DFB-Team bei der Fußball-WM:Löw fehlen noch Puzzleteile

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Fehlt noch die Kraft für ein ganzes Fußballspiel: Bastian Schweinsteiger. (Foto: dpa)

Schweinsteiger fehlt die Kraft, Höwedes die Qualität: Das WM-Achtelfinale gegen Algerien deckt deutlich die Schwächen der deutschen Mannschaft auf. Und unweigerlich kehrt die Frage nach der richtigen Position für Philipp Lahm zurück.

Von Thomas Hummel, Porto Alegre

Es war ein für brasilianische Verhältnisse fast schon gesundheitsgefährdend kalter Tag gewesen in Porto Alegre. Vom riesigen Süßwassersee Lagoa dos Patos wehte ein solch frischer Wind herüber, dass die Palmenblätter ungeordnet herumflatterten wie später phasenweise die deutsche Abwehr im Estádio Beria-Rio. Die Menschen holten ihre dicksten Jacken aus dem Schrank und klappten die Kragen hoch.

Als es bereits Nacht war in Porto Alegre kam Mario Götze aus der Kabine geschlendert. Er klemmte seinen Kulturbeutel unter den Ellbogen und aß einen Keks oder ein paar Chips, so genau war das nicht zu erkennen. Und er trug ein T-Shirt samt kurzer Hose. In diesem Moment verfestigte sich endgültig der Eindruck, dass der 22-Jährige nicht ganz auf dieser Welt wandle.

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Shkodran Mustafi steht im Achtelfinale erstmals bei der WM in der Startelf des DFB - und erlebt einen unglücklichen Abend. In der ersten Hälfte leistet sich der rechte Außenverteidiger einige Fehler. Später wird er verletzt ausgewechselt - und erhält eine niederschmetternde Diagnose.

Mario Götze ist technisch einer der brillantesten Kicker seit Pierre Littbarski. Vor einem Jahr war er unter großem Getöse für sagenhafte 37 Millionen Euro von Borussia Dortmund zum großen Konkurrenten Bayern München gewechselt. Irgendwas ist seither passiert, denn er setzt bei dieser Weltmeisterschaft jenes zaghafte Spiel ohne Sinn und Ziel fort, das er auch beim FC Bayern München in der Rückrunde häufig gezeigt hatte. Dennoch hat ihn Bundestrainer Joachim Löw nun zum dritten Mal von Beginn an aufgestellt.

Die turbulente Partie in Porto Alegre gegen den Außenseiter aus Algerien hinterlässt Fragen. Die Schwächen im deutschen Team waren lange Zeit unübersehbar. Die DFB-Elf hat das Spiel am Ende mit Ach und Krach in der Verlängerung 2:1 gewonnen und flog in der Nacht zum Dienstag zurück ins Trainingscamp nach Santo André. Zurück in den warmen Nordosten. Sie nahm einige Debatten mit.

Zum Beispiel die, was mit Mario Götze anzufangen ist. Wie gut tat es dem Spiel, als vor den Passspielern Lahm, Schweinsteiger, Kroos und Özil nicht der Passspieler Götze herumlief, sondern der geradlinige Sprinter André Schürrle! Auch Mesut Özil ist für solche Kämpfe eigentlich nicht geschaffen, rannte aber immerhin bis zum Schluss jedem Ball hinterher und wollte seine Schultern diesmal partout nicht auf Nabelhöhe sacken lassen.

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Die internationalen Medien sind sich einig: Das 2:1 gegen Algerien gelingt der DFB-Elf nur unter massiven Anstrengungen. Die Nordafrikaner werden in der Heimat trotz ihres Ausscheidens wie Helden gefeiert.

Die Frage um Philipp Lahm ist ebenfalls unweigerlich zurückgekehrt. Nach der Verletzung von Shkodran Mustafi (WM-Aus durch Muskelbündelriss) wechselte Lahm auf seine frühere Position und zeigte sofort, wie ein guter Außenverteidiger spielt. Lahm klagte zwar: "Es ist nicht so einfach, während des Spiels die Position zu wechseln. Vor allem, wenn man sie wochenlang nicht bekleidet hat so wie ich." Doch der Qualitätsgewinn in der Abwehr war unübersehbar. "Er war auf der Seite sofort anspielbar, das war dann eine Option mehr für uns", erkannte Ko-Trainer Hansi Flick.

Ob Lahm nun für das Viertelfinale gegen Frankreich (Freitag, 18 Uhr) von Beginn an nach rechts hinten rutscht, darüber wollte Flick nicht spekulieren. Das Trainerteam müsste dann schließlich auch die Frage beantworten, wer außer Toni Kroos in der Zentrale spielen soll. Bastian Schweinsteiger zeigte, dass sein Körper ein hartes WM-Spiel nicht durchhält. Seine Auswechslung war in der 109. Minute längst überfällig, die Muskeln verkrampften sich bereits.

Sami Khediras Leistungen sind nach der Kreuzbandverletzung instabil. Diesmal gab er der Mannschaft nach seiner Einwechslung Halt. Und zog aus dem Mittelfeld endlich einmal im Sprint nach vorne, was vorher völlig gefehlt hatte.

Bliebe die Variante Christoph Kramer. Der Mönchengladbacher kam für Schweinsteiger in der Schlussphase der Verlängerung und anschließend sehr glücklich (und mit langer Hose) aus der Kabine. "Für mich persönlich ist das natürlich Weltklasse. Ich bin superglücklich, dass ich meine Minuten bekommen habe." Kramer machte sich sehr verdient um das frühe Pressing gegen die verzweifelten Algerier.

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Er hatte sogar die Chance auf sein erstes Länderspieltor. "Zuerst wollte ich über den Torwart lupfen, aber dann hat mich der Mut auf den letzten Metern verlassen und es ist nur ein Schüsschen geworden", erzählte er. Damit glich er sich in der Kategorie Torschuss seinen Kollegen an.

Seine Hoffnungen auf einen weiteren Einsatz sah er realistisch. "Wenn die Krämpfe von Bastian noch vier Tage anhalten, dann mache ich mir Hoffnung. Aber ich denke nicht, dass sie noch länger als zehn Minuten nach dem Spiel da waren." Also zurück auf die Ersatzbank?

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Dort sitzen auch die Dortmunder Außenverteidiger Erik Durm und Kevin Großkreutz. Das Bundestrainer-Team scheint sich darauf festgelegt zu haben, dass dieser WM mit vier gelernten Innenverteidigern besser beizukommen ist, als mit Außenverteidigern, die die Linie hinaufsprinten. Gerade gegen defensiv kompakt stehende Mannschaften wie die USA und Algerien sind offensive Außenverteidiger eigentlich ein gängiges Mittel für Überraschungseffekte.

Doch weder Mustafi und schon gar nicht Benedikt Höwedes auf links verfügen über diese Qualität. Jérôme Boateng hatte es gegen die Amerikaner hin und wieder versucht. Falls Mats Hummels seine Grippe bis Freitag auskuriert, dürfte er Boateng wieder nach rechts verdrängen.

Löw, Flick und ihre Berater werden bis Freitag das Puzzle zusammensetzen. Vielleicht beschäftigen sie sich dafür auch mit der Forderung von Torwart Manuel Neuer: "Wir müssen zielstrebiger nach vorne spielen." Für das Duell im Viertelfinale könnte sie immerhin ermutigen, dass Frankreich gegen Nigeria keineswegs glänzte. Und dass in Rio de Janeiro kurze Hosen durchaus angebracht sind.

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