DFB-Team:Mario Gomez verschärft das deutsche Spiel

DFB-Team: Mario Gomez feiert sein Tor gegen Nodirland.

Mario Gomez feiert sein Tor gegen Nodirland.

(Foto: AFP)
  • Gegen Nordirland spielt Mario Gomez bei dieser Europameisterschaft erstmals von Beginn an.
  • Durch seine körperliche Präsenz im Strafraum verschafft er den Technikern Özil und Götze Freiräume.
  • Thomas Müller scherzt über die seine und Gomez' Kombinationsfähigkeit.

Von Philipp Selldorf, Paris

Das Tiefgeschoss im Prinzenparkstadion sieht so aus, wie ein anständiges Tiefgeschoss aussehen sollte. Dicke Rohre verlaufen unter der rohen Betondecke, es gibt allerlei mysteriöse Leitungen an den grauen Wänden, die Beleuchtung ist karg, die Luft muffig. Gleich müsste der Hausmeister in seinem Kittel auftreten und mit dem riesigen Schlüsselbund rasseln, stattdessen bogen auf dem Weg zur Garage und zum Bus die deutschen Spieler ums Eck.

Viele von ihnen schlurften stumm vorüber, das waren diejenigen, die bloß zugeschaut hatten beim 1:0-Sieg gegen Nordirland, und die das Reden nun den Hauptdarstellern überließen. Bloß Lukas Podolski, der wieder mal keiner der Hauptdarsteller gewesen war, quatschte, scherzte und rumorte, als ob ihn der Bus gleich zum Flieger auf die Ferieninsel bringen würde. Im kahl beleuchteten Prinzenparkkeller war Prinz Poldi somit der einzige deutsche Spieler, der nach dem Erreichen des Achtelfinales gegen die Slowakei (Sonntag, 18 Uhr) und der Eroberung von Platz eins in Gruppe C ein bisschen Frohsinn verbreitete.

Dieser Sieg gegen Nordirland war, genau besehen, sicherlich kein Anlass zu Freudentänzen. "Bei allem Respekt", wie immer alle sagten, stellte Nordirland an diesem Abend einen allenfalls zweitklassigen Gegner dar. Mit dieser Einschätzung riskiert man nicht den Bruch der deutsch-nordirischen Freundschaft, denn die Zweit- bis Drittklassigkeit dieses tapferen Teams ergibt sich unvermeidlich aus dem Kader von Coach Michael O'Neill: Dieser Kader vereint Profis aus der zweiten schottischen bis hin zur dritten englischen Liga, und diesen provinziellen Hintergrund vermochten die Nordiren auf dem Platz nicht zu verbergen. So konnte man in Paris manchmal den Eindruck haben, dass man sich gerade bei einem dieser Benefizspiele für die Mexiko- und die Egidius-Braun-Stiftung befände, die an Orten wie Aachen oder Kaiserslautern ausgetragen werden (bei allem Respekt).

Oft wird der deutschen Fußballkritik vorgehalten, dass sie über den Gegner meckert, wenn sie sonst nichts zu meckern hat. Aber den Job haben die Vertreter des DFB-Teams diesmal selbst erledigt. "Zum dritten Mal zu Null, das ist sicherlich erfreulich", hob der Bundestrainer hervor - "aber ganz ehrlich: Heute war es defensiv auch nicht so schwer." Toni Kroos, der seinen Job in der hinteren Mittelfeldetappe mit moderat gesteigertem Trainingsspieltempo erledigte, wagte eine Prophezeiung: "So einen harmlosen Gegner werden wir im Turnier nicht mehr treffen."

Komplimente und Gratulationen der Reporter wies Kroos höflich zurück, Nordirland ist kein Maßstab für den anspruchsvollen Mann von Real Madrid. Doch dann hat er auf seine lakonische und ganz spezielle Art doch noch selbst ein Kompliment hinterlassen. Wie hat sich der neue Faktor Mario Gomez aufs deutsche Spiel ausgewirkt, Herr Kroos? "Positiv. Er hat das Tor gemacht."

"Wir brauchen seine Präsenz, seine Kraft und Größe im Strafraum"

Außer einer grundlegend deutlich strafferen Haltung, vorneweg verkörpert durch Mesut Özil und Thomas Müller, war Gomez der Mann, der das zuletzt etwas spannungslose deutsche Spiel veränderte und verschärfte. "Sehr wichtig" sei Gomez gewesen, erkannte Mats Hummels aus der Panorama-Sicht, die ihm sein weitgehend ungefährdeter Wachposten in der Abwehrhälfte erlaubte, "wir brauchten seine Präsenz, seine Kraft und Größe im Strafraum, um mehr Raum für die anderen zu schaffen". Das klang, als ob Gomez vor allem als Prellbock tätig gewesen wäre, und dafür brachte der 30 Jahre alte Mittelstürmer auch genügend Zeugnisse mit. Blutige Wunden hatte er davongetragen, live im Fernsehen ins Bild gesetzt, dazu "die eine oder andere Blessur", die ihm seine Gegner unter Einsatz liebenswürdiger britischer Härte verpassten.

"Das war hart", sagte Gomez später, "aber es hat sich gelohnt". Im Übrigen war er nicht nur körperlich und als Chancenempfänger anwesend, sondern auch als geschickter Zuarbeiter dies- und jenseits des Strafraums tätig. In seinen späten Jahren hat Gomez, ausgerechnet in der taktisch wilden türkischen Liga, höheres Spielverständnis erworben. Gell, rief Thomas Müller den Reportern zu: "Das hättet ihr nicht gedacht, dass wir zwei so gut kombinieren können, wo doch immer alle sagen, dass wir zwei Bügeleisen im Schuh' hätten." Dass die Deutschen eine Chance nach der anderen ausließen und statt 5:0 bloß 1:0 gewannen, darüber haben sie sich zwar, vorneweg der Bundestrainer, angemessen geärgert. Aber wichtiger war, dass wenigstens einer getroffen hatte.

Mit Mario Gomez als EM-Held hat das Publikum bis vor Kurzem eher nicht gerechnet, und nun ist er schon im Frühstadium des Turniers, in der fortgeschrittenen Warmlaufphase, aus dem Hinter- in den Vordergrund getreten. Er musste sich nicht ins Team reden, das Team hat ihm mit der schwächlichen Offensivleistung gegen Polen selbst den Weg geebnet, aber es läge dem neuerdings altersweisen Gomez ohnehin fern, mit seinen unbestreitbaren Vorzügen als Torjäger für sich zu werben.

"Ich akzeptiere alles", hat er neulich erklärt und einen Appell ans deutsche Volk gerichtet, man müsse "den Bundestrainer mal machen lassen". Seine Rolle stellt Gomez dar, als ob er Mitglied einer Kooperative wäre, die individuelle Wünsche und Erwartungen hinter dem Kollektiv verschwinden lässt. Mit der Haltung ist er nicht allein. In Paris lobte Benjamin Höwedes den Bundestrainer, weil dieser Joshua Kimmich an seine Stelle gesetzt hatte. Jetzt werde unter besseren Bedingungen - mehr Fußball, weniger Catenaccio - "ein neues Turnier beginnen", sagte Mario Gomez voraus. Er wird seinen Platz darin haben.

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