DFB-Team:Neues Adrenalin für Löw

Football - Men's Tournament Gold Medal Match

Neues fußballerisches Adrenalin: Max Meyer, Silbermedaillen-Gewinner in Rio, soll gegen Finnland zum Einsatz kommen.

(Foto: REUTERS)

Die EM ist verarbeitet, ein neuer Zyklus beginnt: Das Testspiel gegen Finnland bietet dem Bundestrainer einen ersten genauen Blick auf die nächste Spielergeneration.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Öffentliche Ausführungen des Bundestrainers Joachim Löw werden statistisch bislang kaum ausgewertet, hier hat die ansonsten fortschrittliche Fußballanalytik Nachholbedarf. Am Montag fiel immerhin auf, dass Löw während seines exakt 20-minütigen Vortrags genau fünf Mal den Begriff "Perspektive" benutzt hat sowie außerdem in Mundart einmal die Variante "Perschpektive". Eine Perspektive ist laut Duden eine "Aussicht für die Zukunft", und auch wenn das freundschaftliche Länderspiel an diesem Mittwoch in Mönchengladbach gegen Finnland primär als Abschiedsspiel für Bastian Schweinsteiger angekündigt wird, gehen Löws Gedanken vor dem Qualifikationszyklus zur WM 2018 in Russland klar nach vorne.

Löw will zwei markante Erkenntnisse aus der jüngsten Europameisterschaft umsetzen: Er will das mannschaftliche "Umschaltverhalten aus der Defensive in die Offensive" in den nächsten zwei Jahren genauso verbessern wie "das Spiel im letzten Drittel des Feldes bis zum Torabschluss". Und dazu beabsichtigt er, "vermehrt junge Spieler mit Perspektive" heranzuführen. Der Weltmeister benötige "frisches Blut".

Der Confed-Cup sei ein "Perspektivturnier", sagt Löw

Am Montag war es 53 Tage her, dass Löw im Stade Velodrome von Marseille die 0:2-Halbfinalniederlage gegen Frankreich reflektiert und seine Enttäuschung über das Aus bei der EM hinter einer etwas zu dick aufgetragenen Coolness versteckt hatte. Er verweigerte in jener Nacht sogar demonstrativ das Bekenntnis, Bundestrainer bleiben zu wollen. Natürlich ist er es aber geblieben.

Am Montag saß Löw nun in einem Düsseldorfer Autohaus erstmals wieder vor der Presse. Zum Abschluss der Woche wird seine Mannschaft in Oslo gegen Norwegen um die ersten Qualifikationspunkte für die WM 2018 spielen (Sonntag, 20.45 Uhr). 2017 nimmt sie in Russland bereits am Confed-Cup teil, den Löw explizit als "Perspektivturnier" für junge Spieler nutzen will. Die Melancholie von Marseille ist also neuerlicher Aufbruchstimmung gewichen. Löw kann sich mit der Ambition, in Russland den WM-Titel von 2014 zu verteidigen und bis dahin zugleich einen Generationswechsel einzuleiten, durchaus trösten und motivieren.

Anfang August haben Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger den Bundestrainer über ihren Rücktritt aus der Nationalmannschaft informiert. Wie freiwillig diese Rücktritte waren oder ob Löw ihnen zuvor mangelhafte Einsatzperspektiven aufgezeigt hatte, beantwortete der Trainer nicht explizit. Er sagte es lieber so: "Es ist für beide ein sehr, sehr guter Zeitpunkt zurückzutreten; es war von beiden der richtige Entschluss und ist für mich in Ordnung, denn wir haben viele junge Spieler, denen ich jetzt eine Chance geben kann."

Brandt, Meyer und Süle sollen spielen

Für das Spiel gegen Finnland hat Löw den Leverkusener Julian Brandt, den Schalker Max Meyer und den Hoffenheimer Niklas Süle nominiert. Alle drei werden in Gladbach auch zum Einsatz kommen, aber vielleicht wird der eine oder andere von ihnen am Donnerstag schon wieder zum Verein heimgeschickt - "zur Schonung". Alle Drei haben in Rio mit der deutschen Mannschaft Olympia-Silber erkämpft.

Auf die Frage, wen er überdies auf seinem Zettel für die nächsten Jahre habe, nannte Löw exemplarisch: Jonathan Tah (bereits dabei), Leon Goretzka sowie die Außenverteidiger Lukas Klostermann (Leipzig) und Jeremy Toljan (Hoffenheim). Aber das sind nicht alle: "Wir haben viele junge Leute, die man gut entwickeln kann und die in den nächsten zwei, drei Jahren bei uns eine gute Rolle spielen können."

Mit frischem Blut in den Adern des Teams erhofft sich Löw auch wieder mehr fußballerisches Adrenalin: "Wir haben die letzten Jahre penetrant daran gearbeitet, unsere Spielweise so auszurichten, dass wir gegen Gegner, die sich in der Defensive verschanzen, zu unseren Möglichkeiten kommen", sagt er. Aber die bei der EM erkennbare mangelhafte Ausnutzung dieser Chancen sowie das Verhalten nach den wegen all der Dominanz seltener gewordenen Balleroberungen im Mittelfeld bedürfen der Verbesserung: "Wir müssen lernen, nach Ballgewinnen wieder schneller nach vorne zu spielen, bei uns geht der erste Kontakt häufig zunächst nach hinten."

Obwohl im aktuellen Kader noch elf Weltmeister von 2014 stehen, ist der Perspektiv-Wechsel augenscheinlich. Bastian Schweinsteiger wird am Mittwoch in Form einer Auswechslung nach etwa einer Stunde feierlich verabschiedet, beim verletzten Lukas Podolski soll dies bei einem Heimtestspiel im März 2017 nachgeholt werden. Wer am kommenden Sonntag das Kapitänsamt von Schweinsteiger übernimmt, das will Löw erst nach dem Finnland-Spiel bekanntgeben. Die Entscheidung, sagt er, sei aber bereits getroffen. Die Branche rechnet mit Torwart Manuel Neuer.

Dass für die Testpartie in Mönchengladbach bislang nicht mal 20 000 Karten abgesetzt werden konnten, findet Löw zwar bedauerlich, fürs erste Freundschaftsspiel nach einem großen Turnier wie der EM aber nicht ungewöhnlich. Zu locken versuchte er das Publikum ebenfalls mit seiner derzeitigen Lieblingsvokabel: "Die Zuschauer bekommen am Mittwoch eine jüngere Mannschaft sehen", sagt er, "Spieler mit Perspektive - das ist doch eigentlich ganz interessant."

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