Die Folgen des Triumphs:Singen wie Beckenbauer

Lesezeit: 3 min

"Gute Freunde kann niemand trennen": Die deutsche U 21 um Kapitän Maximilan Arnold und den sangesfreudigen Torhüter Julian Pollersbeck (2.v.r.) feiert mit dem EM-Pokal. (Foto: Nils Petter Nilsson/Getty Images)

Der Titel ist ein Sieg der Taktik und des Miteinanders. Der DFB feiert die "Deutschen Tugenden 2.0" - und will anders als 2009 genauso weitermachen.

Von Ulrich Hartmann, Krakau

Deutsche Fußball-Nationalteams zelebrieren ihre Erfolge als multi-kulturelle Musterbetriebe. In der Europameister-Mannschaft namens U21 spielen der Halb-Amerikaner Jeremy Toljan, der Halb-Ivorer Serge Gnabry, der Halb-Türke Levin Öztunali, der gebürtige Syrer Mahmoud Dahoud und Gideon Jung als Sohn ghanaischer Eltern. Sie pflegen ihr Miteinander als herrlich altmodischen Erfolgsfaktor. Der Torwart Julian Pollersbeck aus Altötting erhob sich nach dem berauschenden 1:0-Finalsieg gegen Spanien zum Integrationsbeauftragten und nahm seinen in Sachsen gebürtigen Kapitän Maxi Arnold im Kabinenjubel in den Arm. "Es sagt wohl alles, dass bei uns ein Bayer und ein Ossi beste Freunde sind", flachste Pollersbeck und parodierte daraufhin beängstigend gut die Franz-Beckenbauer-Schnulze "Gute Freunde kann niemand trennen".

Arnold ist eher der sachliche Typ. "Ich habe in einer Mannschaft selten so einen Zusammenhalt erlebt", sagte er gerührt über das Betriebsklima in der U21 und erklärte damit auch das außerordentlich gute Gelingen des von DFB-Spielanalysten komponierten Matchplans fürs Finale. Was im Leitbild des Verbands unter der etwas heimeligen Zeile "Deutsche Tugenden 2.0" firmiert, brachte der ältesten Junioren-Auswahlmannschaft in Krakau immerhin einen relevanten Titel ein. Mit Pressing und Gegenpressing von robotisch anmutender Präzision und Zuverlässigkeit verdarben sie den spanischen Eleganz-Fußballern jegliche Freude am schönen Spiel und verhalfen ihrem Torwart Pollersbeck gegen zuvor zwölf Mal in vier Spielen erfolgreiche iberische Präzisionsschützen zu einem Spiel ohne Gegentor. "Ich bin überstolz", sagte Käpt'n Arnold, "wenn es das Wort überhaupt gibt." Jetzt schon.

Um Europameister zu werden, muss man emotional, spielerisch und linguistisch alles möglich machen. Der seit zehn Monaten amtierende U21-Trainer Stefan Kuntz soll diesbezüglich zwar eine hervorragende Rolle spielen, trotzdem fragten sich langjährige Beobachter, welches Genie aus dem U21-Trainerstab den Spielern durch eine geradezu geniale taktische Vorbereitung diese historisch gute Leistung wohl ermöglicht haben könnte. Kuntz gilt immerhin als begnadeter Kabinenredner. So gut hat jedenfalls keine deutsche U21 mehr gespielt, seit eine Mannschaft unter anderem mit Mesut Özil, Sami Khedira und Mats Hummels 2009 erstmals die EM gewonnen hat. Der damalige Trainer Horst Hrubesch saß am Freitag in Krakau als DFB-Sportdirektor auf der Tribüne und weinte nach eigener Auskunft in den letzten Spielmomenten vor Rührung. In den frühen Morgenstunden warf sich beim Siegerbankett im Mannschaftshotel der DFB-Vizepräsident Ronny Zimmermann vor der Mannschaft auf die Knie und huldigte ihr in einem Akt demonstrativer Unterwerfung. Zimmermann ist Rechtsanwalt.

Trainer Stefan Kuntz soll weitermachen. Seine eigentliche Arbeit beginnt im September

Die Spieler begossen den Titel und all die Komplimente bis zum Sonnenaufgang mit hochgeistigen Getränken in Krakauer Amüsierbetrieben, und als sie nach und nach zurückkehrten, erwartete sie an einem Stehtisch vor dem Hotel der sinnierende Trainer Kuntz bei Rotwein und Zigarre. Der 54-Jährige, der auf den Tag genau 21 Jahre zuvor als Stürmer mit der deutschen Nationalmannschaft 1996 in London Europameister geworden war, zeigte sich in Krakau eher von der nachdenklichen Seite als mit dem draufgängerischen Gestus der Kuntz-Säge, mit der er damals als Fußballer reüssierte.

"Mein Dank geht an Hansi Flick", sagte Kuntz auffällig oft. Sein guter Kumpel arbeitet jetzt als Sportchef beim Bundesligisten Hoffenheim, hatte den nach einem Rauswurf in Kaiserslautern arbeitslosen Fußballmanager Kuntz im Juni aber noch als neuen U21-Trainer installiert. "Damals gab es darüber nicht nur Jubel, sondern auch Zweifel", berichtet Kuntz, kann mit dieser Erinnerung angesichts des Titelgewinns aber gut leben. Zugleich räumt er ein, dass seine Tätigkeit bei der U21 mit einem Klubtrainerjob nicht zu vergleichen ist. "Bei einem Verein wäre die Aufgabe so sicher nicht zu erfüllen gewesen."

Die Verlängerung seines mit der EM endenden Vertrages ist nunmehr gewiss, obwohl der DFB-Präsident Reinhard Grindel ihm noch nach dem Halbfinalsieg gegen England allenfalls zugesichert haben will, dass man sich nach der EM in aller Ruhe zusammensetze. Das klang noch nachdenklich. Mit dem Titelgewinn jedoch hat Kuntz vorerst einen Kündigungsschutz erworben, Grindel jedenfalls sagte: "Er verdient jetzt diese Chance" und man gewähre sie ihm wohl bis Olympia 2020. Das Präsidium muss dies noch beschließen.

So beginnt für den Juniorencoach Kuntz im September die eigentliche Arbeit, denn der Kader, den er im vergangenen Jahr von Hrubesch übernommen hatte, war selektioniert und vorbereitet. Kuntz hingegen muss nun jene neue Generation auswählen, mit der er 2019 die Europameisterschaft in Norditalien und dort wiederum die Olympischen Spiele 2020 in Tokio erreichen will. Sechs Spieler des Europameisterkaders von Polen bleiben auch in der nächsten Qualifikationsphase spielberechtigt, darunter Spieler wie Thilo Kehrer, Lukas Klünter, Nadiem Amiri, Mahmoud Dahoud und Levin Öztunali.

Nachdem die U21 im Juni 2009 in Schweden Europameister geworden war, übernahm der Stuttgarter Rainer Adrion den Trainerjob von Hrubesch und scheiterte krachend schon an der Qualifikation für die EM 2011. Mit dem Verbleib des Meistertrainers Kuntz stehen die Chancen auf eine lückenlose Fortsetzung der erfolgreichen Arbeit diesmal deutlich besser.

© SZ vom 03.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: