DFB-Team:Die Generation, über die der Bundestrainer staunt

  • Die Vertreter der neuen Generation im DFB-Team sorgen bei Bundestrainer Joachim für gute Laune.
  • Löw erklärt sich das hohe Lerntempo der Debütanten mit der verbesserten Ausbildung an der Nachwuchsakademien der Bundesligaklubs.
  • Auch die Profis schwärmen über ihre Mitspieler - wie Niklas Stark über Joshua Kimmich.

Von Philipp Selldorf, Kasan

Walter Frosch, so hat Dieter Müller neulich dem Kicker erzählt, stand im Gang und rauchte eine Zigarette. Keine große Sache eigentlich, die Szene trug sich im Jahr 1978 zu, als das Rauchen noch kein moralisches Verbrechen war, und dennoch hat Müller den Anblick bis heute vor Augen, weil Frosch nicht irgendwann und irgendwo seine Zigarette rauchte, sondern während der Halbzeit des Bundesligaspiels zwischen dem FC St. Pauli und dem 1. FC Köln. Und als der Kölner Torjäger Müller den Pauli-Verteidiger Frosch so vor sich hin qualmen sah, dachte er bei sich, dass dies kein schlechtes Zeichen wäre für den Spielausgang, und tatsächlich gewann der FC 5:0 und wurde deutscher Meister.

Knapp vierzig Jahre später mag man sich vielleicht mit Visionen anfreunden, dass demnächst die Menschen in Unterwasserstädten leben oder auf dem Mars Tomaten gezüchtet werden, aber niemals erscheint es vorstellbar, dass Joshua Kimmich in der Halbzeit eine Zigarette raucht. Weder heimlich auf dem Klo noch öffentlich im Gang. Dass einem so etwas undenkbar vorkommt, das liegt weniger an der banalen Tatsache, dass Kimmich Nichtraucher ist, als an der typischen Beschaffenheit der jungen und sehr jungen Fußball-Profis im Jahr 2017: Striktes Leistungs- und Gesundheitsbewusstsein gehört zu ihren elementaren Eigenschaften.

Die Vertreter der neuen Generation, die er beim Confed Cup in Russland um sich versammelt, lassen den Bundestrainer staunen. Joachim Löw hat in all den Jahren beim Nationalteam schon manchen Berufsanfänger empfangen, doch wenn er nun mit Timo Werner und Benjamin Henrichs, Julian Brandt und Leon Goretzka auf dem Trainingsplatz steht, wundert er sich, wie schnell sie seine Lektionen adaptieren.

"Ich bin wirklich überrascht, das ist nicht selbstverständlich", sagt Löw, der dafür zwei Erklärungen hat. Die erste: Das Niveau der Ausbildung an den Nachwuchsakademien der Bundesligaklubs sei noch höher als in den vorigen Jahren, weshalb die Spieler "im Durchschnitt technisch besser" seien als frühere Debütanten. Die zweite These lautet, dass sich dadurch auch die Mentalität entwickelt habe: "Bei den jungen Spielern merkt man, dass sie es nahezu perfekt machen wollen", findet Löw.

So könnten sie spielen

Confed Cup, Vorrunde, Gruppe B, 2. Spieltag

Deutschland - Chile (in Kasan) Do. 20:00/ARD

Deutschland: ter Stegen (FC Barcelona/10 Länderspiele/0 Tore) - Ginter (B. Dortmund/10/0), Mustafi (FC Arsenal/17/2), Rüdiger (ASRom/14/0) - Kimmich (FC Bayern München/16/2), Goretzka (FC Schalke/6/1), Can (FC Liverpool/11/0), J. Hector (1. FC Köln/30/3) - J. Brandt (B. Leverkusen/8/1), Draxler (Paris Saint-Germain/31/5) - Wagner (1899 Hoffenheim/3/3). - Trainer: Löw.

Chile: Herrera - Isla, Medel, Jara, Beausejour - M. Díaz - Aránguiz, Vidal - Fuenzalida, E. Vargas, Sánchez. - Trainer: Pizzi.

Schiedsrichter: Faghani (Iran).

Der Berliner Verteidiger Niklas Stark, 22, derzeit mit der U 21 bei der EM in Polen unterwegs, hat sich und seine Altersgenossen mal als "mutierte Generation" bezeichnet. Den Dortmunder Borussen und Nationalspieler Julian Weigl benannte er in der Berliner Morgenpost als Beispiel: "Er ärgert sich wahnsinnig über einen schlechten Pass, obwohl er zuvor ein Dutzend Zauberbälle gespielt hat", sagte Stark, "irgendwie schauen wir halt immer auf unsere Fehler." Joshua Kimmich führte er als zweiten bezeichnenden Fall an: Als die beiden einmal während eines Lehrgangs bei den DFB-Junioren für eine Prüfung lernen sollten und Stark keine Lust hatte, sagte ihm Kimmich: "Es ist dumm, nicht zu lernen."

Nun ist es natürlich nicht so, dass die Nationalspieler der vorigen Generationen vorwiegend Bummler und Bohemiens waren. Per Mertesacker mag nicht die Eliteschulen des heutigen Typs besucht haben, bevor er 2004 zur A-Nationalelf kam, aber seine professionelle Einstellung gründete nicht weniger auf Ehrgeiz und Hingabe. Zwar gab es auch in der Ära Löw Auswahlspieler, die Probleme hatten, die zwölf Minuten Dauerlauf für den Cooper-Test zu schaffen. Doch ihre Zahl ist klein.

Manchmal wirken die jungen Profis ein wenig streberhaft

Was sich tendenziell positiv entwickelt habe, so erzählen Mitglieder des DFB-Stabs, seien die Umgangsformen der heutigen Jung-Nationalspieler. Was sich hingegen gar nicht positiv entwickelt habe: dass all diesen angehenden Stars ein zu Aufdringlichkeiten neigendes Heer persönlicher Berater zur Seite stehe. Wobei die Dominanz des Geschäftlichen eher ein Phänomen des erzkapitalistischen Profifußballs ist, als ein Merkmal der Kinder des 21. Jahrhunderts.

Wissensgier und Lerneifer lassen die jungen Profis manchmal ein wenig streberhaft erscheinen. Nach dem 3:2 gegen Australien am Montag sagte Leon Goretzka: "Was mich persönlich gefreut hat: dass wir schon viele Inhalte aus dem Training heute umgesetzt haben. Ich glaube, das macht nicht nur den Spielern Spaß, sondern auch den Trainern, wenn sie sehen, dass es funktioniert." Aber es wäre ein Irrtum, Goretzkas Worte als Beleg von Angepasstheit oder Profillosigkeit aufzufassen.

Dass die Absolventen der Akademien Produkte einer mechanisierten Fußball-Industrie wären, lässt sich ja gerade durch Charaktere wie Brandt, Goretzka oder Kimmich widerlegen. Das Vorurteil der Gleichförmigkeit sei "ein Mythos", mit dem er "jetzt endlich mal aufräumen" müsse, stellte der Bundestrainer in der Zeit fest. "Vor zehn Jahren waren junge Spieler meist leise", sagte Löw, heute seien viele Profis mutig und dächten differenziert: "Sie schweigen nicht vor sich hin und führen einfach aus, was ich ihnen sage. Sie kommen zu mir und sagen: ,Trainer, ich sehe das anders.'"

Am Donnerstagabend nun wird die Courage der Jungen ein wenig mehr herausgefordert als gegen Australien oder San Marino. Chile sei eine Mannschaft, die nicht bloß elf Spieler auf den Platz bringe, sondern "elf Soldaten", wie Julian Brandt sagte. Kreativ formulieren können sie also auch, die neuen Nationalspieler.

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