DFB-Niederlage in Irland:Grundlos ins Verderben getrudelt

Irland - Deutschland

Fassungslos nach dem 0:1 - Torwart Manuel Neuer (links) und Jérôme Boateng.

(Foto: dpa)

Von Jonas Beckenkamp, Dublin

Stadthistoriker würden natürlich genau wissen, was zuerst da war: das Stadion an der Dubliner Landsdowne Road oder die charmant verlotterten Backsteinhäuser im Wohnviertel drumherum. Jedenfalls haben die Architekten der Arena die Sache mit dem Fußball bis ins letzte Detail durchdacht. Dort wo sonst kalter Beton das Innenleben ausstaffiert, liegt hier grüner Kunstrasen aus - auf dem Weg zwischen Kabine und Teambus mussten sich die Beteiligten dieses Abends vorkommen, wie auf einer Verlängerung des Spielfeldes.

Die Gedanken der deutschen Nationalspieler aber kreisten nach dem 0:1 (0:0) gegen Irland um diese eine, verflixte Frage: Wie konnten wir diesen Kick auf der Grünen Insel nur verlieren? Antwortversuche gab es viele und einige kamen dem Kern der Sache recht nah: Selten war ein Fußballteam in einem überlegen geführten Spiel so grundlos ins Verderben getrudelt.

Die DFB-Elf firmiert zwar weiterhin als Weltmeister, sie dürfte es trotz dieser Panne im vorletzten Qualifikationsspiel auch so zur EM nach Frankreich schaffen - aber es zeigte sich auf schmerzhafte Weise, was diesem Team manchmal abgeht: Der Geist, die eigenen Fähigkeiten aufs Wesentliche zu verwenden.

Löws Umerziehung scheitert

Oder wie es Joachim Löw ausdrückte: "Obwohl wir in der Regel viele Tore erzielen, müssen wir lernen, nicht so viele Chancen liegen zu lassen." Der Bundestrainer hatte sich nach dem WM-Titel zum Ziel gesetzt, seiner Mannschaft ein Repertoir an Lösungen gegen defensive Gegner beizubringen. Sie sollte neue Varianten des Löw'schen Offensivspiels erlernen, flexibel sein und eine Haltung entwickeln, die neben Plan A (Ballbesitz, Dominanz) auch noch Raum für kleine Justierungen (so wie Bayern halt) lässt. Nimmt man dieses Fortbildungsziel als Maßstab, so lieferte der Abend im Dubliner Südosten aber die Erkenntnis: Die Umerziehung ist fürs Erste gescheitert.

Dabei hatten es Löws Spieler 30 Minuten lang versucht. Sie setzten dazu an, Irland zu sezieren wie ein Chirurg sein Klientel. "Ich würde nicht sagen, dass wir zu wenig in die Waagschale geworfen haben", sagte Jonas Hector, "aber wir haben einfach kein Tor geschossen." Eine Weile wirkte diese seltsame Partie so, als würden die Deutschen ein anderes Spiel spielen als die Iren. Die DFB-Elf dominierte, aber der Ertrag war gleich null. Vieles erinnerte an die erlahmten Xavi-Iniesta-Spanier von 2014: Die Kugel kreiselte durch die Weltmeisterbeine des DFB, Mario Götze wuselte, das Gespann Gündoğan/Kroos zog die Strippen und hinten gab Jérôme Boateng den Playmaker mit Präzisionspässen.

Weil aus diesem Einschnürfußball aber keine Wucht entstand, weil mit Götze plötzlich der agilste Drängler verletzt ausfiel, "wurde es vorne immer schwieriger", wie Marco Reus es zusammenfasste: "Wir waren zwar Herr der Lage, aber die Iren konnten mit acht Mann hinten abwarten."

Götzes Aus auf der Trage

Entscheidend für diesen Zustand des Erstarrens schien auch ein taktisches Missverständnis zwischen Trainer und Personal zu sein. Löw wollte eigentlich, dass "Özil, Reus und Götze ihre Positionen im Halbraum tauschen." Die Offensivreihe sollte "vorne flexibel" und somit in Bewegung sein. Nach Götzes Aus auf der Trage klebte Reus aber stur auf seiner linken Seite fest, während der eingewechselte André Schürrle rechts parkte und immer wieder mit Özil kollidierte.

Der Arsenal-Profi deckte mit seiner Analyse das ganze Dilemma auf - er fühlte sich auf Halbrechts falsch positioniert. "Meine Position ist eigentlich die Zehn, aber der Trainer hat heute so entschieden, das muss ich akzeptieren", erklärte er beim Gang über den Kuschelkunstrasen.

Ein Kreiselangriff nach dem anderen verpufft

Statt die Iren durcheinanderzuwirbeln, lullten sich Löws Männer nach der Pause selbst ein - und zwar mit einer Trägheit, wie sie bei diesem Haufen Kreativlingen lange nicht zu sehen war. Ein fatales Signal. Mit jedem verpufften Kreiselangriff wuchs bei den "Boys in Green" die Gewissheit: Diese Deutschen wollen eigentlich nur spielen, die tun uns nicht weh. So kulminierte das Geschehen in einer unausweichlichen Aberwitzigkeit des "Kick and Rush". Der eingewechselte Shane Long jagte einem weiten Ball des ebenso eingewechselten Torhüters Darren Randolph hinterher, Mats Hummels ereilte ein Quantum Sekundenschlaf und dann drosch dieser Long Manuel Neuer einen fulminanten Schuss um die Ohren (70. Minute).

Es war der nächste Hummels-Hänger in diesen Tagen des Motzkitums. Immerhin schloss er sich bei seiner Manöverkritik diesmal selbst mit ein - mit extra erhobener Stimme im Nachsatz: "Da haben wir eine halbe Sekunde zu spät reagiert. Das hätte auch ICH schneller hinkriegen müssen." Sein Abwehrkollege Boateng (sonst eher kein Motzki) sprach dagegen offen von einem "Anfängerfehler" und haderte damit, dass "der Ball zuvor doch ewig in der Luft" gewesen sei. Dem Bundestrainer blieb nur noch die Flucht in den Fatalismus: "Es gab 100 lange Bälle der Iren und alles blieb ruhig bei uns - dann kommt einer durch und wir kassieren ein Tor."

Weitere Schlummermomente sollten sich Löws Leute am Sonntag gegen Georgien nicht leisten, sonst droht ein Szenario, das in Deutschland wohl eine Staatskrise auslösen würde. Eine Niederlage könnte sogar den Weg in die Playoffs bedeuten und somit schlimmstenfalls ein Duell gegen ebenfalls drittplatzierte Holländer. Dass Mario Götze wegen einer "schwereren Adduktorenverletzung" (so ein DFB-Sprecher) sicher ausfällt und Bastian Schweinsteigers Unpässlichkeit (Oberschenkel) anhalten könnte, erschwert den Pflichtauftrag zusätzlich. Die Partie in Leipzig ist nun das, was niemand mehr für möglich gehalten hat: ein richtiges Endspiel.

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