DFB-Team vor Länderspiel:Mit hohem Kreisch-Faktor

Trainer der Saison - Joachim Löw

Von der große Bühne ins beschauliche Freiburg - und nun wieder zurück in den Fokus: Joachim Löw

(Foto: dpa)

Joachim Löw kehrt aus seiner friedlichen Freiburger Existenz auf die Bühne zurück und nominiert sein erstes Aufgebot nach dem WM-Gewinn. Am Montag nimmt sich das DFB-Team viel Zeit für seine Fans. Denn selbst Weltmeister dürfen sich Hochmut nicht erlauben.

Von Philipp Selldorf, Frankfurt

Prominent war Joachim Löw auch schon vor der Weltmeisterschaft. Aber im Vergleich mit dem aktuellen Stand seiner Prominenz hat er früher ein Leben in der Anonymität geführt. Es wird berichtet, dass Löw jetzt wenigstens die doppelte Zeit benötigt, wenn er zum Beispiel im Bahnhof einen Zug nehmen möchte. Die neue Dankbarkeit seiner Mitmenschen und deren Wünsche nach Autogrammen und Souvenirfotos gefährden zwar nicht die Betriebsabläufe der Bundesbahn (dafür sorgt die Bundesbahn selbst). Manchmal aber Löws persönliche Fahrpläne.

Ansonsten hat sich, wie es heißt, durch den Gewinn des WM-Titels weder der Bundestrainer noch dessen Leben verändert. Joachim Löw ist Augenzeugen zufolge derselbe distinguierte Herr in den mittleren Lebensjahren, der er vorher war. Er musste angeblich auch keine außergewöhnlichen Anstrengungen unternehmen, um nach den berauschenden Erfahrungen von Brasilien in seine gewohnt friedliche Freiburger Existenz zurückzufinden. Als er sich nach der EM 2012 der Enttäuschung des Publikums und der Kritik der Gurus ausgesetzt sah, hatte sich Löw hingegen wochenlang ins Schweigen zurückgezogen. Sein Verhalten musste man als Schmollen interpretieren. Als Titelgewinner fällt ihm nun die Rückkehr offenkundig leichter. Explizit dazu geäußert hat er sich allerdings noch nicht; Interviews meidet er, erst auf der Pressekonferenz am Montag wird er wieder ausführlich zur Nation sprechen.

Am Freitag in Frankfurt hat Löw schon mal das Aufgebot für die in der kommenden Woche anstehenden Länderspiele bekanntgeben lassen, aber seiner Arbeit beim DFB geht er schon länger wieder nach. Der Frankfurter Verbandszentrale hat er in den vergangenen zwei, drei Wochen mehrere Besuche abgestattet, um seine nächste, bis 2016 terminierte Legislaturperiode vorzubereiten. Diese beginnt nach seiner Auffassung jedoch nicht mit dem ersten Länderspiel der Saison, dem Wiedersehen mit Argentinien am Mittwoch in Düsseldorf. Sondern am Donnerstag mit der Einstimmung auf das erste Qualifikationsspiel für die Europameisterschaft in Frankreich - der Gegner am Sonntag in Dortmund heißt Schottland.

Selige Erinnerung und Nostalgie

Bis dahin bleibt die Zeit jedoch der seligen Erinnerung an Brasilien und der Nostalgie vorbehalten. Beim Schautraining im Düsseldorfer Stadion am Montagnachmittag erwartet der Verband 45 000 Besucher und einen besonders hohen Kreisch-Faktor auf den Rängen. Löw und der DFB haben den kompletten WM-Kader nach Düsseldorf bestellt, 18 Weltmeister gehören dem Aufgebot an. Philipp Lahm, Per Mertesacker und Miroslav Klose, die ihre Mitgliedschaft im DFB-Team gekündigt haben, werden anreisen, um sich für ihre ewig währenden Verdienste ehren zu lassen. Bastian Schweinsteiger und der zwischenzeitlich kostspielig nach Valencia umgesiedelte Verteidiger Shkodran Mustafi kommen als Gäste hinzu - beide sind mangels Fitness nicht einsatzfähig. Wie erwartet, kehren außerdem zwei alte Bekannte in den Kreis zurück: Marco Reus wird sich noch mal erzählen lassen müssen, was er alles verpasst hat, weil er sich am Abend vor der Abreise nach Brasilien verletzt hatte; Mario Gomez übernimmt von Klose im Rahmen einer Feierstunde das Monopol des Strafraumstürmers.

Einen Neuling hat Löw auch noch hinzu gebeten: Der Stuttgarter Verteidiger Antonio Rüdiger, 21, repräsentiert den Aufbruch in die nächste Turnier-Kampagne. Löw wird seine Nationalmannschaft aber weder einem Umbruch noch einer Renovierung unterziehen müssen. Nur Lahm hinterlässt eine bis zum Mond hin sichtbare Lücke auf der rechten Abwehrseite. Ein gestandener Nachfolger ist nicht zu erkennen, nicht mal eine potenzielle Juniorausgabe des Münchners.

Wieder mit Gomez

Mittwoch, 3. September (20.45 Uhr): Testspiel gegen Argentinien in Düsseldorf.

Sonntag, 7. September (20.45 Uhr): EM-Qualifikation gegen Schottland in Dortmund.

Tor: Manuel Neuer (FC Bayern), Roman Weidenfeller (Borussia Dortmund), Ron-Robert Zieler (Hannover 96).

Abwehr: Jerome Boateng (FC Bayern), Erik Durm, Matthias Ginter, Kevin Großkreutz, Mats Hummels (alle Dortmund), Benedikt Höwedes (Schalke 04), Antonio Rüdiger (VfB Stuttgart).

Mittelfeld/Angriff: Julian Draxler (Schalke), Mario Gomez (AC Florenz), Mario Götze, Thomas Müller (beide FC Bayern), Christoph Kramer (Borussia Mönchengladbach), Toni Kroos, Sami Khedira (beide Real Madrid), Mesut Özil, Lukas Podolski (beide FC Arsenal), Marco Reus (Dortmund), André Schürrle (FC Chelsea)

Ungeklärt ist bisher auch noch, wen Löw als Assistenten rekrutiert, nachdem Hansi Flick das Amt des Sportdirektors beim DFB angetreten hat. In Düsseldorf und Dortmund wird Löw, wie es aussieht, allein zurechtkommen müssen. Bisher gibt es keine plausiblen Gerüchte darüber, wen Löw sich an seine Seite wünschen könnte. Thomas Schneider, 41, bei seinem Debüt als Bundesligatrainer in Stuttgart einigermaßen hoffnungsvoll gescheitert, galt schon mal seriöser Anwärter. Aber für wen sich Löw nun entscheidet? Schulterzucken auch bei denen, die es wissen könnten. Beim DFB genießt der Bundestrainer Handlungsfreiheit - mehr denn je zuvor.

Notfalls würde Löw in den kommenden zwei Jahren wohl auch allein zurechtkommen. Die Qualifikation zur EM ist durch den Entscheid der Uefa, 24 Mannschaften zum Turnier zuzulassen, keine dramatische Herausforderung mehr, da nun auch die Gruppenzweiten direkten Zugang erhalten. Die Widersacher Polen, Georgien, Schottland und Irland sind bisher nicht als deutsche Angstgegner in Erscheinung getreten, und das Pflichtspieltreffen mit Gibraltar wird in der Bundesliga vermutlich wieder Grundsatzdebatten über angeblich überflüssige Länderspiele auslösen. Aber bitte: Selbst Weltmeister dürfen sich Hochmut nicht erlauben.

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