Diamond League:Beben zum Auftakt

Olympiasieger Thomas Röhler und Hindernisläuferin Gesa Krause stellen zu Saisonbeginn deutsche Rekorde auf. Diese weisen auf die Kraft der jungen Leichtathletik-Generation hin.

Von Johannes Knuth, Doha/München

Der Mai ist für die Leichtathleten eine Zeit der Unfertigkeit, sie tüfteln, tasten sich in die junge Saison. Doch für den Speerwerfer Thomas Röhler dürfte sich der erste, wichtige Wettkampf des Jahres schon recht vollkommen angefühlt haben.

Röhler war mit gedämpften Hoffnungen zum ersten Diamond-League-Meeting nach Doha gereist, das Trainingslager in Südafrika steckte ihm in den Knochen. "Ich gehe da nicht raus und sage: Ich haue mal 88, 89 Meter raus", sagte er. Er behielt recht, irgendwie. Der 25-Jährige schickte den Speer auf eine längere Reise durch die schwüle Luft, auf 93,90 Meter. Deutscher Rekord. Raymond Hechts 92,60 Meter? Verdampft. Beinahe hätte Röhler einen Kameramann verletzt, der sein Arbeitsgerät an der 95-Meter-Marke aufgebaut hatte. Weiter hatte bislang ja erst Jan Zelezny geworfen, der Weltrekordhalter aus Tschechien (98,48). 93,90 Meter reichten Thomas Röhler vom LC Jena dann freilich auch, um sich den Preis als Mitarbeiter des Wochenendes zu verdienen. "Unglaublich", sagte er; seine Tat drängte gar die Zeit von Gesa Krause in den Schatten. Jene 9:15,70 Minuten, mit denen die 24-Jährige ihren deutschen Rekord über 3000 Meter Hindernis überschrieb, um drei Sekunden. Zwei deutsche Rekorde also, im Mai. Im Mai?

Der Zeitpunkt überraschte freilich, die Wucht der Leistungen weniger. Röhler und Krause sind ja spätestens seit dem vergangenen Sommer Gesichter der deutschen Leichtathletik, in der die Jüngeren gerade die Führungsrollen der Arrivierten und Ehemaligen übernehmen. Und beide erzählen auch davon, wie Olympias Kernsport in Deutschland mittlerweile funktioniert.

Wenn Krause über ihre Erfolge redet, beginnt sie oft mit einer Stadt in Kenia: Iten, auf 2400 Meter. Eine Höhenkammer, in der viele Laufdiamanten reifen, weil die Hochebene den Sauerstofftransport fördert. Das Leben in Iten ist schlicht, es gibt eine katholische Schule, Laufbahnen aus Asche und Staub. Aber das Einfache schärft ja auch die Sinne fürs Wesentliche. Krause hospitierte 2010 erstmals in Iten, sie war chancenlos gegen Afrikas Ausdauerkönner. Aber sie kam wieder. Jedes Jahr, bis zu fünf Mal. Als sie 2015 in Peking WM-Bronze gewann, war das "ein Statement, dass man als weiße Läuferin vorne mitlaufen kann". Sie schiebt das auch auf das Arbeitsklima in Iten, "diese Begeisterung, alles daran setzen zu wollen, um besser zu werden". Wobei Kenias Szene zuletzt wiederholt von prominenten Dopingfällen erschüttert wurde. Der nationale Verband berichtete jüngst, dass nach Rita Jeptoo und Jemima Sumgong ein weiterer, bekannter Athlet erwischt wurde. Ausgang offen.

Diamond League international athletics meeting in Zurich

Immer den perfekten Wurf im Visier: Olympiasieger Thomas Röhler, 25, ist zu einer Führungskraft der deutschen Leichtathleten aufgestiegen.

(Foto: Jean-Christophe Bott/dpa)

Röhlers Biografie wiederum zeigt, was möglich ist, wenn ein Athlet an die richtige Trainingslehre gerät. Er war als Jugendlicher ein guter Hoch- und Dreispringer, die anderen waren stärker, besser, Röhler dafür geduldiger. Er schloss sich den Speerwerfern in Jena an, erst unter Trainer Burkhard Looks, dann Harro Schwuchow. "Thomas ist ein sehr bodenständiger, cleverer Sportler, der sich auf viel Neues einlässt", sagt Schwuchow, und so machten sie sich auf einen ungewöhnlichen, aber erfolgreichen Weg in die Weltspitze. Sie stellten das Krafttraining um, verbannten Bankdrücken, schulten den ganzen Körper: mit Hürdenläufen, für den Rhythmus beim Anlauf, Turnen fürs Gleichgewicht, Sprints mit dem Speer. So hoben sie Röhlers größten Rohstoff: die Schnelligkeit. Sein Kraftwerk sind die Beine, von dort, ab dem ersten Schritt des Anlaufs, fließt die Kraft durch den Körper in den Speer. Wie bei einer Zwille, die man langsam lädt und plötzlich loslässt. Im vergangenen Jahr wurde Röhler zum fünften Mal deutscher Meister, in Rio Olympiasieger. "Wir gehen ein bisschen ab vom Weg", ", sagt Schwuchow. "Aber wir sind ja nicht ganz unerfolgreich damit."

Röhlers Modell steht auch für eine neue Generation im Verband, die früher oft gegen- anstatt miteinander arbeitete. Er handelt mit seinem Speerwurf-Wissen, reist zu Tagungen und Wettkämpfen bei den Branchenführern aus Finnland, importiert Ideen, die er mit Werfern aus China, Amerika und Deutschland teilt. "Wir sind alle auf der Suche nach dem einen perfekten Wurf. So entsteht diese extreme Triebkraft", hat er im Vorjahr erzählt. In Doha steigerte Johannes Vetter seine Bestleistung auf 89,68 Meter, Röhler konterte, sie entfachten an diesem warmen Maiabend einen Sog, der sie in bislang unerreichte Bereiche trug. Vetter trainiert in Offenburg bei Bundestrainer Boris Obergföll, seine Kraft fließt weniger aus den Beinen, sondern den Armen. Auch das erzählt vom gemeinsamen Erfolgsweg der deutschen Speerwerfer: dass jeder ein wenig seinen eigenen geht.

Diamond League: Gefahr im Luftraum: Thomas Röhlers Speer bohrt sich bei dessen Rekordwurf nur einen Meter vor dem Kameramann in den Rasen.

Gefahr im Luftraum: Thomas Röhlers Speer bohrt sich bei dessen Rekordwurf nur einen Meter vor dem Kameramann in den Rasen.

(Foto: Eurosport)

Und jetzt, nach diesem Beben zum Saisonbeginn? Er könne mit großer Zufriedenheit in die nächsten Wettkämpfe eintauchen, sagt Röhler, und mit Zufriedenheit hält er es ja gerne so: "Daraus wächst Kreativität, man hat den Mut, weitere Dinge auszuprobieren." Speerwerfer, findet Thomas Röhler, "sind nie fertig."

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