DFB-Pokal:Die Verzweiflung der anderen

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Nach dem 6:2 des FC Bayern gegen Leverkusen im DFB-Pokal stellt sich für die Konkurrenz mal wieder die Sinnfrage. Die Münchner beschäftigt dagegen ein Luxusproblem: Was wird aus Sven Ulreich, wenn Manuel Neuer fit ist?

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Thomas Müller behauptete später, dieses Spiel sei "Werbung für den deutschen Fußball" gewesen, und das konnte man mit Blick auf die Fakten durchaus so sehen: Es gab acht Tore zu bestaunen und viele packende Szenen in den Strafräumen, das Publikum erlebte großartige Torwartparaden und verblüffende Tricks der alten Herren Franck Ribéry und Arjen Robben. Den Gegenspieler Lars Bender ließ Ribéry einmal an der Außenlinie zurück, als ob er die Gabe besäße, sich binnen eines halben Augenblicks vom einen an den anderen Ort zu wünschen, während Robben in einer anderen Szene einen viel zu scharf und weit heranfliegenden Flankenball mit dem Fuß aus der hohen Luft pflückte und viermal auf dem Spann balancieren ließ, bevor er ihn zu einem Mitspieler weiterleitete. Die Leverkusener Fans aber jubilierten nicht, als sie diesen unglaublichen Moment von Perfektion erleben durften. Sie pfiffen und zeterten. Was Robben da gerade gemacht hatte, das war einfach zu viel des Guten, die Leute kamen sich vor, als seien sie verhöhnt worden.

Was die Freude an dem Spektakel und den Werbewert der Partie angeht, sollte man wohl unterscheiden: Die Konsumenten auf dem sagenhaften asiatischen Markt werden es womöglich genossen haben (falls sie im Morgengrauen vor dem Fernseher saßen), das hiesige Publikum aber dürfte sich schwer tun mit der Tatsache, dass Werbung für den deutschen Fußball vorwiegend Werbung für den FC Bayern München bedeutet. Und so stellte der 6:2-Sieg des alten, neuen und mutmaßlich auch übernächsten deutschen Meisters beim Pokalspiel in Leverkusen aus Sicht der Konkurrenz wieder mal die Sinnfrage: Warum sollte man noch versuchen, den schweren Fels auf den Gipfel zu rollen, wenn dort die Bayern stehen und ihn immer wieder hinunterstoßen? Frustriert konstatierte Leverkusens Trainer Heiko Herrlich in den Worten eines amtlichen Gutachters: "Bayern ist in dieser Form für uns nicht zu schlagen." Selbst für Real Madrid werde es gegen diese Bayern schwer werden, sagte Trainer Jupp Heynckes. Ihm war eine Woche vor dem Champions-League-Treffen mit dem Titelverteidiger aus Spanien nicht nach Mahnen zumute.

Am nötigen Mut, um das Duell mit den Übermächtigen aufzunehmen, hat es den Hausherren nicht gemangelt. Herrlich war sogar zu mutig, als er in der Pause der bis dahin offenen Partie den vom Platzverweis bedrohten Verteidiger Panagiotis Retsos auswechselte und mit dem eingetauschten Flügelstürmer Leon Bailey die Deckung umformierte. Bailey sollte helfen, die linke Flanke der Dreierkette zu sichern, Julian Brandt die rechte Seite - in Anbetracht der keineswegs altherrenartigen Gegenwart von Robben und Ribéry ein gewagter Akt. Der Effekt war dann der, dass der 20 Jahre alte Bailey beim maßgebenden 3:1 durch Thomas Müller vom Tatort kaum weniger entfernt war als DFB-Präsident Reinhard Grindel auf der Haupttribüne. "Und dann", sagte Kevin Volland, "hat Bayern gnadenlos zugeschlagen." Das vierte und das fünfte Tor folgten im Presto-Presto-Takt. Selbst beim Stand von 6:2 zwangen die Münchner Bayer in die Deckung, als ob ihnen dringend noch ein paar Treffer fehlten. Im Namen der Gemeinde befand der Vorsitzende Karl-Heinz Rummenigge: "Fan des FC Bayern zu sein, ist im Moment ein paradiesischer Zustand."

Rummenigge richtete der Mannschaft so viele Komplimente aus, dass seine Ehefrau hätte neidisch werden können. Der Vorstandschef lobte, was gelobt werden konnte: Teamgeist, Charakter, Disziplin, spielerische Klasse, "die Mannschaft hat offenbar die Riesenqualität, alles zu schaffen, was sie sich vornimmt", sprach er, und es hätte niemanden gewundert, wenn er auch noch den Duft und die Frisuren der Bayern-Profis besungen hätte. Dann aber geschah etwas Überraschendes: Rummenigge verzichtete ausdrücklich darauf, den Torwart Sven Ulreich in die Nationalmannschaft zu loben. Er wolle Jogi Löw keine Empfehlungen geben, erklärte Rummenigge - "er ist lang genug im Geschäft, er ist Trainer des Weltmeisters".

Nachdem die große Trainerfrage geklärt ist und die Frankfurter auch nicht mehr sauer sind wegen der Entwendung von Niko Kovac, bleibt die Torhüter-Frage als letztes akutes Münchner Debattenthema. Ulreich war in Leverkusen erneut mehr als bloß ein pflichtgemäß gelittener Stellvertreter für Manuel Neuer. Unter anderem wehrte er beim Stand von 2:1 für München einen platzierten Gewaltschuss von Karim Bellarabi so selbstverständlich ab, als ob er noch niemals einen leichteren Job erledigt hätte, es gab einige solcher Glanzmomente. "Als ich im Oktober kam, hatte er keine Anerkennung und kein Selbstvertrauen", berichtete Heynckes, aber dann habe er dem Verunsicherten in "intensiven Gesprächen" vermittelt, "was für ein Riesenpotenzial er hat". Diese Darstellung klang zwar eher nach Lob für den Trainer als für den Torhüter, fest steht jedoch: Ulreich hat sich im Bayern-Tor nach ein paar Startproblemen häuslich eingerichtet, verlässliche Spitzenleistungen belegen seit Monaten sein Können. Für die Nationalmannschaft sei er daher "eine exzellente Option", warb Thomas Müller in Leverkusen.

Formell bleibt Ulreich gleichwohl Neuers Ersatzmann. "Ich kenne meine Rolle", sagte er. Und wenn Neuer fit sei, müsse der Trainer entscheiden, wen er im Saisonfinale ins Tor stelle. Ulreich sprach diese ergebenen Worte allerdings mindestens so gelassen aus, wie er Bellarabis Schuss pariert hatte. Er wirkte, als sei er sich relativ sicher, nach 42 Stellvertreter-Einsätzen in den Endspielen nicht wieder auf der Bank sitzen zu müssen.

© SZ vom 19.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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