DFB-Verteidiger Shkodran Mustafi:Mit der Aura eines Weltmeisters

Lesezeit: 4 min

Plötzlich berühmt: Weltmeister Shkodran Mustafi. (Foto: dpa)

Plötzlich erkennen alle diesen jungen Abwehrspieler, der nie in der Bundesliga war: Die Geschichte von Shkodran Mustafi zeigt, welche Kraft ein WM-Titel hat. Vor dem Polen-Spiel gilt der Mann vom FC Valencia als dritte Kraft in der Defensivzentrale.

Von Christof Kneer

Herr Mustafi hat in Frankfurt mal für ein paar Stunden das Mannschaftshotel verlassen, er hat mit Freunden einen Kaffee getrunken. Aber weit sind sie in der Innenstadt nicht gekommen. Herr Mustafi!, Herr Mustafi!, hieß es an jeder zweiten Straßenecke, und Herr Mustafi tat, was man als Fifa-zertifizierter Weltmeister tun muss. Er schüttelte Hände, schrieb Autogramme, Selfies ertrug er mit professionellem Lächeln. Es gibt Stars, die finden es cool, so hofiert zu werden, es gibt Stars, die finden es nervig; Shkodran Mustafi findet es hoch interessant.

Mustafi, 22, steckt immer noch mittendrin in einem riesengroßen Selbstversuch. Er probiert gerade aus, wie das so ist: ein Leben als Prominenter.

Kroos und Kramer in der DFB-Elf
:Kraft aus der Mitte

Der eine rennt und kämpft, der andere organisiert die Offensive: Christoph Kramer und Toni Kroos könnten gegen Polen wieder die Zentrale der Nationalelf bilden - sie ergänzen sich gut. Aber sind sie bereit für noch mehr Verantwortung?

Von Thomas Hummel

Schon tags zuvor, am Flughafen, hatte ihn ja jemand mit Herr Mustafi! begrüßt, aber gut, das hätte Zufall sein können oder einfach ein Verrückter, der auch alle Ersatzverteidiger des VfR Aalen kennt. Aber der Stadtrundgang war der letzte Beweis. Shkodran Mustafi, der in der deutschen Bundesliga präzise null Spiele bestritten hat, kann in Deutschland nicht mehr entkommen.

Die WM hat alles verändert

"Weltmeister zu sein, verändert ein Leben völlig", sagt Mustafi. Das gilt für Lahm und Schweinsteiger, die seit Rio nicht mehr gefragt werden, wann sie denn mal einen Auswahltitel zu gewinnen gedenken. Das gilt für Götze, der seit Rio kein überschätztes Sensibelchen mehr ist, das sich im entscheidenden Moment versteckt, sondern ein unterschätzter Feingeist, der im entscheidenden Moment auftaucht. Aber am meisten gilt das für Mustafi. Vor der WM hätten selbst Sportinteressierte bei diesem Namen vielleicht an einen Boxer gedacht, einen Herausforderer im Halbschwergewicht möglicherweise, oder maximal an einen Fußballer vom VfR Aalen.

Nach der WM aber hat Mustafi sogar in der Kabine des FC Valencia diese Blicke gespürt. Er ist nach dem Turnier neu zu diesem Verein gekommen, keiner wusste, ob der neue Verteidiger was kann, und verletzt war er am Anfang auch noch. "Aber du merkst sofort, dass die Kollegen dich mit anderen Augen anschauen", sagt er.

Die Hierarchien sind nicht mehr so steil wie früher, man muss nicht mehr zehn Millionen gekostet und fünf Kollegen ins Krankenhaus getreten haben, um angespielt zu werden. Aber eine Machogesellschaft ist auch der moderne Fußball noch. Es werden schon immer noch Kerben in den Colt geritzt. Die ganzen Kerle sind schon immer noch die, die Titel gewonnen haben. Mustafi amüsiert das, aber er findet es auch irgendwie normal. "Ich würde doch auch schauen, wenn plötzlich ein Weltmeister zur Tür reinkommt", sagt er, "das kommt einem wahrscheinlich vor, als wenn man plötzlich eine Berühmtheit trifft."

Alle, die Mustafi in Brasilien für einen WM-Verlierer gehalten haben, ahnen inzwischen: So eine Art von Verlierer würde man auch gerne mal sein. Die WM hat Mustafi einen Titel, viele neue Bekannte an Flughäfen und in Innenstädten sowie Dutzende von Selfies eingebracht und dazu einen hervorragenden Vertrag beim Traditionsklub FC Valencia; zwar hat ihm die WM auch einen Muskelbündelriss beschert, aber seitdem er den auskuriert hat, ist er in Valencia Stammspieler.

Mustafi gebe der Elf "eine neue Qualität", hat Trainer Nuno Santo gerade gesagt, er sei "nicht umsonst Weltmeister".

Welche Kraft so ein WM-Turnier auch in Zeiten der Champions League noch hat, kann man an Mustafi besonders gut erkennen. Er würde ja nicht mal selbst behaupten, dass er eine besonders gute WM gespielt hätte, er hat zweimal als Rechtsverteidiger aushelfen müssen, in der zweiten Hälfte gegen Ghana und 70 Minuten gegen Algerien, und in beiden Spielen konnte man verfolgen, wie die ungeschriebenen Regeln in dieser Machosportart gehen.

Zweimal stand Mustafi völlig frei auf seinem rechten Flügel, er rief, winkte und hampelte, aber die Mitspieler waren plötzlich alle mit Taub- und Blindheit geschlagen. Sie haben abgedreht und den Ball lieber auf die andere Seite gepasst, wo niemand frei stand, mitten rein in den Pulk.

Wenn diese WM in 20 Jahren nacherzählt wird, wird es immer dieselbe Version sein. Der entscheidende Zug, so wird es in den Geschichtsbüchern heißen, war die Versetzung von Lahm nach rechts hinten. Weil Mustafi nicht gut genug war.

Ein paar Monate später kann man Mustafi nicht mal mehr ärgern mit dieser ehrenrührigen Version. "Beim ersten Tor gegen Ghana hab' ich nicht gut ausgesehen", sagt er, "aber ansonsten hab' ich gespielt, wie es der Bundestrainer auf dieser Position von mir verlangt hat. Ich sollte keine Übersteiger und 20 Flügelläufe machen."

Everton, Genua, Valencia

Mustafi weiß, dass ihm diese WM viel mehr genützt als geschadet hat, und er weiß, dass inzwischen auch die Leute wissen, dass er kein Rechtsverteidiger ist. "Ich bin mir für keine Position zu schade", sagt er, "aber natürlich bin ich vom Bundestrainer als Innenverteidiger gesichtet worden." Mustafi, als Sohn albanischer Eltern in Hessen aufgewachsen, hat als 17-Jähriger Deutschland verlassen, er ist über Everton und Sampdoria Genua in Valencia gelandet, seinem Spiel sieht man die Kraft der drei Länder an.

Er verteidigt routinierter als ein normaler 22-Jähriger, und dank Per Mertesackers Rücktritt ist er gerade dabei, zur dritten Kraft in der DFB-Innenverteidigung aufzusteigen; hinter Jérôme Boateng und Mats Hummels und vor Matthias Ginter und wohl auch vor Benedikt Höwedes, den der Bundestrainer als Aushilfskraft auf mehreren Positionen benötigt. Es wäre die nächste Etappe im Leben eines Sportlers, der nur so wirkt, als wäre er per Urknall entstanden.

Vor der WM: nichts. Nach der WM: Mustafi. In Wahrheit hat er Schritt auf Schritt gesetzt, er hat seine Klubs sorgfältig ausgesucht. Er hätte jetzt zu Juventus Turin gehen können, "aber ich wollte nicht riskieren, auf der Bank zu sitzen. Ich wollte nicht gleich zu einem absoluten Topklub". Womöglich hat sich der junge Mann da zum ersten Mal verplant: Der FC Valencia ist Tabellenzweiter.

© SZ vom 11.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lukas Podolski in der Nationalelf
:Schwere Tage für den Wohlfühl-Menschen

Deutsch? Polnisch? Kölsch? Lukas Podolski erklärt sich beim DFB-Aufenthalt in seinem Geburtsland in vielen Sprachen. Am liebsten würde er aber nur eines tun: endlich wieder 90 Minuten Fußball spielen. Er durchlebt eine problematische Phase in seiner Karriere.

Von Thomas Hummel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: