Die Fifa vor Kongress in São Paulo:Restlos vergifteter Weltverband

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Plant die nächste Kandidatur: Fifa-Präsident Sepp Blatter. (Foto: Getty Images)

In der Fifa tobt der Wahlkampf, eine aufreibende Woche steht bevor: Die Opposition sucht Blatters Gegenkandidaten, während Katar um seine WM fürchtet - und Beistand von einem der mächtigsten Funktionäre der Welt erhält.

Von Thomas Kistner, Rio de Janeiro

Es fliegen nun doch Tränengasbomben und Schlagstöcke, in den letzten Tagen vor der Eröffnung der Fußball-WM in São Paulo. Streiks und Proteste sorgten sogar dafür, dass die Vertreter der angehenden Kolonialmacht im Lande, Delegierte des Weltverbandes Fifa, mehrere Stunden für den Weg vom Flughafen in ihre Hotels brauchten.

Dabei hat Justizminister José Eduardo Cardozo an den Patriotismus seiner Landsleute appelliert: Man möge verzichten auf diese Proteste während der WM, um nicht das Image Brasiliens im Ausland zu beflecken.

Als wäre die Lage nicht angespannt genug, tobt auch der Wahlkampf im Land - und in der Fifa. Im Land sieht das so aus, dass Dilma Rousseff nun ein "Programm zur Wachstumsbeschleunigung der Ausrüstungen" verfolgt: Es zeigt die Präsidentin im Führerstand von Traktoren und anderem Landwirtschaftsgerät, das großzügig verschenkt wird. Wenn die Regierung kurz vor der Wahl 18 000 Maschinen im Wert von 1,7 Milliarden Euro aus Staatsmitteln an Hunderte Gemeinden verschenkt, dann, so der kritische Teil der Medien, müsse das Programm eigentlich lauten: "Maquinas para que te quer." Frei übersetzt: Maschinen, damit du mich liebst - und mich im Herbst wiederwählst.

Seine Mission ende niemals, orakelte Blatter kürzlich

Und damit zur Fifa, die Rouseff eher selten erwähnt in ihren Reden. Der Weltverband also, der im Kern aus dem seit Jahrzehnten herrschenden Vormann Sepp Blatter besteht, blickt in recht bemühtem Optimismus einer aufgeladenen Kongresswoche entgegen. Eine Zerreißprobe steht bevor, weil Blatter ja diese Mission hat, die, wie er sich jüngst zu verplaudern beliebte, "niemals endet", eine chronisch unvollendete Mission also, die ihn dazu zwingt, nächstes Jahr ein fünftes Mal für den Fifa-Thron zu kandidieren.

Der Mann reibt sich auf für den Weltfußball, für Fairplay, Jugend der Welt und all das, was die Marketingleute sonst noch so vorbeten. Blatter wird in São Paulo wohl in die Bütt gehen, der Applaus vieler persönlich geladener Gäste wird prasseln, denn: Er muss noch mal. Was verständlich ist mit 78 Jahren, aber doch immer mehr Widersacher auf den Plan ruft. Neider, die der seit 1975 laufenden Ära Blatter ein Ende setzen wollen.

DFB-Präsident Wolfgang Niersbach
:"Für uns gilt, was Blatter 2011 gesagt hat"

Der DFB-Präsident mischt sich in den Machtkampf um den Spitzenposten der Fifa ein, Spanien-Stürmer Diego Costa ist fit für das WM-Auftaktspiel und Fußball-Trainer Sami Hyypiä wechselt zu einem englischen Zweitligisten.

An die Spitze der Fifa-internen Protestbewegung hat sich der Europaverband Uefa gesetzt. Dessen Präsident Michel Platini hat sich auch durch den Stau São Paulos gekämpft. Im Fifa-Hauptquartier, dem noblen Hyatt-Hotel, nutzt die nächsten Tage dazu, sich mit Dutzenden Verbänden auf eine Position zu verständigen, die heftige Kritik am Blatterismus ausdrückt.

Überdies betreibt er die Suche nach einem Kandidaten, der gegen Blatter antreten soll. Ungeachtet der Wahlchancen, die gering sein dürften - der Dreh soll eher darin liegen, dass bei einem Wahlkampf das Thema "Alleinherrschaft Blatters" auf der öffentlichen Agenda bleibt. Samt der hässlichen Nebengeräusche, die es schon jetzt um einen Reizbegriff gibt: Katar 2022.

Was das künftige WM-Veranstalterland angeht, wird die Situation unübersichtlich. Das birgt Gefahren nicht nur für Platini, den sogar Blatter schon in die Nähe verbotener Einflussnahmen bei der damaligen Vergabe gerückt hatte, sondern auch für den Fifa-Chef selbst. Zum einen schlägt Platini auch auf dieser Planche zurück; der französischen Sportzeitung L'Équipe sagte er jetzt, es wisse doch "niemand, wem er (Blatter) seine Stimme gegeben hat. Es ist alles Bluff".

Zum anderen wächst in Funktionärskreisen die Sorge, dass der Amerikaner Michael Garcia, der dem Korruptionsverdacht bei den WM-Vergaben an Katar (und an Russland 2018) nachgeht, dank bester Drähte zu US-Nachrichtendiensten zu viel des Guten getan haben könnte. Am Montag will er seinen Report vorlegen. Über etwaige Sanktionen wird die Ethik-Spruchkammer nach der WM befinden.

Davon unabhängig könnten die jüngst von der Sunday Times aufgebrachten Vorwürfe gegen Katar die Regierungsbehörden in den USA aufschrecken. Im Zentrum stehen angeblich korrupte Leistungen, die der einstige Fifa-Vize und Blatter-Intimus Mohamed Bin Hammam über den von ihm geführten Fußballverband Asiens (AFC) erbracht haben soll. Bei einer Buchprüfung nach der Verbannung des Katarers war der AFC schon gewarnt worden, er könne neben Korruptionsgesetzen auch strikte Sanktionen gebrochen haben, die über den Iran und Nordkorea verhängt worden sind.

Mehr Enthüllungen drohen, weshalb Katar beim Kongress in São Paulo im Fokus steht. Das macht es unwahrscheinlich, dass das Emirat unbeschädigt aus der Sache herauskommt - selbst wenn die Fifa keine Sanktionen ergreift. Restlos vergiftet ist das Klima ohnehin zwischen Weltverband und künftigem WM-Ausrichter, schlimmer als das in Brasilien.

Auch Blatter sprach schon von einem "Fehler", die WM an Doha vergeben zu haben. Nun sichert Ahmed Al- Sabah, einer der mächtigsten Funktionäre der Welt, Katar Beistand zu. "Wir werden uns den rassistischen Anschlägen und Attacken stellen und an Katars Seite stehen", sagte der Scheich aus Kuwait, der jüngst Thomas Bach auf den IOC-Thron half, einem Sender am Golf. Offizielle in Katar weisen eingedenk der Äußerungen europäischer Fifa-Vorstände, die sich nach der Untersuchung WM-Neuwahlen vorstellen können, schon mal auf den Kostenfaktor hin: Investitionen bis zu 30 Milliarden Euro stünden auf dem Spiel. Die könnten womöglich eingeklagt werden.

"Ich bin kein Prophet", seufzte Blatter jetzt in São Paulo auf die Frage, wie der Fall Katar wohl ausgehe. Fest legte er sich dafür im aktuellen Problemfeld: "Ich bin sicher, wir werden eine großartige WM haben." Mit der winzigen Einschränkung: "Wir brauchen die Unterstützung des brasilianischen Volkes."

© SZ vom 07.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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