DFB-Stürmer Karim Bellarabi:Versteckter Sieger

Poland v Germany - EURO 2016 Qualifier

Bester Debütant seit langer Zeit: Karim Bellarabi.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Karim Bellarabi vergibt gegen Polen gute Chancen - sogar sechs. Trotzdem gilt er als Gewinner der missratenen DFB-Länderspielreise nach Warschau. Sein Talent schien er lange zu vergeuden.

Von Thomas Hummel, Warschau

So ein Unbekannter ist Karim Bellarabi eigentlich gar nicht. Lange bevor er diesen ersten beeindruckenden Auftritt in der deutschen Nationalmannschaft hinlegte, hatte er schon Tore geschossen gegen zwei der berühmtesten Klubs der Welt: gegen den FC Bayern und gegen den FC Barcelona. Anfang 2012 war das. Er besiegelte einen Leverkusener Sieg gegen die Münchner mit seinem 2:0 in der Nachspielzeit. In Barcelona durfte er erfahren, wie es sich anfühlt, wenn man einen sogenannten Ehrentreffer erzielt - am Ende stand es 1:7.

Es war eine Zeit, als Karim Bellarabi am Eingangstor stand mit der Aufschrift: "Große Karriere". Als Sohn einer deutschen Mutter und eines marokkanischen Vaters, aufgewachsen bei einem ghanaischen Stiefvater, lockten bereits die afrikanischen Verbände. Beide wollten, dass Bellarabi für ihr Land spielte, doch der wiegelte erst einmal ab.

Das Talent war unübersehbar, die Dynamik, die Durchsetzungskraft, die Technik, die Schnelligkeit. Alles brachte Bellarabi mit nach Leverkusen. Und doch klappte es damals nicht. Um heutzutage ein erfolgreicher Fußballprofi zu werden, gehört mehr dazu als gute Anlagen.

Zweieinhalb Jahre später, am Samstagabend stand er im Keller des Warschauer Nationalstadions und erklärte: "Ein Traum geht für mich in Erfüllung. Vor ein paar Monaten hätte ich nicht erwartet, dass es so schnell geht." Die deutsche Nationalmannschaft hatte gerade seit Ewigkeiten mal wieder ein Pflichtspiel verloren, zum ersten Mal gegen Polen überhaupt, mit 0:2 in der EM-Qualifikation. Doch in jeder Niederlage verstecken sich Sieger. Der deutsche Sieger des Abends hieß Karim Bellarabi.

Kaum einer hatte erwartet, dass Bundestrainer Joachim Löw den heute 24-Jährigen nominieren würde. Als die Kunde durch das Stadion in Warschau ging, Bellarabi spiele von Beginn an, machten die meisten große Augen. Im Laufe des Spiels zeigte sich, dass er als bester Offensivspieler in die Wertung eingehen werde. Ein solch eindrucksvolles Debüt hat es selten gegeben in der Nationalmannschaft.

"Er war ständig präsent. Er hatte einige gute Aktionen und ist zu Abschlüssen gekommen. Er war agil und aktiv", lobte Löw. Kollege Thomas Müller wirkte leicht überrascht von der Stärke des Neuen: "Er hat gut trainiert die ganze Woche. Er ist sehr spritzig. Aber er hat das Tor leider auch nicht getroffen - wie wir alle da vorne."

Bellarabi gab eben nicht nur einen guten Einstand. Er versinnbildlichte auch das Problem der deutschen Mannschaft an diesem lauen polnischen Abend: Allein er vergab sechs gute Chancen. Was im Endeffekt die Niederlage erst möglich machte. "Ich muss ein, zwei Tore machen", bekannte er selbst.

Wichtige Zeit in Braunschweig

Dieses Manko hätte anderen viel Kritik eingebracht. Beim Neuling hingegen sehen viele darüber hinweg und freuen sich lieber über seine guten Anlagen und schönen Aussichten, die der Weltmeister mit ihm hat. Karim Bellarabi hat das Tor mit der Aufschrift "Große Karriere" urplötzlich wiedergefunden. Jetzt hat er sogar schon die Klinke in der Hand.

Dazwischen lag eine Zeit, da ging er durch Türen, wo "vergeudetes Talent" oder "charakterlich nicht geeignet" draufstand. In Leverkusen konnte er sich überhaupt nicht durchsetzen, bisweilen kickte er in der zweiten Mannschaft praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Bis ihn Trainer Torsten Lieberknecht auf Leihbasis zum zweiten Mal nach Braunschweig holte und offenbar die richtigen Impulse gab. Lieberknecht vermittelte ihm eine Zivildienst-Stelle bei der Lebenshilfe Braunschweig, wo er sich um schwerbehinderte Menschen kümmerte. "Es war nicht immer einfach, aber am Ende hat es sich gelohnt. Ich habe in dieser Zeit viel gelernt, auch über mich", berichtete Bellarabi. Unter Lieberknecht spielte er zwar eine gute Saison, doch die Eintracht war insgesamt zu schwach für die Bundesliga und stieg ab. Er musste zurück nach Leverkusen, die Zukunft war offen. Denn einige im Verein wollten den Wankelmut gerne wieder loswerden.

Allein der neue Trainer Roger Schmidt verhinderte eine erneute Ausleihe - und Bellarabi legte einen Blitzstart hin. Sein Tor am ersten Spieltag in Dortmund nach neun Sekunden war das schnellste der Bundesliga-Historie. Mit drei Treffern und zwei Vorlagen gehört er zu den erfolgreichsten Offensivspielern der Saison. Joachim Löw rief an und erkundigte sich erst einmal, wie die Angelegenheiten mit Marokko und Ghana stehen. "Doch das war überhaupt kein Thema, er hat sich immer für Deutschland ausgesprochen, hatte überhaupt keinen anderen Gedanken", berichtete Löw.

Durch den Einsatz in einem Pflichtspiel hat sich die Debatte nun sowieso erledigt. Der DFB würde ihn auch ungern wieder hergeben. Bellarabi erzählte von seinem ersten Länderspiel für Deutschland: "Ich war schon ein bisschen aufgeregt. Aber das legte sich dann schnell."

Nach diesem Auftritt wäre es am Dienstag in Gelsenkirchen nun eine Überraschung, würde er nicht gleich zu seinem zweiten Einsatz kommen. Die eingewechselten Julian Draxler und Lukas Podolski (trotz seines Lattenknallers) oder auch André Schürrle hinterließen in Warschau keinen besseren Eindruck. Allein das mit dem Toreschießen müsste Karim Bellarabi irgendwann hinkriegen, denn auch die Iren werden sich gegen auf das Verteidigen konzentrieren. Da ist sogar ein Weltmeister darauf angewiesen, dass die Offensivspieler vorne die wenigen Räume und Chancen irgendwann zu einem Tor nutzen. Er sagte: "Wir müssen daran arbeiten, dass es besser wird."

An der nötigen Einstellung scheint es Karim Bellarabi nicht mehr zu fehlen. Das Tor mit der Aufschrift "Große Karriere" könnte sich bald öffnen.

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