DFB-Stürmer Mario Gomez:Ein Held, der sich rechtfertigen muss

Trotz seines Siegtores gegen Portugal erlebt Mario Gomez erneut die polarisierende Wirkung seines Stürmerdaseins. Entweder er trifft - oder er wird getroffen: von Kritik, Häme und schlechten Kopfnoten in den Fachmagazinen. Die demonstrative Gelassenheit, die Gomez zeigt, dürfte deshalb auch ein Schutzschild sein.

Claudio Catuogno

Mario Gomez hat sich mit der Zeit dieses Liegestuhllächeln angewöhnt: Wer ihm eine Frage stellt, den grinst er an wie einen Kellner, der einen kunstvoll angerichteten Cocktail herbeiträgt und neben ihm auf dem Strandtischchen platziert. So schlenderte Mario Gomez nun auch an den Sponsorenwänden entlang, wo schon der Mann mit dem bunten Uefa-Mikrofon wartete. Blitz-Interview, in die weltweite TV-Übertragung hinein. "Mario Gomez", fragte der Uefa-Mann also, "ist es für Sie eine besondere Genugtuung, dass Sie heute auch mal im Nationaltrikot der Matchwinner sind?"

Sollte es auf dieser Welt, beispielsweise in Paraguay oder Burkina Faso, noch vereinzelte Fernsehzuschauer geben, die die Karriere des Bayern-Stürmers Gomez zuletzt nur am Rande verfolgt haben, werden die sich nun dieselbe Frage gestellt haben, die auch Gomez hinter seiner unerschütterlichen Fassade zu beschäftigen schien. "Na ja", entgegnete er lächelnd: "Was heißt hier: mal?" Wo er doch "zwei sehr erfolgreiche Jahre" hinter sich habe, auch beim DFB.

Das ist zweifellos richtig. Es hat aber nichts daran geändert, dass für Mario Gomez gleich nach dem Abpfiff wieder die Zeit der Rechtfertigungen begann.

Auch dem Bundestrainer ist nach dem 1:0 gegen Portugal nicht entgangen, in welch bemerkenswerte Richtung hier eine Debatte entglitt. Mario Gomez, Held des Abends - das hätte doch eigentlich die Schlagzeile zum Spiel sein müssen angesichts dieses Treffers des Abends, der noch eine segensreiche Langzeitwirkung für die deutsche EM-Kampagne entfalten dürfte. "Entscheidend ist, in solchen Spielen zu siegen", so hat Löw die Partie programmatisch zusammengefasst.

Und einen Sieg ohne Siegtorschützen, das hat es dann ja doch eher selten gegeben im Fußballgeschäft. Dennoch wurde nun allenthalben der Eindruck erweckt, als stehe Gomez eher exemplarisch für ein zentrales Defizit in der deutschen Mannschaft, als sei Gomez im Grunde das Problem gewesen gegen Portugal, nicht seine fußballerische Lösung. Die Expertise von Mehmet Scholl in der ARD (siehe Text rechts: "Zu wenig") war da nur die pointierteste Form der Kritik.

Feinheiten der Mario-Gomez-Debatte

Tor oder Torheit? Diese Zuspitzung zieht sich seit jeher durch Gomez' Wirken als Frontarbeiter. Entweder er trifft - oder er wird getroffen: von Kritik, Häme, schlechten Kopfnoten in den Fachmagazinen. Man kann dann bisweilen nicht glauben, dass hier tatsächlich vom zweitbesten Angreifer der jüngsten Bundesliga-Saison die Rede sein soll (26 Tore), sogar vom zweiterfolgreichsten Angreifer dieses Champions-League-Jahres, dessen zwölf Treffer nur noch überboten wurden von Lionel Messi. Und man ahnt: Die demonstrative Gelassenheit, mit der Mario Gomez sich durchs Leben bewegt, dürfte auch ein Schutzschild sein gegen die polarisierende Wirkung seines Stürmerdaseins.

Dass Joachim Löw sich den Kern dieser Analyse, abzüglich der branchenüblichen Polemik, selbst zu eigen macht, davon darf man ausgehen. So erklärt sich unter anderem die Wertschätzung, die der Bundestrainer Miroslav Klose entgegenbringt, dem Sturm-Altmeister von Lazio Rom. Der sich den Ball häufig selbst in der eigenen Hälfte besorgt, der sich dank seiner technischen Finesse auch stets als Doppelpasspartner anbietet für Özil, Podolski, Müller. Der das deutsche Angriffsspiel variabel macht, nicht statisch.

Die Entscheidung für Gomez und gegen Klose hatte Löw dennoch schon "vor zwei, drei Tagen getroffen" und den Betroffenen mitgeteilt. Kloses lange Verletzung, verbunden mit fehlender Spielpraxis, hatte den Ausschlag gegeben. Auch in dieser Frage hat sich damit der Pragmatiker Löw gegen den Ästheten Löw durchgesetzt, was unter Erfolgsgesichtspunkten kein schlechtes Zeichen sein muss für den weiteren Turnierverlauf.

In die Feinheiten der Mario-Gomez-Debatte ist Löw nicht tiefer eingestiegen in Lemberg, vielmehr versuchte er, ihr auf indirektem Weg die Substanz zu nehmen. Mehrmals erzählte er, auch ungefragt, wie "unglaublich viel gelaufen" Gomez sei, wie er sich aufgerieben habe in Defensiv-Zweikämpfen, "seine Aufgabe war es ja auch, immer auf Pepe draufzugehen und ihn zu stören". Wer das Spiel nicht gesehen hatte, musste glauben, Gomez sei eine Art Abwehrchef der deutschen Elf gewesen und der robuste Innenverteidiger Pepe ein gefürchteter portugiesischer Stürmer. Effizienz, sollte das wohl heißen, bedeutet eben nicht nur, einmal in 90 Minuten geschickt den Kopf hinter den Ball zu bekommen.

Dass indes sogar die Entstehungsgeschichte seines Tores in der 73. Minute eher den Launen des Zufalls als einem Plan folgte, hat sogar Mario Gomez nicht bestritten: Khedira hatte eine jener Halbfeldflanken auf den Weg gebracht, von denen man dachte, die Nationalelf habe sie gar nicht mehr im Repertoire, der Ball erreichte nur deshalb Gomez' Kopf, weil ein portugiesisches Abwehrbein seine Flugbahn manipulierte. "Der Ball war abgefälscht und landete mir direkt auf dem Schädel. Da war der Rest nicht mehr so schwer."

An der Seitenlinie war da längst Miroslav Klose gestanden, hätte der vierte Offizielle nicht so lange mit seiner Tafel hantiert, wäre Gomez in dieser 73. Minute schon ausgewechselt gewesen. Und Joachim Löw hätte ihn am Mittwoch gegen die Niederlande vermutlich weder im Sturm noch in der Innenverteidigung aufgeboten.

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