausdauernd. So waren auch die Sportvereine in diesen Zeiten. Showtime gab es in Los Angeles, Michael Air Jordan spielte in Chicago - die Titel im Basketball gewannen 1989 und 1990 die Bad Boys der Detroit Pistons. Die Stars der Mannschaft blieben bescheiden, selbst Dennis Rodman wurde erst richtig verrückt, als er aus Detroit fortging.

Der Journalist Mitch Alborn schrieb kürzlich über ein Projekt, das er Ende der achtziger Jahre startete. Er versammelte die Stars der vier großen Detroiter Vereine zu einem Gespräch. Joe Dumars (Pistons), Barry Sanders (Lions), Steve Yzerman (Red Wings) und Cecil Fielder (Tigers). Alborn berichtet von vier Männern ohne Allüren, ohne Supermodel-Freundin, ohne Goldkettchen, ohne Bodyguards. Sie aßen Hot Dogs im Stadion der Tigers und sprachen ruhig. Alborns Kommentar zu diesem Treffen: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas in New York mit Alex Rodriguez, Stephon Marbury und Eli Manning möglich wäre. So etwas geht nur in Detroit."

Nun stockt der Motor, doch die Menschen hoffen nach wie vor auf bessere Zeiten, im Sport wie im Leben. Ein Hoffnungsschimmer sind die Eishockeyspieler der Red Wings, die 2008 den Stanley Cup gewannen. Die Stadt gab sich irgendwann den Spitznamen "Hockeytown", weil ihn sonst niemand haben wollte. Star des Teams ist Chris Chelios, der am 25. Januar 47 Jahre alt wurde. Am 7. Januar schaffte er seinen 880. Sieg in der NHL, das ist Rekord. Sein Kommentar dazu: "Nun ja, ich spiele ja auch schon lange." In dieser Saison hat Chelios mit seinen Red Wings die Chance, den Titel zu verteidigen - die Mannschaft ist derzeit die zweitbeste in der NHL.

Man darf Detroit, die Klubs und deren Fans nicht abschreiben. Auf dem Wappen der Stadt stehen zwei lateinische Sprüche: "Speramus Meliora" und "Resurget Cineribus": "Wir hoffen auf Besseres" und "Aus der Asche möge sie auferstehen". Die Sätze gelten für die Sportvereine, aber auch für Detroit und seine Bewohner.

© SZ vom 29.01.2009/aum/jüsc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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