DFB-Team:Probleme im Gegenpressing

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Der DFB muss sich Fragen zu seinem Umgang mit der Debatte um Ilkay Gündogan gefallen lassen - doch die Pfiffe gegen den Nationalspieler sollte man nicht gutheißen.

Kommentar von Sebastian Fischer

Gegenpressing, das ist eines dieser schönen Wörter, ohne die der Fußball der Moderne nicht mehr funktioniert. Es bedeutet, sofort nach einem Ballverlust dessen Rückeroberung zu forcieren und einen Konter zu verhindern, gar selbst anzugreifen - gut umzuschalten, sagt man auch. Es bedeutet, Fehler nicht einfach geschehen zu lassen, sondern gleich mit eigener Aktivität zu korrigieren versuchen. Der deutsche Fußball hat vor der Weltmeisterschaft in Russland ein paar Probleme im Gegenpressing.

Das war im letzten WM-Test in Leverkusen zu sehen, dem am Ende glücklichen 2:1 gegen Saudi-Arabien, den 67. der Weltrangliste. Deutschland zeigte in einigen Mannschaftsteilen seine große Qualität, der Führungstreffer war ein Beweis dafür: ein großartiger tiefer Pass von Außenverteidiger Joshua Kimmich, eine kurze Rückgabe von Mittelfeldspieler Marco Reus voller technischer Fertigkeit und Übersicht, ein gelungener Abschluss von Stürmer Timo Werner. Dass danach jedoch ein schwacher Gegner, der ein Sparringspartner für ein Gute-Laune-Spiel hätte sein sollen, ziemlich gemütlich in die Begegnung zurückfand, lag neben ein paar vergebenen Torchancen und etwas zu ungeduldigem Angreifen bei eigenem Ballbesitz am schlechten Umschalten, so begründete es auch der Bundestrainer.

Fehlende Spritzigkeit und taktische Fehler nach dem 1:2 gegen Österreich hat seine Mannschaft in den fünf Tagen Trainingslager in Südtirol danach bislang noch nicht entscheidend korrigieren können. Und die Innenverteidigung mit Mats Hummels und Jérôme Boateng, im Vollbesitz aller Kräfte der wohl stärkste deutsche Mannschaftsteil, ist nach Boatengs Muskelverletzung noch nicht in einem Zustand, um die Fehlerkorrektur in der Abwehr allein zu übernehmen.

Gündogan oder Özil saßen nicht in Pressekonferenzen in Südtirol

Probleme im Gegenpressing gibt es im deutschen Fußball allerdings nicht nur auf dem Rasen, das war in Leverkusen zu hören. Einige Zuschauer haben gepfiffen, als Ilkay Gündogan eingewechselt wurde, sie pfiffen danach bei jedem Ballkontakt, und sie hätten auch bei jedem Ballkontakt von Mesut Özil gepfiffen, hätte er nicht angeschlagen auf der Bank gesessen. Pfiffe verunglimpfen und bringen niemanden weiter, man sollte sie nicht gutheißen, zumal wenn man weiß, dass Deutschland manchmal auch Fans mit eher hölzernen Köpfen anfeuern, denen die Elf zu bunt ist.

Die Pfiffe zeigen jedoch, dass die Bilder der beiden Nationalspieler mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, aufgenommen Mitte Mai in London, anscheinend immer noch nachwirken. Und das obwohl Gündogan, anders als Özil, in Südtirol über die Fotos sprach. Er nannte sie zwar keinen Fehler, doch er gestand ein, dass man sie nicht gut finden müsse. Er betonte seine Identifikation mit deutschen Werten, etwa der Meinungsfreiheit, die Erdogan in der Türkei gefährdet. Darauf angesprochen, ob die Debatte den Verband weiter beschäftige, fragte DFB-Manager Oliver Bierhoff zwei Tage nach Gündogans Worten: "Was hätten wir noch mehr machen sollen?"

Der DFB hat in Südtirol fast täglich Pressekonferenzen abgehalten, ein sehr netter Service für sehr viele nach Südtirol gereiste Reporter, ein Service, der dem Fußball zudem den Bilder- und Nachrichtenfluss garantierte. Gündogan oder Özil saßen dort nicht, Gündogan sprach erst am Ende mit den Journalisten der Nachrichtenagenturen. Vielleicht wäre ein Umschaltmoment in der öffentlichen Darstellung zu einem früheren Zeitpunkt, nicht so kurz vor dem Abflug nach Russland, effektiver gewesen? Und vielleicht wäre eine deutlichere Haltung zu derart politischen Themen das von Bierhoff erfragte "noch mehr"? Das Turnier findet in Russland statt, wo, dies zur Erinnerung, Oppositionelle eingesperrt wurden, wo Arbeitssklaven beim Stadionbau eingesetzt worden sein sollen.

Ein paar Tage sind es noch bis zur WM, und so viel steht fest: Ohne besseres Gegenpressing wird's schwer.

© SZ vom 10.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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