DFB-Team bei der Frauen-WM:"Sie hätten uns killen können"

Germany v Norway: Group B - FIFA Women's World Cup 2015

Nach dem 1:1 gegen Norwegen: Unbefleckt sind die deutschen Frauen bei der WM in Kanada schon mal nicht ins Turnier gestartet.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • 27 Torschüsse, nur ein Treffer: Obwohl die Norwegerinnen schwindelig gespielt sind, schafft das DFB-Team im zweiten Gruppenspiel nur ein 1:1.
  • Das Unentschieden birgt Gefahren: Der Gruppensieg, aber auch das frühzeitige Turnieraus sind möglich.
  • Hier geht es zum Spielplan der Frauen-WM.

Von Jürgen Schmieder

Ariane Hingst war ein bisschen genervt. Da musste sich die ehemalige Nationalspielerin im Studio des amerikanischen Senders Fox von Eric Wynalda und Kelly Smith erklären lassen, welche Überraschung dieses 1:1 der deutschen Elf gegen Norwegen beim zweiten Spiel der Fußball-WM doch sei. Bei der Analyse von Wynalda schwang ein bisschen Häme mit, vielleicht gar ein wenig Krisengerede.

Da grinste Hingst frech und sagte: "Ach, 2007 haben wir gegen England auch Unentschieden gespielt und sind am Ende Weltmeister geworden - vielleicht ist das ja auch ein gutes Zeichen."

Sporthistoriker erinnern sich natürlich an diese deutsche Fußballtradition, auf dem Weg zum Titel in der Gruppenphase gerne mal ein künstlerisches Päuschen einzulegen: Die Männer etwa verloren 1954 (3:8 gegen Ungarn) und 1974 (0:1 gegen die DDR), bei den Turniererfolgen 1990 (1:1 gegen Kolumbien) und 2014 (2:2 gegen Ghana) gab es jeweils ein Unentschieden. Die Frauen spielten, wie von Hingst erwähnt, 2007 nur 0:0 gegen England. Der einzig unbefleckte Titelgewinner, das waren die deutschen Frauen im Jahr 2003.

Natürlich sind diese Referenzen auf frühere Turniere vor allem etwas für TV-Expertenrunden, die sportlich relevante Gegenwart bei dieser Frauen-WM in Kanada sieht so aus: Die deutsche Elf hat beim zweiten Gruppenspiel ein 1:1 erreicht, mit einem Sieg gegen Thailand am Montag kann sie diese Gruppe gewinnen, ohne auf die anderen Mannschaften achten zu müssen. Sie kann bei einer Niederlage und äußerst ungünstigem Verlauf aller anderer Partien (die vier besten Gruppendritten qualifizieren sich für das Achtelfinale) allerdings auch früh scheitern bei diesem Turnier.

Wie ist dieses Unentschieden also zu interpretieren? War es ein formidabler Auftritt mit ein paar kleinen Fehlern? Indizien dafür gibt es genug, in der ersten Halbzeit spielten die Deutschen ihre Gegnerinnen derart schwindelig, dass bei manchem ärztlichen Besuch auf dem Kunstrasen durchaus Zweifel angebracht waren, ob da wirklich ein Zusammenstoß dafür verantwortlich war, dass eine Norwegerin auf dem Boden lag - oder vielmehr Kreislaufprobleme. "Sie hätten uns in der ersten Halbzeit killen können", sagte selbst Norwegens Trainer Even Pellerud

"Wir haben eine richtig gute erste Halbzeit gespielt"

Die deutsche Elf präsentierte sich nach dem frühen Führungstreffer von Anja Mittag (6. Minute) ballsicher und spielfreudig, sie schoss in der ersten Halbzeit insgesamt 19 Mal aufs gegnerische Tor - die Norwegerinnen dagegen verhielten sich, als wäre am deutschen Strafraum ein Betreten-verboten-Schild angebracht. "Die Norweger wussten gar nicht, wo vorne und hinten ist", erklärte Torfrau Nadine Angerer.

"Wir haben eine richtig gute erste Halbzeit gespielt", urteilte auch Bundestrainerin Silvia Neid nach der Partie, "da haben wir alles richtig gemacht." Bis Spielschluss zählten die Statistiker 27:4 Torschüsse, eine eindeutige Bilanz. "Wenn wir da das zweite oder dritte Tor machen, können wir es ruhiger angehen", erklärte Neid: "Wir müssen einfach das tun, was wir besprochen haben, dann läuft es auch."

"Unser Spiel ist sehr kraftraubend"

Das DFB-Team vergab beste Gelegenheiten, was die Norwegerinnen animinierte, doch selbst wieder mutiger zu agieren. Torfrau Nadine Angerer musste aufgrund zahlreicher Unaufmerksamkeiten immer wieder den wütenden Wachhund geben. Der Gegentreffer resultierte aus einem kollektiven Stellungsfehler und einem ungeschickten Foul, den fälligen Freistoß verwandelte Maren Mjelde (61.) direkt. Gegen Ende der Partie wirkte die komplette Mannschaft in der Schwüle von Ottawa nicht nur ideenlos, sondern auch müde.

"Wir haben ein bisschen das Tempo rausgenommen und sind dann nicht mehr richtig ins Spiel gekommen", sagte Alexandra Popp: "Warum? Das weiß ich nicht."

Eine Lesart dieser Partie könnte deshalb auch sein, dass Nachlässigkeit und Unachtsamkeit von stärkeren Mannschaften deftiger bestraft werden wird als von den letztlich doch eher biederen Norwegerinnen. Das deutsche Team schien nicht in der Lage, das Tempo in der zweiten Halbzeit wieder zu erhöhen und sich Chancen zu erspielen. "Unser Spiel ist sehr kraftraubend", erwähnte Angerer, "und auf so einem Boden natürlich doppelt und dreifach". Doch der Kunstrasen soll nicht Schuld sein am unbefriedigenden Ergebnis: Die deutsche Nationalmannschaft hat den vorzeitigen Gruppensieg verpasst und sich damit unnötig selbst unter Druck gesetzt.

Erstmal locker in den Hotel-Pool

Trotzdem wirkten die deutschen Frauen locker, so wie sie nach dem 10:0 im ersten Spiel gegen die Elfenbeinküste nicht gerade enthusiastisch gewirkt hatten. "Wir wissen das schon richtig einzuschätzen", sagte Popp: "Nur weil wir mal 10:0 gewonnen haben, sind wir nicht schon Weltmeister." Und nur weil es nun mal ein 1:1 gegeben habe, sei noch lange kein Grund für Panik. Ganz im Gegenteil, es ist ja durchaus auch als Kompliment zu verstehen, dass ein 1:1 gegen gutklassige Norwegen in der Fußballwelt mittlerweile als Enttäuschung gesehen wird.

Die deutsche Elf ist der Favorit bei dieser Fußball-WM, damit müssen die Spielerinnen leben. Sie fliegen nun weiter nach Winnipeg zum letzten Spiel der Vorrunde gegen Thailand. Nach dem Einchecken im Hotel wird es erst einmal keine kritische Aufarbeitung der Partie gegen Norwegen geben. Die Spielerinnen sollen zunächst einmal in den Hotel-Pool hüpfen. Ganz locker also.

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