DFB-Team:Khedira, der Siegermentalitätsleader

Von Claudio Catuogno, Baku

Es waren seltsame Nachrichten, die sich aus dem 3000 Kilometer entfernten Almaniya bis ins Tofiq-Bəhramov-Stadion von Baku herumgesprochen hatten, in dem Joachim Löw am Samstagnachmittag in einem kleinen Kellerraum Platz nahm. Er habe gehört, berichtete ein aserbaidschanischer Sportreporter dem deutschen Bundestrainer in vorzüglichem Deutsch, dass es inzwischen schwierig sei, Spieler für die Nationalmannschaft zu finden. Die Spieler hätten in ihren Klubs genug zu tun, außerdem verspürten sie "keine Lust" auf Länderspiele. Ob das denn stimme.

Joachim Löw hat das sehr gelassen zurückgewiesen. Ja, es habe ein paar verletzungsbedingte Absagen gegeben, "aber mein Eindruck ist: Die Spieler kommen geeeerne zur Nationalmannschaft", sagte er. Geeeerne mit mindestens vier "e". Der Übersetzer übersetzte dann eine Weile, und am Ende seiner Ausführungen war für die des Aserbaidschanischen nicht so mächtigen Reporter aus Almaniya immerhin das Wort "Nonplusultra" zu verstehen. Damit wäre auch dieses Missverständnis geklärt.

Die Nationalmannschaft als Nonplusultra, das vermittelt sich halt in jeder Sprache. Sogar in der Körpersprache. Zum Beispiel in der Körpersprache jenes Mannes, der am Samstag ein paar Minuten vor Löw im Tofiq-Bəhramov-Stadion erschien - und der die deutsche Elf im EM-Qualifikationsspiel an diesem Sonntag (18 Uhr MESZ im SZ-Liveticker) als Kapitän auf den Platz führen wird: Sami Khedira.

Khedira trug einen blütenweißen Trainingspulli mit Rollkragen, offenbar ein neues Exponat aus der DFB-Modekollektion. Und wie er da so vor dem Mikrofon saß, aufrecht, den Hals eingefasst von wirklich sehr weißem Weiß, wirkte er weniger wie ein Fußballer. Eher wie der Kommandant eines Raumgleiters, der jetzt gleich sehr viel Lust hat, eine formidable Attacke anzuführen. Selbstverständlich ohne dabei nur für einen Moment die Haltung zu verlieren.

Was Sami Khedira für das Kapitänsamt befähige, wurde Joachim Löw gefragt. Er antwortete mit einer fast nur aus Hauptwörtern bestehenden Lobpreisung. "Leadership. Vorbild an Einstellung. Guter Kommunikator. Siegermentalität. Professionalismus. Das ist Sami Khedira." Tatsächlich ist der 29-jährige Mittelfeldspieler von Juventus Turin schon weniger treffend beschrieben worden (auch unter Verwendung von deutlich mehr Worten).

Wobei der Bundestrainer all diese Eigenschaften nicht in erster Linie deshalb an Khedira schätzt, weil er ihm, dem kommunizierenden Siegermentalitätsleader, jetzt bedenkenlos die Binde anvertrauen kann. Die muss Löw in Baku sowieso nur temporär neu vergeben: Der Torwart und Stamm-Kapitän Manuel Neuer hat die Reise wegen Wadenproblemen abgesagt. Tatsächlich hat Löws Elf auf dem Platz längst eine derart zuverlässig gewachsene Hierarchie, dass der Bundestrainer die Kapitänsfrage fast irrelevant findet. Gar nicht irrelevant findet es Löw hingegen, wenn Khedira all seine Fähigkeiten als Spielgestalter im Mittelfeld zur Geltung bringt. Bei Juve klappt das seit Wochen vorzüglich.

Khedira findet Positives am Älterwerden

"Herr Khedira, würden Sie sagen, Sie sind gerade in der besten Phase ihrer Karriere?" Wenn einer vor einem Länderspiel solche Fragen beantworten darf, dann läuft es wohl. Khedira erwiderte in Baku, er habe schon auch andere gute Phasen gehabt in seiner Laufbahn. "Aber das Schöne am Älterwerden ist, dass man sehr bewusst mit seinem Körper umgeht. Da fühle ich mich gerade sehr wohl, gepaart mit der Erfahrung, dass man weiß, wann man was zu tun hat...". Er habe da inzwischen "den perfekten Weg gefunden", sagte er.

Das war wohl auch nötig. Die Frage "Kann Khedira spielen?" begleitete die Nationalelf über viele Jahre. Bei der WM 2014 in Brasilien war Khedira nach einem Kreuzbandriss nur dank einer Sondergenehmigung des Bundestrainers mit dabei - gemeinsam mit Bastian Schweinsteiger bildete er ein Duo der Versehrten, das erst im Laufe des Turniers eingreifen sollte. Im Finale musste Khedira dann schon wieder kurzfristig passen.

Das ist aber "abgehakt", versichert er, "wir sind Weltmeister, darüber bin ich sehr glücklich". Sehr viel mehr zu sagen hat er über seinen Wechsel von Real Madrid zu Juventus im Sommer 2015, nach fünf Jahren in Spanien. Der war wichtig, "weil ich im taktischen Bereich noch mal ganz viel lerne, das sind ja zwei Weltklubs, aber mit komplett verschiedener DNA". Bei Real war Khedira eher der Abräumer. Bei Juventus hat er sich bemerkenswert schnell zur unantastbaren Mittelfeld-Institution entwickelt, er lenkt und leitet, verlangsamt und beschleunigt das Spiel mit seinen Pässen. Torwart Gianluigi Buffon, 39, der nun wirklich eine Menge Fußballer kennengelernt hat in seinem Leben, schwärmte kürzlich im Kicker, die Spielweise des Deutschen sei "eine unglaubliche Offenbarung".

Mehr Kompliment geht kaum. Und das mit noch weniger Worten als Löw.

Kommandant Khedira hat das Lob zur Kenntnis genommen. Er hat jetzt mal wieder Lust auf ein Länderspiel.

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