DFB-Neuling Leon Goretzka:Zur Sammeltaufe ans Sprungbrett

DFB-Neuling Leon Goretzka: Leon Goretzka ist jung. Richtig jung. Aber er könnte es zur WM in Brasilien bringen.

Leon Goretzka ist jung. Richtig jung. Aber er könnte es zur WM in Brasilien bringen.

(Foto: Patrik Stollarz/AFP)

Das Polen-Spiel der Nationalelf an diesem Abend in Hamburg galt lange als "Farce" - doch Neulinge wie Leon Goretzka könnten sich dabei in den WM-Kader spielen. Der Schalker bringt Technik, Tempo, Dynamik und Torgefahr mit. Es gibt nicht viel, was ihm zum kompletten Fußballer fehlt.

Von Philipp Selldorf

Leon Goretzka werde eine "Weltkarriere" erleben, so hatte es der große Prophet Peter Neururer im vorigen Sommer geweissagt, als der damals 18 Jahre alte Mittelfeldspieler vom VfL Bochum zum Nachbarklub Schalke 04 wechselte. Nun wäre es zwar eine krasse Übertreibung, das Länderspiel zwischen Deutschland und Polen am Dienstag als Weltereignis zu bezeichnen, aber für Goretzka ist es zumindest der erste Schritt in jene mondänen Kreise, für die ihn sein ehemaliger Trainer bestimmt hat.

Selbst wenn er am Treffpunkt in Hamburg noch keine nähere Bekanntschaft mit den üblichen Berühmtheiten aus dem Nationalteam hat schließen können. Denn jene Prominenten aus München, Dortmund, Madrid und London haben zurzeit noch Besseres zu tun, sie bereiten sich auf diverse Pokalendspiele vor.

Dass der Bundestrainer bei diesem ersten von drei WM-Tests auf seine anderweitig engagierte Stammbesetzung verzichten muss, hat dazu geführt, dass die Partie zunächst mal überall als "Farce" diffamiert wurde. Auf jeden Fall macht sie aber nun eine Handvoll junger Fußballer glücklich, die unverhofft zu Nationalspielerehren gelangen.

Leon Goretzka ist bloß einer von ihnen, in Hamburg wird Joachim Löw eine Sammeltaufe dirigieren. Unter anderem sieht auch Goretzkas Schalker Mitspieler Max Meyer der feierlichen Weihe entgegen, der Noch-Augsburger André Hahn, der Hoffenheimer Universalangreifer Kevin Volland sowie der aus Bad Hersfeld stammende und für Sampdoria Genua spielende Verteidiger Shkodran Mustafi.

Es mag so wirken, als wollte Löw das Nationalspielerprivileg verramschen, aber erstens hat er gar keine andere Wahl und zweitens hat er es ernst gemeint, als er vorige Woche erklärte: "Vielleicht ergreifen einige der jüngeren Spieler die Chance, noch auf den WM-Zug zu springen." Neben Volland, dessen Teilnahme am Turnier als einigermaßen gesichert gelten darf, hat Goretzka solide Außenseiterchancen.

Vielleicht sogar Khedira-Ersatz

Löw hält viel von ihm, er traut ihm zu, dass er im Notfall - etwa dann, wenn Sami Khedira es doch nicht nach Brasilien schaffen sollte - behilflich sein könnte beim WM-Turnier. Was selbst der große Prophet Neururer nicht für möglich gehalten hätte: Im Winter hatte er seinem ehemaligen Schüler noch die Bundesligatauglichkeit abgesprochen. Goretzka wäre besser noch ein, zwei Jahre in Bochum geblieben, hatte er gesagt, "seine Entwicklung stagniert".

Über diese Aussage haben sich die Schalker ziemlich geärgert, aber sie hatten keine Argumente, um Protest einzulegen, denn das erste Halbjahr in der ersten Liga war für Goretzka eine bittere Enttäuschung. In Schalke zweifelte keiner an den guten Eigenschaften des Mittelfeldspielers, doch man rätselte darüber, wie man seine vielseitigen Fähigkeiten zur Geltung bringen könnte. Nicht zuletzt zu diesem Zweck engagierte der Klub eine Psychologin.

Sie sollte dem inzwischen 19-Jährigen helfen, sein offenbar stark ausgeprägtes und äußerst hinderliches Lampenfieber unter Kontrolle zu bringen. Der Anfang missglückte. Als Theresa Holst im Wintertrainingslager in Katar ihr gutes Werk beginnen sollte, meldete sich Goretzka krank und blieb zu Hause. Dann folgte aber doch noch eine Rückrunde, in der er sein fundiertes Niveau beweisen konnte. In jedem Spiel gab er ein bisschen mehr davon zu erkennen. Technik, Tempo, Dynamik, Torgefahr - es gibt nicht viel, was ihm zum kompletten Fußballer fehlt.

Als nun die Berufungen für Goretzka und Meyer zum Länderspiel in Gelsenkirchen eingingen, kamen bei den Schalker Verantwortlichen vorübergehend Sorgen auf, dass der schnelle Karrierefortschritt womöglich wieder "eine Blockade auslösen" könnte, wie Sportchef Horst Heldt gestand.

Aber das Gegenteil passierte. Nach dem Spiel gegen den 1. FC Nürnberg waren sich die Augenzeugen zwar uneins über den Auftritt der angehenden Debütanten, sie stritten aber bloß darüber, ob nun Goretzka der beste Spieler der Partie war oder der noch ein Jahr jüngere Meyer. Die Einladung zum DFB-Termin blockierte also nicht, sie beschleunigte sogar. "Da ist man einfach nur stolz, wenn man zur Nationalmannschaft darf", hat Leon Goretzka später gesagt.

Schwierig wirkt sich die Nominierung nur auf seine Schullaufbahn aus, wegen des Länderspiels kann er die dritte Abiturklausur nicht mitschreiben, aber seine Schule kam ihm wieder mal entgegen, er kann die Prüfung nachholen. Diesmal geht es ja nicht nur um eine Weltkarriere, sondern um Deutschland.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: