Die Bilanz von Paris:Socken bis zum Kinn

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"You cannot be serious": Der ehemalige Top-Spieler John McEnroe ausnahmsweise zahm auf der Tribüne, Entwarnung für die Schiedsrichter.

(Foto: Miguel Medina/AFP)

Der feurige Fred, schlafende Japaner, 19 Mal ein 0:6 und das Endspiel Paul gegen Fritz: Die etwas anderen Gewinner und Verlierer dieser French Open. Eine Bilanz der Kuriositäten und Besonderheiten der vergangenen 14 Tage.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Die French Open gehen am Sonntag zu Ende. 15 Tage lang wurde beim zweiten Grand-Slam-Turnier des Jahres auf der berühmten Terre Battue gekämpft, geflucht, geschimpft, gejubelt. Die Veranstaltung am Bois de Boulogne ist eine monströse Geschichte: Mehr als 800 Matches wurden ausgetragen. Rund 60.000 Tennisbälle verbraucht. Rund 50 Kilometer Tennissaiten wurden auf die Schläger aller Profis gespannt. Am Abend und in der Nacht kümmerten sich mehr als 110 Menschen darum, dass die Plätze wieder in Ordnung sind. 250 Ballkinder waren im Einsatz, geschult wie beim Militär. Mehr als 600 Interviews gaben die Spielerinnen und Spieler, und das waren nur die offiziellen. Ein kleiner Überblick über etwas andere Gewinner und Verlierer von Roland Garros 2015.

Gewinner: Philipp Kohlschreiber

Der gebürtige Augsburger ist der beste deutsche Profi in der Weltrangliste, die Top 20 würde er gerne bald wieder knacken. Doch in Paris erlebte er zum zweiten Mal hintereinander eine bittere Niederlage. Im vergangenen Jahr wurde sein Match gegen den Schotten Andy Murray wegen Dunkelheit abgebrochen, am nächsten Morgen verlor er 8:10 im fünften Satz. Diesmal wurde sein Match gegen den Spanier Pablo Andujar bei seiner 4:2-Führung im fünften Satz abgebrochen, der Deutsche hatte zuvor einen 0:2-Satzrückstand bravourös wettgemacht. Am nächsten Morgen machte er kein Spiel mehr, 4:6. Immerhin, in der Pressekonferenz war er richtig menschlich, plauderte ausgiebig über diese verkorkste Chance und war - Trommelwirbel! - richtig sympathisch. Und der soll mal für Ärger im DTB gesorgt haben? Muss eine Verwechslung gewesen sein.

John McEnroe

John McEnroe, der einstige Tennis-Zauberer, der frühere Tennis-Rüpel, hat seine Paraderolle gefunden. Alle Welt fordert oder liebäugelt zumindest mit der Idee, dass es im Welttennis einen "Commissioner" geben sollte wie im US-Sport, etwa im Basketball oder beim Football. Eine Art CEO, der sagt, wo es langgehen muss. BigMac fackelt nicht lange, er setzt sich eine Kappe auf, auf der "Commissioner of Tennis" steht, setzt sich in einen Regiestuhl, Kamera an - und ab geht die "You cannot be serious"-Show. Dies war ja sein legendärer Schiedsrichterbeschimpfungsausspruch. McEnroe kann heute noch genauso gut ledern wie früher, mit 56 Jahren sprüht er immer noch vor Wortwitz. Der siebenmalige Grand-Slam-Gewinner aus New York verfügt auch über eine herrliche Selbstironie - davon könnten sich manche deutschen Profis eine Scheibe abschneiden. Ausnahmsweise daher mal ein Fernsehtipp, auch für nächstes Jahr: Eurosport einschalten! Den Commissioner gucken!

Fred Stolle

Der Australier ist eine Legende, und wer das nicht glaubt, musste sich nur diesen fitten 76-Jährigen aus Hornsby ansehen und ihm zuhören, wie leidenschaftlich er über Tennis spricht. Stolle erhielt, nach dem Sieg des Serben Novak Djokovic in der dritten Runde gegen den Australier Thanasi Kokkinakis, nun eine Auszeichnung, weil sein French-Open-Sieg genau 50 Jahre zurückliegt. Ein feines Jubiläum. 1965 rang er Tony Roche nieder, damals wurde noch mit Holzschlägern gespielt. Auch im Doppel siegte er in jenem Jahr, mit Roy Emerson. Stolle, Spitzname Fiery Fred, war auch viele Jahre in Deutschland aktiv, er hat in der Bundesliga mitgewirkt, für den TC Bendestorf. Wilhelm Bungert, Kiki Kuhnke, Ingo Buding, Bodo Nitsche, er kannte sie alle. Stolle war dreimaliger Davis-Cup-Sieger, gewann 17 Grand Slams in Einzel, Doppel und Mixed, ein Riese seiner Zunft. Und wenn man ihn trifft und mit ihm spricht, sagt er: "Hey, schön, Sie zu treffen, alles gut?" Alles gut, feuriger Fred.

Bethanie Mattek-Sands

Die Amerikanerin ist so etwas wie die Cindy Lauper des Tennis. Sie singt zwar schlechter, aber dafür spielt sie besser Tennis. Einfach mal im Netz ihren Namen eingeben und staunen. Kommen lustige Bilder zum Vorschein. Die 30-Jährige aus Rochester, Minnesota, wirkt wie eine Skandalnudel, färbt sich schon mal die Haare blau und zieht ihre Socken bis kurz vors Kinn hoch. Großartige Frau, und wer das nicht glaubt, muss mal in Paris auf die Doppel- und Mixed-Wertung schauen. Im Einzel ist sie ja nicht mehr so gut als 164. in der Weltrangliste. Aber im Team lässt sie es krachen. Mit Landsmann Mike Bryan gewann sie den Mixed-Titel und kassiert die Hälfte von 114.000 Euro. Im Doppel steht sie auch im Finale, mit Lucie Safarova, der Tschechin, die ihrerseits im Einzel ja für Furore sorgte. Mattek-Sands ist stets voller Energie, wenn sie spielt, sie reißt andere mit.

Die Ausbaupläne

Es geht tatsächlich voran, bzw. es soll tatsächlich nun vorangehen, muss man wohl besser sagen. Seit Jahren müht sich die Fédération Française de Tennis (FFT) darum, die rüstige Anlage der French Open auf Vordermann zu bringen, moderner und gepflegter zu gestalten sowie Dächer über Arenen zu bauen, damit nicht immer Schluss ist, wenn es dunkel wird gegen 21 Uhr. Tausend politische Debatten, Initiativen und Vetos haben bislang den Umbau hin zu den "neuen French Open", wie schon seit langem geworben wird, nicht zugelassen; noch während dieses Turniers votierte der Pariser Stadtrat gegen die Erneuerungspläne. Nun sprach Premierminister Manuel Valls ein Machtwort, er stimmte der umstrittenen Ausweitung zu. Ob das etwas heißt, ob das der Durchbruch ist? Mal sehen. Irgendein Veto geht sicher noch.

Japanische Reporter

Japanische Reporter sind zu bewundern. Sie beherrschen eine Gabe, die tatsächlich im Alltag hilft: Sie lehnen sich nach vorne, mit dem Kopf auf den Tisch, und dann schlafen sie. Oder dösen. Oder träumen. Was auch immer, jedenfalls sind sie abwesend. Aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund verschlafen sie nicht einen einzigen wichtigen Matchball. Sie zucken dann hoch und schreiben so selbstverständlich weiter an ihren Geschichten wie ihre deutschen Kollegen, die partout wach bleiben und sich nicht ausruhen, weil sie glauben, dass man jeden Ballwechsel der Partie Ricardas Berankis gegen Sergej Stachowski sehen muss. Bloß weil DTB-Vizepräsident Dirk Hordorff Trainer von Berankis ist. Der verlor dann in Runde eins glatt in drei Sätzen, also Berankis, nicht Hordorff.

Verlierer: Die SpielerInnen

Es ist eine bittere Wahrheit, aber die French Open waren ein Turnier der Verlierer. 127 gab es alleine im Männer-Einzel, 127 auch bei den Frauen. Früher oder später erwischt es alle, alle bis auf eine Person. Natürlich gab es besonders bittere Niederlagen, eine Auswahl besonders prachtvoller, wenn man es positiv betrachtet: Amandine Hesse (Frankreich) - Samantha Stosur (Australien) 0:6, 1:6; Timea Babos (Ungarn) - Angelique Kerber (Kiel) 0:6, 1:6; Go Soeda (Japan) - Philipp Kohlschreiber (Augsburg) 1:6, 0:6, 2:6, Michail Juschni (Russland) - Damir Dzumhur (Bosnien) 2:6, 1:6, Aufgabe. Victor Estrella Burgos (Dominikanische Republik) - Pablo Carrena Busta (Spanien) 3:6, 1:6, 0:6. Überhaupt diese 0:6-Sätze, das sind ja die Trophäen der Loser. Sieben 0:6 gab es bei den Männern bis zum Finalwochenende. Bei den Frauen gab es sogar 19 Mal ein 0:6. Ob das etwas aussagt über die Leistungsdichte in den jeweiligen Tableaus? Schwer zu sagen. Auf jeden Fall sagt es aus, dass sieben Männer sowie 19 Frauen einen Satz mit 0:6 verloren haben.

Zuschauerentwicklung

In Melbourne bei den Australian Open kommen um die 700 000 Menschen zu ihren Tennis-Festspielen, in New York ist der Andrang ähnlich groß. Auch in Paris (wo es keine Night Sessions gibt) herrscht große Leidenschaft für den Sport, doch erstaunlicherweise sind die Besucherzahlen seit zwei Jahren rückläufig, wenn auch nur minimal. Das Rekordjahr ist nach wie vor 2012, mit 430 093 Zuschauern, 2013 erschienen 428 751 auf der Anlage am Bois de Boulogne, 2014 waren es 424 745, und für 2015 gehen die Hochrechnungen Richtung 420 000. Bei Preisen bis zu 180 Euro für eher normale Plätze ist das möglicherweise nicht ganz verwunderlich.

Linkshänder

Beim Linkshänder handelt es sich um Menschen, die all das auch können, was Rechtshänder können, nur machen sie es mit links. Weil es naturgemäß auf der Welt weniger Linkshänder als Rechtshänder gibt - man geht von einem Anteil von zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung aus -, gibt es auch weniger LinkshänderInnen im Tennis. Diese genießen genau aus diesem Grund den Vorteil, dass sie unangenehmer für Rechtshänder zu spielen sind. Weil die den Drall und den Spin und die Winkel, mit denen Linkshänder agieren, nicht so sehr gewohnt sind. Andererseits: Linkshänder spielen auch nur Tennis, in Paris sind wahrlich genügend von ihnen herumgelaufen, sie sehen tatsächlich wie ganz normale Tennisspieler aus. Und trotzdem wurden sie, man muss das so deutlich sagen, bei den French Open gemobbt. Sabine Lisicki beschwerte sich ja, sie hätte keinen für eine wichtige Übungseinheit gefunden, was wohl ja auch hieß, sie habe deshalb auch gegen Lucie Safarova verloren, die als beste Linkshänderin bis ins Finale vordrang. Die Franzosen lieben ja Initiativen so sehr wie Schwaben. Für 2016 muss es eine geben, die sich für die Belange der Linkshänder einsetzt. Auch im Eigeninteresse des deutschen Tennis übrigens. Es kann ja nicht sein, dass unsere Damen nicht beste Trainingsbedingungen erhalten.

Schiedsrichter

Die Schiedsrichter sind nicht grundsätzlich die Verlierer gewesen, sie machen einen guten Job - außer sie heißen Carlos Bernardes und werden von Rafael Nadal boykottiert. Oder sie müssen ein Spiel leiten zwischen Spielerinnen, die Tessah Andrianjafitrimo und Charlotte Robillard-Millette heißen. Dieses Duell gab es in der zweiten Runde im Feld der Juniorinnen. Immerhin haben sie es schnell gemacht. Die Kanadierin Robillard-Millette siegte 6:0, 6:2. Im Finale standen dann übrigens Anna Kalinskaya aus Russland und Paula Badosa Gibert aus Spanien. Auch anspruchsvoll zum dauerhaften Aussprechen und Ansagen; es siegte Badosa Gibert. Die Junioren haben sich da vom Namen her etwas entgegenkommender ins Finale gespielt. Paul und Fritz hießen die Finalisten. Tommy Paul aus USA spielte gegen Landsmann Harry Taylor Fritz. Paul siegte und ist somit auch einer der Gewinner dieser French Open 2015.

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