DFB-Team im WM-Finale:Im Rausch nach Rio

World Cup 2014 - Semi final - Brazil vs Germany

Jubel und Enttäuschung in Belo Horizonte: Deutschland führt im WM-Halbfinale Brasilien vor.

(Foto: dpa)

Die deutsche Mannschaft spielt im WM-Halbfinale entfesselt auf und gewinnt mit 7:1 gegen Brasilien, den Rekordweltmeister. Kroos, Schürrle, Müller, Khedira und Klose erzielen die Treffer. Erstmals seit 2002 steht die DFB-Elf wieder in einem WM-Endspiel. Die Seleção weint.

Als dieses emotionale Spiel nur noch eine Stunde lang dauern sollte, stopfte sich Joachim Löw das Hemd in die Hose, rückte den Gürtel zurecht, es saß nun alles glatt. Hinter ihm lagen sechs Minuten, die seine gesamte Ära als Bundestrainer prägen werden, sechs Minuten, in die all die Spielfreude hineinpasste, die er seiner Mannschaft an manchen Abenden vermittelt. Sechs Minuten. Und 200 Millionen Träume waren zerplatzt, der Traum von ganz Brasilien, eines Landes, das so stolz auf seine Fußballer ist. Ein paar Meter neben Löw hüpfte der brasilianische Trainer Felipe Scolari auf und ab, sein Gesicht warf mehr Falten als sein Polo-Shirt.

30 Minuten waren da gerade einmal gespielt. Fünf Tore waren gefallen. Keines für Brasilien. Fünf für Deutschland. Brasilien, der Rekordweltmeister, im Schock.

Es sollte ein emotionaler Abend werden, das hatten Scolari und seine Spieler vor diesem Halbfinale in Belo Horizonte immer wieder betont, fast schon: gebrüllt. Sie wollten für Neymar spielen, ihren verletzten Volkshelden. Vor dem Stadion verteilten Anhänger Neymar-Gesichtsmasken, Scolari verließ den Mannschaftsbus mit einer Neymar-Kappe, vor dem Spiel reckten Innenverteidiger David Luiz und Torwart Júlio César ein Neymar-Trikot in die Luft.

Als Joachim Löw den deutschen Mannschaftsbus verließ, hatte er keine Neymar-Kappe auf. Er hatten einen klaren Blick. Sachlich, nüchtern. Und so verlief dann auch dieses Spiel: ein überemotionalisiertes brasilianisches Team gegen eine kühle, effiziente deutsche Mannschaft. Die sich an der eigenen Nüchternheit berauschte. Und nach 90 Minuten 7:1 (5:0) gewann.

Die nun am Sonntag in Rio de Janeiro um den Titel spielt. "Die Spieler sind sehr, sehr geerdet", sagte Löw nach dem Spiel sehr, sehr geerdet, "sie sind bereit, den letzten Schritt zu machen."

Aber 90 Minuten, das war nicht die Zeiteinheit in diesem Halbfinale. Es war ein Halbfinale, das in sechs Minuten entschieden wurde. Vielleicht sogar in drei. Oder, womöglich sogar das: in zwei Minuten. Wie unemotional nackte Zahlen klingen.

Erstmals bei dieser WM hatte Löw seine Aufstellung nicht geändert, es spielte also rechts in der Abwehr Philipp Lahm, im Mittelfeld spielten Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira. Und im Sturm stürmte Miroslav Klose. Der seine eigene Geschichte an diesem Abend schreiben sollte.

Kühl, nüchtern, effizient

Germany's Schweinsteiger celebrates his team's win over Brazil after their 2014 World Cup semi-finals at the Mineirao stadium in Belo Horizonte

Bastian Schweinsteiger: Starker Auftritt beim Jubeln

(Foto: REUTERS)

All die Emotionen, die die Brasilianer versprochen hatten, wollten sie von der ersten Sekunde an in dieses Halbfinale stecken. Sie rannten. Sie stürmten. Und sie prallten leidenschaftlich gegen diese deutsche Wand, die sich ihnen da entgegenstellte. Kurz nach der Mittellinie verdichteten Löws Spieler die Räume auf dem Rasen, mit zwei engen Ketten. Einen einzigen Schuss ließen die deutschen Verteidiger in der ersten Halbzeit zu, Marcelo versuchte es aus der Distanz, klar vorbei (3. Minute). Und wenn dann der Ball wieder einmal in dieser deutschen Wand stecken blieb, dann konterte das deutsche Team. Kühl, nüchtern, effizient.

"Wir wussten, dass die Abwehr ungeordnet steht, wenn wir schnell spielen", sagte Löw.

Mit klarem Blick sahen sie die Lücken in der brasilianischen Defensive, in der der gelbgesperrte Kapitän Thiago Silva spürbar fehlte; sein Ersatz, Dante vom FC Bayern, stabilisierte nicht. Und die deutschen Spieler passten den Ball schnell nach vorne, gnadenlos schnell. In der siebten Minute traf Khedira den Hintern von Toni Kroos. Danach trafen die deutschen Spieler 22 Minuten lang nur noch das Tor.

Es fing dann ausgerechnet mit einer Standardsituation an. Bisher von beiden Mannschaften in diesem Turnier eine Spezialität. An diesem Abend aber nur von Löws Mannschaft. Ecke Kroos, alle brasilianischen Verteidiger rennen zum ersten Pfosten, der Ball fliegt weiter, und dann stand Thomas Müller ganz alleine. Er traf (11.). Brasilien hatte noch die gefährlichste Aktion in der ersten Halbzeit, Lahm klärte im Strafraum mit einer Grätsche gegen Marcelo (17.). Eckball Brasilien, kein Tor. Dann verlor die Gastgeber-Mannschaft für ein paar Minuten jegliche Klarheit.

"Die Brasilianer wussten nicht mehr, was sie machen sollen", sagte Löw. "Ich kann das nicht erklären", sagte Torwart Júlio César. "Ich möchte mich bei allen Brasilianern entschuldigen", sagte David Luiz.

Eine feine Kombination, eingeleitet von Kroos, über Müller, und am Ende stand Miroslav Klose frei vor dem Tor, Schuss, Parade Júlio César, Nachschuss, 2:0 (23.). Es war Kloses 71. Länderspieltor. Das 16. bei einer WM, in 23 Spielen. Ein Tor, das ihn zum alleinigen Rekordtorschützen bei Weltmeisterschaften machte, er hat nun ein Tor mehr erzielt als Ronaldo, der Brasilianer.

"Der Miro ist unglaublich", schwärmte Löw, "das war eine überragende Leistung von ihm."

Eine Minute später versuchte es Toni Kroos mit einem Direktschuss. Er traf. Zwei weitere Minuten später klaute Kroos Fernandinho den Ball, ein Doppelpass mit Khedira, schon stand Kroos frei vor dem Tor. Er traf. Schon jetzt wäre es die höchste Niederlage für die stolze Fußball-Nation Brasilien bei einer WM gewesen. Doch weitere drei Minuten später spielte Khedira einen Doppelpass mit Mesut Özil, schon stand er frei vor dem Tor. Er traf. Danach traf die deutsche Mannschaft 40 Minuten lang nicht mehr ins Tor.

Brasilien riskierte noch einmal alles

Brasilien war geschockt. Die deutsche Mannschaft blieb kühl, blieb sachlich. Keine falschen Emotionen.

In der Halbzeit wechselte Löw für den verletzten Mats Hummels (Sehnenreizung) Per Mertesacker ein. Und Brasilien riskierte noch einmal alles. Die Spieler rannten. Sie stürmten. Sie prallten ab an Manuel Neuer. Auch der deutsche Torwart sollte seine drei Minuten erhalten.

51. Minute: Neuer fängt eine Flanke von Ramires ab. 52. Minute: Neuer reaktionsschnell gegen Oscar. 53. Minute: Neuer mit einer Doppelparade gegen den eingewechselten Paulinho. Dann gab Brasilien endgültig auf.

In der 61. Minute hatte Júlio César ein seltenes Glück: einen Schuss, den er parierte, von Müller. Acht Minuten später passten sich Lahm und Khedira den Ball zu, dann weiter zum eingewechselten Schürrle. Er traf. Als dann nur noch elf Minuten an diesem emotionalen Abend zu spielen waren, nahm Schürrle den Ball an, er stand in sehr spitzem Winkel vor dem Tor, er schoss auf das kurze Eck, ein unmöglicher Versuch, eigentlich. Schürrle traf.

"Ein bisschen Demut ist jetzt auch ganz gut", sagte Löw mit Blick auf das Finale.

In der 90. Minute stand dann noch einmal Oscar im Strafraum, er dribbelte an Jérôme Boateng vorbei, traf. Es war ein Tor, das keine Emotionen mehr auslöste.

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