DFB-Team:Löw plant mit Schweinsteiger

EURO 2016 - Group C Germany vs Ukraine

Wer macht was? Die deutschen Mittelfeldstrategen Sami Khedira (links) und Bastian Schweinsteiger teilen sich die Aufgaben.

(Foto: dpa)

Der Kapitän könnte im EM-Achtelfinale gegen die Slowakei von Beginn an spielen - was wird dann aus Sami Khedira?

Von Philipp Selldorf, Évian

Kaum hatten Thomas Schneider und Marcus Sorg auf der Pressekonferenz des DFB über das Befinden von Bastian Schweinsteiger informiert, gingen ihre Aussagen schon um die Welt. Es waren zwar nicht die Eilmeldungen, die mit roter Farbe markiert sind, aber es waren Meldungen, die unter dem Zeichen der höheren Wichtigkeit verbreitet wurden.

Für die Eilmeldungen reichen die Hinweise noch nicht aus, doch die Äußerungen der beiden Assistenten des Bundestrainers ließen sich ohne Fantasie so deuten, dass in der Fortsetzungsgeschichte über die Genesung des Kapitäns ein weiteres und womöglich wegweisendes Kapitel hinzugekommen sein könnte. "Schweinsteiger wird zur Startelf-Option" hieß es um 11.28 Uhr bei dpa; "Schweinsteiger schleicht sich ins Team" lautete der Titel einer längeren Nachricht um 12.50 Uhr.

Schweinsteiger von Beginn an wäre keine Überraschung mehr

"Er ist gut in Schuss", hatte Thomas Schneider gesagt. Ein trivialer Satz, der in der Tat kein Grund für Eilmeldungen ist, denn diesen Satz hat man im Laufe der vorigen Wochen so oder ähnlich dermaßen oft gehört, dass man an ein Täuschungsmanöver glauben konnte: Ist dieser Schweinsteiger, der angeblich Tag für Tag besser beieinander ist, vielleicht nur noch ein Trugbild? Geschaffen, um in der Heimat der Panik vorzubeugen und dem Erhalt der öffentlichen Ordnung zu dienen? Wissen die Leute vom DFB vielleicht etwas, was sie nicht sagen wollen, weil es Teile der Bevölkerung verunsichern könnte? Oder machen sich Löw und Schweinsteiger einen Spaß daraus, das ganze Volk zu veralbern wie der Wirt, der in seiner Kneipe ein Schild hinhängt, auf dem geschrieben steht: "Morgen Freibier"?

Aber die Pressekonferenz ging noch weiter, und schließlich sagte Sorg den Satz, den man so oder ähnlich noch nicht zu hören bekam: "Bastian kommt langsam an das Niveau, dass er uns von Anfang an helfen kann."

Tatsächlich wäre es nach dem Fortgang der staatstragenden Personalie, die in kleinen und noch kleineren Schritten voranzukommen scheint, keine überwältigende Überraschung mehr, wenn am Sonntag vor dem Achtelfinalspiel gegen die Slowakei der Name des 31 Jahre alten Chefstrategen in der Aufstellungsliste erscheinen würde. Nach dem fünf Minuten währenden Einsatz gegen die Ukraine hat Schweinsteiger gegen Nordirland 24 Minuten spielen dürfen.

Der Gegner stellte überschaubare Anforderungen an sein Werk, trotzdem glaubte mancher Beobachter gesehen zu haben, dass er seine besondere Nützlichkeit für die deutsche Mannschaft nachgewiesen habe, zumal im Vergleich mit Sami Khedira, dessen Platz er eingenommen hatte. Khedira gehörte gegen Nordirland, das war auch ohne Mikroskop und kostspielige Expertenanalyse erkennbar, nicht zu den Besten, er wirkte ziemlich müde.

Löw muss die Risiken abwägen

Khedira habe "die höchsten Laufleistungen" während der ersten beiden Spiele gehabt, informierte Schneider jetzt und ließ anklingen, dass der Mittelfeldmann die Entlastung gut gebrauchen konnte. Durch sein aufwendiges Spiel ist Khedira ohnehin anfällig für Erschöpfung. Läge da nicht eine Arbeitsteilung nahe, wie er sie bereits bei der WM in Brasilien mit Schweinsteiger praktizierte?

Das Spiel gegen die Slowakei könnte der richtige Zeitpunkt sein, um das duale Verfahren zu etablieren und Schweinsteiger einem ernsthaften Härtetest zu unterziehen. Auch als Generalprobe für das - Weiterkommen vorausgesetzt - am Horizont heraufziehende Duell mit Spanien. Darin stecken diverse Risiken: Zum Beispiel, dass die fußballerisch starken und besonders im Mittelfeld aggressiv agierenden Slowaken dem vormaligen Knie-Patienten Schweinsteiger mehr zusetzen könnten, als gut für ihn ist.

Schweinsteiger hat kein gesteigertes Mitteilungsbedürfnis

Diese Risikoabwägung muss Jogi Löw treffen, die Quellenlage ist relativ dünn. Das Training gibt nicht viele Hinweise, denn Trainingsstunden finden auf dem formidabel gepflegten Platz in Évian selten statt. Am Donnerstag hatte die Mannschaft frei, nachdem sie am Mittwoch vorwiegend regenerieren durfte, nach der Rückkehr aus Paris, nachts um halb drei. In diesem Rhythmus lässt sich ja die ganze Woche zurückverfolgen: Dienstag war das Nordirland-Spiel, Montag kurzes Abschlusstraining im Stadion, Samstag war frei. Und Schweinsteigers kurzer Auftritt gegen Nordirland bietet dem Bundestrainer keinen Maßstab für tiefe Einsichten in die Leistungskraft.

Die Nordiren hatte man ausreichend unter Kontrolle, mehr Sorge als der Gegner verursachte der Spielstand. So wie die deutschen Angreifer aufs Tor schossen, wäre ihnen eher ein Eigentor als das 2:0 zuzutrauen gewesen. Dass sich nicht doch ein fataler Ball hinter die defensiven Linien verirrte, dazu hat Schweinsteiger mit seiner Routine und seinem Stellungsspiel immerhin beigetragen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Interessant wäre es nun, von Schweinsteiger höchstpersönlich zu erfahren, wie er seinen Zustand beurteilt.

Aber Schweinsteiger hat kein gesteigertes Mitteilungsbedürfnis. Im Fernsehen sprach er ein paar zuversichtliche Sätze, die geeignet waren, die öffentliche Ordnung in der Heimat aufrechtzuerhalten. Weitere Befragungen aber lässt er nicht zu. Die traditionelle Kapitänsaufgabe, die Mannschaft vor der Presse zu vertreten, nimmt Schweinsteiger nicht wahr. Oder fühlt er sich nicht mehr als Kapitän zuständig?

Träger der Kapitänsschleife war Schweinsteiger schon lange nicht mehr, diese ist gewohnheitsmäßig in Manuel Neuers Besitz übergegangen. Oft ist Löw vor dem Turnier gefragt worden, ob er nicht lieber einen Feldspieler zum Kapitän machen wolle. Davon hat er aber bewusst abgesehen: Würde er Khedira oder Jérôme Boateng oder Thomas Müller zum Kapitän ernennen (die dieser Ehre nicht abgeneigt wären), dann würde er erstens Neuer brüskieren und zweitens auch Schweinsteiger in Frage stellen. So hat Löw die Debatte beruhigt, indem er alles beim Alten belassen hat, versehen mit dem Hinweis, dass Schweinsteiger ja sowieso zum Einsatz kommen werde. Vielleicht sieht man ihn schon am Sonntag beim Wimpeltausch.

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