DFB-Team:Borussia Bayern

Frankreich - Deutschland - Deutsches Training

Joachim Löw (Mitte) ist zufrieden, wie sich sein Team entwickelt.

(Foto: dpa)

Von Christof Kneer

Wenn Neven Subotic damals mitgespielt hätte, wäre das alles vielleicht gar nicht passiert. Nie gehört hätte man vielleicht die ganzen Debatten und Schuldzuweisungen, nie gelesen all die prächtigen Boulevard-Schlagzeilen: "Kloppo geht auf Jogi los!" Oder war es umgekehrt? Jedenfalls kam aus dem Mittelfeld dieser lange Ball auf die halblinke deutsche Abwehrseite hinüber geflogen, und Mats Hummels verließ sein Abwehrzentrum und machte ein paar Schritte nach links und ein paar nach vorne, um den Ball abzufangen. Dieser vernünftig klingende Plan misslang allerdings auf recht spektakuläre Weise, und ein paar Sekunden später stand es 1:0 für Paraguay. Das Spiel endete 3:3, und hinterher kursierten tausend widersprüchliche Gutachten über Sinn und Unsinn dieser deutschen Nationalmannschaft, nur in einem waren sich sämtliche Diskutanten einig, damals, im August 2013: Weltmeister würde diese Mannschaft natürlich niemals werden.

Wie man inzwischen weiß, waren diese Urteile am Ende nicht ganz präzise, aber das lag auch daran, dass Bundestrainer Joachim Löw die gelegentlich auftretenden Verständnisschwierigkeiten in seinem Team auf einleuchtende Weise überwunden hat. Er hat in Brasilien einfach Bayerisch als Amtssprache angeordnet. Sechs Bayern-Profis standen im WM-Finale in der Anfangself, eingewechselt wurde ein siebter, der in der 113. Minute das Siegtor schoss. Unter ferner siegten: ein Dortmunder (Hummels), ein Schalker (Höwedes), ein Gladbacher (Kramer) sowie ein England- und ein Italien-Profi (Özil, Klose).

"Blockbildung" ist ein schönes Wort aus der deutschen Fußballgeschichte, es wurde immer dann verwendet, wenn sich die Nationalmannschaft zu sieben oder neun Elfteln aus Spielern von zwei verschiedenen Klubs zusammensetzte, wovon ein Klub immer der FC Bayern war. Bei der WM in Brasilien war die Blockbildung aber eher dergestalt, dass die Bayern ausnahmsweise auch mal einen Dortmunder ein Kopfballtor erzielen ließen. Der sagenhaft selbstbewusste Hummels hat sich während der WM recht reibungsfrei in diesen FC Bayern Deutschland integrieren lassen - obwohl ihm Neven Subotic fehlte, sein serbischer Nebenmann aus Dortmund.

Mit Fäusten in den Hosentaschen ins Vorbereitungscamp gereist

Also: Mit Subotic an seiner Seite hätte Hummels vermutlich keinen Fehler gemacht, damals, bei diesem 3:3 gegen Paraguay. Subotic wäre in jenem Moment, in dem Hummels nach links rausrückte, nach innen an Hummels' Platz gerutscht. Aber Per Mertesacker, FC Arsenal, blieb, wo er war, weil die deutsche Nationalelf anders verteidigt als Borussia Dortmund. Bayern und Dortmund, Dortmund und Bayern: Dieser produktive Dualismus hat den deutschen Fußball einige Jahre geprägt, manchmal war es auch kein Dualismus, sondern eine solide Antipathie. Im Mai 2012 sind die Bayern-Spieler mit den Fäusten in den Hosentaschen ins EM-Vorbereitungscamp gereist, weil sie den renitenten Dortmundern gerade in Meisterschaft und Pokalfinale unterlegen waren. Aber schwerwiegender als die gelegentlichen Spannungen waren die inhaltlichen Differenzen: Die Bayern reisten stets als versierte Ballbesitzfußballer ins DFB-Quartier, während Jürgen Klopps Dortmunder als abgerichtete Balljäger eincheckten. Die Spieler entstammten komplett unterschiedlichen Denkschulen; was sich für Löw meistens halbwegs ausbalancieren ließ, weil die Bayern in seiner Startelf sowieso weit in der Überzahl waren. Und der BVB-Startelf-Kandidat Marco Reus war ja ohnehin verlässlich verletzt.

Rechnet man die verletzten Götze und Reus hinzu, steht es 4:4

Ein Blick auf jene Aufstellung, die sich nach Löws Andeutungen nun fürs aktuelle Frankreich-Testspiel veranschlagen lässt, zeigt, wie sich die Verhältnisse fast unbemerkt verändert haben. Drei Bayern und drei Dortmunder werden in der Startelf erwartet; rechnet man den verletzten Götze (FCB) und den verlässlich verletzten Reus (BVB) dazu, dann steht es im Moment 4:4.

Löw erhält Profis, deren Fußball sich gut zusammenbauen lässt

Joachim Löw sagt das nicht so laut, er hat ja keinen Grund, den Druck auf sein Team zu erhöhen, von dem alle mindestens den EM-Titel erwarten: Aber der Bundestrainer weiß genau, dass er der große Profiteur der neuen Zeiten sein könnte. Bayern und Dortmunder haben sich nicht nur zahlenmäßig angenähert, sondern auch atmosphärisch und - das vor allem - stilistisch. Der kalte Krieg ist vorbei, erst recht, seit Dortmunds Fußball vom Trainer Thomas Tuchel verantwortet wird, der die Bayern nicht als dunkle, feindliche Macht, sondern als Quell der Inspiration begreift. Tuchels Idee vom Spiel ist der Idee Pep Guardiolas viel näher als der Idee von Klopp, weshalb Löw nun keine unterschiedlichen Module mehr angeliefert bekommt. Er bekommt jetzt Spieler, deren Fußball sich gut zusammenbauen lässt.

"Wir haben inzwischen ja eine ganz ähnliche Ausrichtung wie die Bayern", sagt der Dortmunder Mattias Ginter, "auch unser Spiel in Dortmund kommt inzwischen sehr über Ballbesitz." Wie die Bayern, so gönnen sich die Dortmunder unter Tuchel jetzt auch Ruhe- und Kontrollphasen im Aufbauspiel, nicht jeder eroberte Ball muss wie von einer Ballmaschine sofort wieder nach vorne ausgespuckt werden. "Sehr vorteilhaft für die Nationalelf" sei diese stilistische Annäherung der beiden prägenden Vereine, sagt DFB-Sportdirektor Hansi Flick, der in seiner Zeit als Löws Assistent gut damit zu tun hatte, die konträren Modelle zu harmonisieren.

Dass die Bayern-Profis plötzlich neidisch auf die gewachsene BVB-Fraktionsgemeinschaft blicken, ist erst mal nicht zu befürchten. Mit ein bisschen Fantasie können sich die Münchner ja immer noch eine Überzahl im Kader einbilden: Sie müssen einfach nur Bastian Schweinsteiger und Toni Kroos mitrechnen.

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