DFB-Team:Der Luxus wird für Löw zum Risiko

Fußball: WM-Qualifikation Nationalmannschaft

"Bei allem Respekt interessiert mich Norwegen nur bedingt": Bundestrainer Joachim Löw.

(Foto: dpa)
  • Das glückliche 2:1 gegen Tschechien in Prag zeigt die neue Aufgabe von Joachim Löw.
  • Der von ihm selbst ausgerufene "härteste Konkurrenzkampf" seiner Amtszeit ist nicht nur für die Spieler eine völlig neue Herausforderung, sondern auch für den Coach.
  • Der Bundestrainer hat so viele Spieler und Systeme wie noch nie - er muss aber die richtige Mischung finden, darf dabei nicht überziehen.

Von Christof Kneer, Prag/Stuttgart

Könnte Havard Nordtveit auch für Deutschland verteidigen? Wäre Stürmer Joshua King gut genug, nicht nur für den AFC Bournemouth regelmäßig Tore zu schießen, sondern auch für die deutsche Nationalmannschaft? Und Sander Berge, 19, das Top-Talent? Käme er, wäre er Deutscher, auch schon in die Nähe der obersten Mannschaft des Landes?

Es gibt tatsächlich Fragen, die noch nie ein Mensch gestellt hat, insofern war es vermutlich höchste Zeit, dass diese Frage nun endlich in der Welt war. Ob es einen Spieler der norwegischen Nationalelf gebe, den er gerne in seiner eigenen Mannschaft hätte? Das wollte ein norwegischer Reporter am Sonntag von Joachim Löw wissen. Es war ein netter Versuch. Denn das hätte dem Boulevard, entsprechend hingedreht, ja schon ein paar saubere Schlagzeilen liefern können: Hoppla, was läuft da mit Nordtveit? Oder: Löw: Lieber King als Gomez! Oder so.

Womit der Reporter nicht rechnen konnte: dass Löw ein höflicher Mensch ist. Und dass ihm der Gegner manchmal einigermaßen wurscht ist, auf höfliche Weise selbstverständlich. "Wir wissen natürlich, wie sie grundsätzlich spielen, aber bei allem Respekt interessiert mich Norwegen nur bedingt", sagte Löw vor dem Qualifikationsspiel in Stuttgart. Und ob er einen norwegischen Spieler haben wolle? Darüber müsse er sich keine Gedanken machen, "ich bin mit meiner Mannschaft zufrieden".

Löw hat ein Luxusproblem

Das wäre ja auch noch schöner: Wenn dieser Bundestrainer, der ohnehin schon aus 38 oder 43 hochkarätigen Kräften auswählen muss, sich diese Auswahl jetzt noch ohne Not erschweren würde. Der Kollege könne zurzeit "drei Mannschaften auf demselben Niveau stellen", hat Norwegens Nationaltrainer Lars Lagerbäck gerade gesagt, und natürlich klang im Untertitel mit: Wie gerne hätte ich wenigstens eine! Aber allen Nationaltrainern der Welt sei zum Trost gesagt: Ja, es ist einerseits schon ein sehr cooler Lebensentwurf, im Moment Joachim Löw zu sein. Andererseits: Wird zu viel Luxus nicht irgendwann ungesund?

Zwei Tage, bevor Löw bei der Pressekonferenz in Stuttgart auf norwegische Reporterfragen antwortete, hatte seine Elf 2:1 in Prag gewonnen, dabei aber "ein Qualifikationsspiel der schlechteren Sorte" abgeliefert, wie Abwehrspieler Mats Hummels anmerkte. Hummels fiel das Übelnehmen leicht, er hatte diesem nicht standesgemäßen Spiel mit seinem Kopfballtor kurz vor Schluss wenigstens ein standesgemäßes Ergebnis beschert. Aber nach einem tadellosen Start samt frühem Treffer von Timo Werner (4.) war Löws Luxusproblem überraschend schnell sichtbar geworden. Dem Bundestrainer geht es neuerdings wie einem viel zu reichen Menschen, der unzählige Spitzenfahrzeuge in der Garage hat und sich nur schwer entscheiden kann: Welches nehm' ich denn heute? Es kann dann schon mal vorkommen, dass man ein besonders ausgefallenes Cabrio wählt, wobei es dann nach vier tadellosen Fahrminuten scheußlich zu schiffen anfängt.

Im Konkurrenzkampf sind der Fantasie "keine Grenzen gesetzt"

Als in Prag die Aufstellungszettel verteilt wurden, setzt gleich ein großes Rätselraten ein: Was will Löw uns damit sagen? Wie würde der Trainer seine zehn Feldspielermenschen wohl anordnen auf dem Platz, Dreierkette, Viererkette? Auf welcher Position würde Julian Brandt spielen, links vorne vielleicht? Und Lars Stindl? Und Thomas Müller? Es war dann so, dass Julian Brandt rechts hinten und rechts vorne spielte, jedenfalls, wenn er nicht gerade in die Mitte zog, wo er manchmal Lars Stindl und manchmal Thomas Müller begegnete, manchmal aber auch nicht. Er lasse gerne so spielen, mit zwei Neunern (Timo Werner, Lars Stindl) und zwei Zehnern dahinter (Mesut Özil, Thomas Müller), sagte Löw später. Wenn das stimmt, hat er diese Vorliebe bisher recht diskret behandelt, mit Recht vermutlich, denn zumindest an diesem Abend dürfte diese Systematik keine neuen Unterstützer gefunden haben.

"Wild" nannte Hummels das Spiel später, alle waren überall und nirgendwo, die Positionen wurden munter gewechselt, aber sie wurden zu selten übergeben. Manchmal räumte ein Spieler im Sinne der geplanten totalen Flexibilität schön seinen Raum, aber es fand sich dann kein anderer, um diesen Raum zu besetzen. So wirkte das deutsche Spiel ungewohnt instabil, es grenzte mitunter an unterlassene Hilfeleistung gegenüber Mats Hummels, der letztverbliebenen Defensiv-Instanz.

Die Gefahr, sich selbst zu schlagen

Allerdings sollten sich Lars Lagerbäck und 100 andere Nationaltrainer wohl nicht allzu viele Hoffnungen machen. Wer Löw und sein Team kennt, der ahnt, dass sie im Ernstfall (= Turnier) wieder top seriös, top vorbereitet sowie mit einer Tipptoppkörperspannung auf dem Feld stehen werden, die gelegentliche Naivität der Anfangstage hat dieser inzwischen kampferprobte Trainer längst abgelegt. Dennoch wird immer mehr spürbar, weshalb der Routinier Löw spätestens seit dem Confed Cup wieder neu für seinen Job entflammt ist: Der von ihm selbst ausgerufene "härteste Konkurrenzkampf" seiner Amtszeit ist nicht nur für die Spieler eine völlig neue Herausforderung, sondern auch für den Coach. "Wir sind extrem flexibel, wir haben extrem viele unterschiedliche Spieler", sagt Thomas Müller, "der Trainer kann für jedes Spiel einen speziellen Plan zurechtlegen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt."

Löws neue Herausforderung besteht nun darin, die verführerischen Optionen zu nutzen, aber nicht zu überziehen dabei. Die Chance, sich selbst zu schlagen, ist wieder größer geworden im deutschen Fußball, ausgerechnet jetzt, denn auf nie da gewesenem Niveau lauert immer wieder die Gefahr, aus tausend Möglichkeiten auch mal die falsche auszuwählen. Löw kennt die Risiken und Nebenwirkungen, aber er wirkt schwer motiviert von der Aufgabe, seine alten Helden mit den Confed-Cup-Entdeckungen und den U 21-Europameistern zu einem neuen Team zusammenzubauen, das nicht mehr vollgeregnet wird, wenn das Dach aufgeht.

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