DFB-Pokal-Finale:Wo Niko Kovac ein Kämpfer wurde

DFB-Pokal-Finale: Niko Kovac wird am Samstagabend im Mittelpunkt stehen, ob er will oder nicht.

Niko Kovac wird am Samstagabend im Mittelpunkt stehen, ob er will oder nicht.

(Foto: AFP)
  • Bevor er zum FC Bayern wechselt, kehrt Frankfurts Trainer Niko Kovac für das Berliner Pokalfinale zu seinen Wurzeln zurück.
  • Hier, im Stadtteil Wedding, lernten Kovac und sein Bruder früh, die Ellenbogen einzusetzen.
  • Sein früherer Trainer sagt: "Er hat alles hinterfragt und sich nichts gefallen lassen."

Von Barbara Klimke, Berlin

Mit strengem Blick betrat Niko Kovac am Freitag das Olympiastadion. Doch je länger die Plauderei auf dem Podium dauerte, desto heller wurde seine Miene. Auf einen charmanteren Kontrahenten hätte er kaum treffen können als auf Jupp Heynckes, den Trainer des FC Bayern München, mit dem sich Kovacs Frankfurter Eintracht am Samstag im DFB-Pokalfinale duelliert - und dessen Nachfolge er nach dem Schlusspfiff antritt.

Heynckes schmeichelte, Heynckes verteilte Nettigkeiten. Und er ging sogar so weit, die Favoritenrolle des Meisters gegen den Außenseiter aus Frankfurt sanft zurückzuweisen: Die Eintracht habe eine hervorragende Rückrunde gespielt - "bis auf eine Delle vor vier Wochen" -, der Ausgang sei deshalb längst nicht so klar, wie die Öffentlichkeit glaube. Kovac gab die Komplimente zurück: Chancen habe die Eintracht nur, wenn der Rekordmeister keinen guten Tag erwische.

Nur eine Straße weiter wohnte später Kevin-Prince Boateng

Es war ein friedlicher Auftakt zur Staffelübergabe beim FC Bayern - auch wenn sich Kovac eine Kampfansage nicht verkniff: "Wir müssen alles abrufen, was uns stark gemacht hat." Ellbogen raus, Zug zum Tor. Das ist die Losung auf jedem Fußballacker: Ob im Berliner Olympiastadion auf seinem manikürten Rasen - oder zehn Kilometer Luftlinie entfernt in einem Park im Berliner Norden, wo zwischen Hasenkötteln die Gänseblümchen blühten.

DFB-Pokal-Finale: Niko Kovac als Junge bei seinem Stammverein SC Rapide Wedding - auf dem Teamfoto in der oberen Reihe als Zweiter von rechts.

Niko Kovac als Junge bei seinem Stammverein SC Rapide Wedding - auf dem Teamfoto in der oberen Reihe als Zweiter von rechts.

(Foto: Paul Trüb)

Noch immer liegt sie da in ihrer grünen Pracht, die Schillerwiese, auf der Niko Kovac seine ersten Tacklings bestritt. Ein gewaltiges, freies Areal im alten Arbeiterbezirk Wedding, flach wie ein Brett und an drei Seiten von Bäumen umstellt. An Sommertagen lagern Mütter mit Kinderwagen auf dem Rasen. Früher baute der SC Rapide Wedding 1893 e. V. hier seine Tore auf und unterhielt einen geordneten Trainings- und Spielbetrieb, weil das kleine Stadion nebenan für die Kinder- und Jugendteams nicht ausreichte. Dies war die Weddinger Fußballwiese, auf der sich die Talente fast so leicht wie Löwenzahn pflücken ließen. Vorausgesetzt, dass ein Jugendtrainer wie Andreas Beese von Rapide ein Auge dafür hatte.

Niko Kovac, damals neun, und sein jüngerer Bruder Robert warfen eines Nachmittags ihre Jacken auf den Rasen, um mit Vater Mato im Park zu kicken. Trainer Beese, heute 57, sah ihnen zu. "Dann bin ich einfach hingegangen, habe mit dem Vater gesprochen und ihn gefragt, ob die Lütten nicht am Training teilnehmen wollen." So begann die Fußball-Sozialisation, die später bei Weltklubs wie dem FC Bayern (Niko, Robert) und Juventus Turin (Robert) vollendet wurde, in der E- und F-Jugend im Park, "zwischen Kaninchenlöchern, Trampelpfaden und Gullydeckeln", wie Rapides einstiger Jugendleiter, Paul Trüb, dieser Tage lächelnd sagte.

Rapide gibt es nicht mehr. Der Klub fusionierte und heißt heute SV Nord Wedding. Auch die Brüder kehrten der Stadt den Rücken, als sie Jungprofis wurden. Die Hauptstadt hat sich leidvoll damit abgefunden, dass stets im Mai, bei ihrer größten Fußball-Party, nur die Rolle des Dienstleisters für sie übrig bleibt; die anderen feiern, während Berlin für die Lokalität und die Kaltgetränke sorgt. In dieser Saison sind sowohl Hertha BSC in einem Heimspiel gegen Köln als auch Union Berlin in Leverkusen erneut früh gescheitert. Und die letzten Auftritte Berliner Mannschaften im Finale, der legendäre Vorstoß der Hertha-Amateure 1993 und von Union 2001, liegen viele Jahre zurück. Seitdem schaut höchstens einer der verlorenen Söhne, die in die Welt hinausgewandert sind, ab und an im Finale vorbei - was in Berlin dann fast als Heimkehr gilt.

Die Kovacs sind in der Turiner Straße 8 aufgewachsen: helle Fassade, enger Hinterhof. Ein Jahr bevor Niko, der Älteste der drei Geschwister, 1971 geboren wurde, zogen die Eltern aus dem kroatischen Teil Bosnien-Herzegowinas nach Berlin. Der Vater arbeitete als Zimmermann. Auch hier, am Leopoldplatz, wurde gebolzt. Auf Beton, in Käfigen, wie Kovac einmal sagte.

Nur eine Straße weiter wohnte später Kevin-Prince Boateng, Jahrgang 1987, der heute bei Eintracht Frankfurt spielt, unter Trainer Kovac. Noch ein verlorener Sohn der Stadt. Dessen Familie zog dann weiter an die Panke, wo Boateng mit den Geschwistern und Halbgeschwistern auf engstem Raum kickte - in Gummistiefeln, wie eine urbane Legende besagt. Die drei Boatengs, Kevin, George und Jérôme, der Fußball-Weltmeister vom FC Bayern, werden noch immer auf einem Gemälde auf einer Hauswand im Wedding verehrt.

Ein Spiel, bei dem Kovac im Mittelpunkt steht

Es ist sicher nicht nur eine Laune des Zufalls, dass all diese Weddinger Kids ihren Weg in den Profifußball fanden. Der Jugendtrainer Andreas Beese, ebenfalls im Quartier groß geworden, wagt eine Milieutheorie: "Berlin hat Gegenden, in denen die Kinder schon von klein auf ihre Ellbogen einsetzen müssen, um sich auf der Straße durchzusetzen. In anderen Bezirken gibt es diese Häufung von Talenten nicht." Die Vermutung liegt nahe, dass Kovac seine Fähigkeiten für seine insgesamt sehr erfolgreiche Arbeit als Integrationsbeauftragter des 18-Nationen-Teams von Eintracht Frankfurt dort geschult hat.

Noch heute weiß Beese, was er vor mehr als dreißig Jahren im Park in den beiden Kovacs gesehen hat: nicht nur koordinative Fähigkeiten. Sondern auch das, was Beese, der heute die U15-Jugendmannschaft von Tennis Borussia Berlin trainiert und von 2010 bis 2015 als Scout für die TSG Hoffenheim arbeitete, "die Mentalität" nennt: "Wie sie sich beim Eins-gegen-eins gegenüberstanden: Da gab es keine Geschwisterliebe. Man beobachtet, was passiert, wenn sie den Ball verlieren: Bleiben sie stehen, lamentieren sie, setzten sie nach?"

DFB-Pokal-Finale: Fast seine gesamte Grundausbildung genießt Niko Kovac bei SC Rapide Wedding. Erst mit 17 wechselt er nach Zehlendorf. Für 100 Mark Ausbildungsentschädigung.

Fast seine gesamte Grundausbildung genießt Niko Kovac bei SC Rapide Wedding. Erst mit 17 wechselt er nach Zehlendorf. Für 100 Mark Ausbildungsentschädigung.

(Foto: Paul Trüb)

Die Brüder Niko und Robert Kovac seien "volles Tempo gegangen. Die wollten ihr Spielzeug wiederhaben". Niko Kovac sei schon damals ein kleiner Stratege auf dem Platz gewesen, bald auch Kapitän der Jugendmannschaft - aber immer mit einem gradlinigem Zug zum Tor.

Mit klarer Ansage - auf Weddinger Art

Beese sagt von sich, dass er sich als "Ausbildungstrainer, nicht als Ergebnistrainer" verstehe. 28 Jugendliche, mit denen er arbeitete, so steht es auf der Homepage von Tennis Borussia, seien später Profis geworden, darunter Jérôme Boateng. Auch Niko Kovac habe er später, in der B-Jugend, empfohlen, von Rapide zu Hertha 03 Zehlendorf weiterzuziehen, dem damals besten Berliner Jugendverein: "Wenn die Perspektive nicht mehr stimmt, ist es Zeit zu wechseln." Der frühere Jugendleiter Paul Trüb, 66, der den jüngeren Robert Kovac in seiner Mannschaft hatte, gab den gleichen Rat. Er weiß auch noch, dass Hertha Zehlendorf hundert D-Mark an Ausbildungsentschädigung für den 17-jährigen Niko Kovac zahlte.

Im bürgerlichen Berliner Süden überzeugte das Wedding-Kind mit Durchsetzungsqualitäten. Nach einem Jahr rückte Kovac als Abiturient in die Männermannschaft auf und bestritt 25 von 30 Spielen in der Amateur-Oberliga, wie Teammanager Oliver Kellner herausgefunden hat: "Er kam in eine Mannschaft mit 30-Jährigen und hat sich nicht weggeduckt."

Pokal-Endspiele seit 2010

2010 FC Bayern - Werder Bremen 4:0

2011 FC Schalke 04 - MSV Duisburg 5:0

2012 Borussia Dortmund - FC Bayern 5:2

2013 FC Bayern - VfB Stuttgart 3:2

2014 FC Bayern - Borussia Dortmund n.V. 2:0

2015 VfL Wolfsburg - Bor. Dortmund 3:1

2016 FC Bayern - Bor. Dortmund i.E: 4:3 (0:0)

2017 Bor. Dortmund - Eintr. Frankfurt 2:1

2018 FC Bayern - Eintracht Frankfurt

Zwei Jahre später war er dann bereits bei der ersten Adresse der Stadt angekommen, bei Hertha BSC, die allerdings gerade in die Zweitklassigkeit abgestiegen war. Nebenbei studierte Niko Kovac Betriebswirtschaft, was seinem damaligen U 23-Trainer Karsten Heine, 68, Hochachtung abverlangte. Kommunikativ sei er gewesen: "Klar war er koddriger als heute. Er hat alles hinterfragt und sich nichts gefallen lassen." Aber ein junger Spieler in einer neuen Mannschaft müsse sich Respekt verschaffen: "Er hat das bravourös gelöst."

Nach fünf Jahren hatte Niko Kovac genug davon, vor 3000 Zweitliga-Zuschauern im leeren Olympiastadion zu spielen. Es folgten: der Auszug aus der Stadt und glamourösere Stationen, Leverkusen, Hamburger SV, dann der FC Bayern, wo er bis 2003 an der Seite seines Bruders zwei Jahre half, die Vereinsvitrine zu füllen, mit Meisterschale, Pokal und Weltpokal.

Einmal noch kehrte er anschließend nach Berlin zu Hertha BSC zurück. Aus dieser Zeit ist Karsten Heine eine Episode in Erinnerung geblieben, die seiner Meinung nach bezeichnend für den kompromisslosen Teamspieler ist: Weil der Weltpokalsieger längere Zeit nicht für Herthas Bundesligateam aufgestellt wurde, fragte U23-Trainer Heine vorsichtig an, ob er in der zweiten Mannschaft einspringen könne. Kovac sagte zu. Heine trug ihm auf, den gegnerischen Spielmacher auszuschalten: "Das war richtige Drecksarbeit", sagt er. "Auch als zigfacher kroatischer Nationalspieler war er sich dafür nicht zu schade."

Ohnehin findet es Heine - von Trainer zu Trainer - beeindruckend, wie sein ehemaliger Schüler Frankfurt von einem Erstliga-Abstiegskandidaten zu einem zweimaligen Pokalfinalisten entwickeln konnte - im Vorjahr verlor die Eintracht nur knapp 1:2 gegen Borussia Dortmund. "Das alles ist ein Glück, das man sich hart erarbeiten muss." Mit Ellbogen. Mit dem Gespür für die Sensibilitäten eines multinationalen Teams. Mit klarer Ansage. Auf Weddinger Art.

Allerdings hat Frankfurt zuletzt die Fortune verlassen, und es ist bezeichnend für Kovacs dominante Arbeit, dass er selbst es war, der dafür offenbar den Impuls setzte. Seit seinem unglücklich verkündeten Wechsel zu den Bayern, kurz nach einem öffentlichen Treueschwur, ist das Vertrauen in seine Motivationskünste am Main geschwunden. Von den vergangenen fünf Bundesligaspielen gewann Frankfurt nur eins. Die Qualifikation für den Europapokal ist eigentlich verspielt, sie kann nur noch nachträglich durch einen Finalsieg über den FC Bayern gesichert werden.

Es wird ein Spiel, bei dem Niko Kovac mehr als je zuvor im Mittelpunkt stehen wird. Und das ihm Berliner Robustheit abverlangen dürfte. Nur zehn Kilometer entfernt von der Schillerwiese, wo es heute wieder mehr Kaninchen als früher gibt, wie das Bezirksamt sagt.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, dass der Finaleinzug der Hertha-Amateure 1993 die letzte Finalteilnahme einer Berliner Mannschaft gewesen sei. Das ist falsch. Als Regionalligist erreichte der 1. FC Union Berlin - der aktuelle Achtplatzierte der 2. Bundesliga - das Finale im Jahr 2001, das gegen Schalke 04 verloren ging.

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