DFB-Spieler Thomas Müller:Der die Bälle riecht

Scotland v Germany - UEFA Euro 2016 Qualifying Group D

Null Torchancen, zwei Tore: Thomas Müller gegen Schottland.

(Foto: REUTERS)
  • Thomas Müller besiegt die schottische Nationalmannschaft in der Qualifikation zur Fußball-EM fast im Alleingang.
  • Ein unverschämt hohes Angebot von Manchester United hat den Angreifer vom FC Bayern München noch selbstbewusster gemacht.
  • Hier geht es zu allen Ergebnissen der EM-Qualifikation.

Von Philipp Selldorf, Glasgow

Wolfgang Niersbach fühlte sich bedrängt und belästigt, als er in der Tiefgarage des Hampden-Parks aufgefordert wurde, unbedingt noch ein paar Worte über diesen herausragenden Nationalspieler zu sagen. Der DFB-Präsident hätte jetzt lieber die Limousine bestiegen, um schnellstmöglich im Mannschaftshotel ein Mitternachtsbier auf den deutschen 3:2- Sieg gegen Schottland zu heben, er wehrte sich verzweifelt.

"Nicht schon wieder", flehte er, bis er nachgab und halt doch die übliche Laudatio hielt: "Fußballer von Gottes Gnaden . . . hat unglaublich viel für den deutschen Fußball getan . . . Weltstar ohne Allüren" - er sagte all diese Dinge, die schon so oft und meistens mit Recht über Thomas Müller gesagt worden sind, und das einzig Überraschende an Niersbachs Ansprache war dann tatsächlich, dass die treffenden Worte gar nicht dem Weltstar und Doppeltorschützen Müller galten, sondern dem Jubilar Franz Beckenbauer, der in dieser Woche seinen 70. Geburtstag zu feiern hat.

"Müller ist eine Naturgewalt"

Thomas Müller ist glücklicherweise erst 25 Jahre alt und wird dem deutschen Fußball noch eine Weile als Nationalspieler und Problemlöser erhalten bleiben, und was für ein Segen das für die DFB-Auswahl ist, das hat er ja nun wieder in Glasgow bewiesen, als er aus keiner Torchance zwei Tore machte und auch noch den Siegtreffer von Ilkay Gündogan zielsicher vorbereitete.

"Müller ist eine Naturgewalt", befand die Daily Mail, und bei all den Elogen, die im Untergrund des Nationalstadions auf ihn angestimmt wurden, hörte es sich so an, als hielten es die Schotten für eine Ehre, abermals von Müller terrorisiert worden zu sein. Schon beim 2:1 im Hinspiel hatte der Münchner beide Tore erzielt, "er ist ein absoluter Meister im Ausnutzen von Lücken", stellte der eher vornehme Herald verehrungsvoll fest.

Man könnte sagen, dass Müller Glück hatte, als ihm das 1:0 gelang, denn ohne die wegweisende Hilfe eines schottischen Verteidigerschuhs hätte sein Schuss nicht ins Tor gefunden; man könnte es auch für günstige Fügung halten, dass Müller beim 2:1 genau dort stand, wohin der schottische Torwart auf unorthodoxe und absolut unvorhersehbare Weise den Ball geklatscht hatte. Aber welcher Narr würde solchen Unsinn behaupten?

Müller hat das Zaubernäschen

Joachim Löw ist bekanntlich kein Narr, weshalb sein Dank nicht fernen Himmelsmächten, sondern Müllers Nase galt. "Er riecht, wohin der Ball kommt", erklärte der Bundestrainer und unterstützte die These, wonach Müller im Rang einer Naturgewalt zu betrachten sei. Diesen Instinkt für Raum und Zeit und Situation, meint Löw, "den kann man nicht lernen, das hat er im Blut. Er denkt immer: Wie kann ich ein Tor erzielen?" Das 2:1, stellte der Schütze übrigens klar, war ein "Reaktionstor".

Jedes Müller-Tor hat seinen Wert und seine Bedeutung - acht sind es mittlerweile im Rahmen der EM-Qualifikation -, an diesem Abend aber war die Bedeutung noch ein wenig größer und noch schlüsselhafter als sonst. Zwar hatten Löw und sein Team mit einem defensiv eingestellten Gegner gerechnet, aber so viel geballte Defensive ließ sie dann doch staunen.

So knackt man eine massive Sechser-Kette

Das gewöhnliche Rezept der Vierer-Abwehrkette hatte der kunstvoll blondierte schottische Chef-Coach Gordon Strachan resolut von der Tageskarte gestrichen, er montierte stattdessen eine Sechser-Kette in Massivbauweise. Um diese Stellung zu durchdringen, gebe es nur zwei Mittel, erläuterte Mats Hummels später: "Da muss man den Ball zirkulieren lassen und gute Laufwege haben."

Für die dauerhafte und geduldige Zirkulation waren die zahlreichen Kleinkünstler im DFB-Trikot zuständig, für die Laufwege Müller. Bis zum 1:0 (18.) hatten die Deutschen zwar oft miteinander den Ball getauscht, aber quasi keinmal aufs Tor geschossen. Dann stiftete Müller mit ein paar Zick-Zack-Läufen genau so viel Verwirrung, wie er brauchte, um sich in Schussposition zu bringen. Drei Meter vor, zwei Meter nach rechts, zwei Meter zurück, auf und nieder, hin und her - so verschafft er sich den Raum, der ihn plötzlich zur Gefahr werden lässt.

Er selbst beschreibt diese vermeintliche Magie als normales Handwerk. Auch eine Abwehrreihe mit sechs grimmig entschlossenen Schotten, findet er, sei nicht undurchdringlich: "Es ist ein Geduldsspiel, Pass hin, Pass her - es bewegt sich immer was."

Ein Thomas Müller ist unbezahlbar

Vor ein paar Wochen, das hat Müllers Arbeitgeber inzwischen bestätigt, hat Manchester United auf schamlose Weise den FC Bayern in Versuchung geführt, doch die Münchner waren nicht bereit, ihren eigentümlichen Torjäger zu verkaufen. Müller hat sich zu dem Fall nicht geäußert, aber es hat seinem Selbstwertgefühl offensichtlich nicht geschadet, dass man ihn zum teuersten Lebendkunstwerk der Welt erheben wollte.

Seine Torquote ist noch ein Stück besser, die Jubelgesänge sind noch etwas lauter geworden. Müller hat sich jedoch vorgenommen, mit dem unvermeidlichen Helden-Rummel kühl wie ein Profi umzugehen. Den Komplimenten in Glasgow begegnete er betont lakonisch. "Nehme ich so zur Kenntnis. Manchmal läuft es besser, manchmal läuft es schlechter. Zurzeit läuft es besser", sagte er. Eine Lichtgestalt ist er auch so schon.

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