DFB:Joachim Löw hat sich ins übernächste Turnier verguckt

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Joachim Löw (Foto: dpa)

Warum der Bundestrainer die Fußball-EM in Frankreich nur als "Zwischenziel" sieht, ist ein Rätsel.

Kommentar von Christof Kneer

Man weiß eigentlich viel zu wenig über die guten Vorsätze, mit denen die Fußballbranche in ein neues Jahr startet. Man kann nur vermuten, dass so mancher Fußballprofi sich vornimmt, trotz Trainingslagern und regelmäßiger Wochenendarbeit künftig etwas mehr Zeit mit der einen oder anderen Spielerfrau zu verbringen und vielleicht sogar den Führerschein zu machen, bevor er in den Maserati steigt.

Bei Klubmanagern könnte man sich vorstellen, dass sie bei Raclette und Rotwein den interessanten Plan entwickeln, künftig etwas weniger Trainer zu entlassen, und einige Fifa-Funktionäre werden sich, wenn es am 31.12. auf null Uhr zugeht, vermutlich ernsthaft vornehmen, sich im neuen Jahr nicht mehr so oft verhaften zu lassen.

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Von Joachim Löw, dem Bundestrainer, weiß man im Übrigen einigermaßen präzise, was er sich für 2016 vorgenommen hat. Löw hat sich für 2016 vorgenommen, dass er 2018 Weltmeister werden will.

In einem Radio-Interview hat Joachim Löw gerade eine Neujahrsbotschaft platziert, die schon nicht mehr ganz neu ist: Erneut hat er die im Sommer anstehende Europameisterschaft "ein wichtiges Zwischenziel auf dem Weg zur WM 2018 in Russland" genannt. Mit dieser recht eigenwilligen Akzentuierung verblüfft Löw schon seit einiger Zeit: Die EM in Frankreich findet er demnach scho' au wichtig; aber seine wahre Emotion gilt offenkundig der WM in zweieinhalb Jahren. Er glaube, dass es "etwas ganz, ganz Besonderes" sei, sagt Löw, "wenn wir es schaffen würden, den Weltmeistertitel zu verteidigen. Das hat noch keine deutsche Mannschaft in der Geschichte geschafft".

Der Bundestrainer weiß, dass er als doppelter Weltmeister eine sporthistorische Figur wäre

Was Löw hier in lässiger Selbstverständlichkeit betreibt, ist nichts weniger als ein Bruch mit einer der klassischsten Trainerregeln: Wichtig ist ja sonst immer nur das nächste Spiel, das nächste Turnier. Aber der Weltmeistertrainer ist über solch politisch korrekte Sprachregelungen längst hinaus, er leistet sich zunehmend den Luxus, die Welt aus der Jogi-Perspektive heraus zu definieren.

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Diese Perspektive ist im Übrigen überaus einleuchtend, sofern man zufällig Jogi Löw ist. Wer nicht Jogi Löw ist, muss sich mitunter auf Motivsuche begeben - und wird nicht immer vollständig fündig.

Warum sich Löw bereits jetzt derart ins übernächste Turnier verguckt hat, ist auch engeren Begleitern durchaus ein Rätsel. Ein Signal nach innen ist ja nicht nötig, es gibt keinen Grund, warum Löw seinem Team zum Zwecke der Fokussierung einen fernen Punkt am Horizont aufmalen sollte, wie vor einigen Jahren, als der Gipfelpunkt "WM in Brasilien" die Spieler auch für die Mühen der Ebene motivierte.

Natürlich fühlt sich dieser Trainer inzwischen auch vom Hauch der Geschichte gestreift, natürlich weiß er, dass er als doppelter Weltmeister eine sporthistorische Figur wäre; aber Löws Fixierung auf den WM-Titel dürfte weniger das Resultat persönlicher Eitelkeit, eher das Resultat einer Entwicklung im schönen Amte sein.

Vor nicht allzu langer Zeit klangen Löws Silvestervorsätze noch reichlich akademisch, mal wollte er das Spiel in den sog. Zwischenräumen verbessern und ein andermal das Spiel im sog. letzten Drittel; aber mit der Zeit und vor allem mit der Erfahrung der pragmatisch durchgecoachten WM 2014 ist aus dem freundlichen Fundamentalisten ein mitunter leicht spleeniger, aber doch auch erstaunlich zielgerichteter Realo geworden. Dem Bundestrainer des Jahreswechsels 2015/16 gelingt es, etwas entrückt und gleichzeitig sehr geerdet zu sein.

Vermutlich darf man also hoffen, dass Löw das Wichtigste nicht vergisst: Bei aller Liebe für 2018 sollte er seine Spieler schon wissen lassen, dass das EM-Jahr 2016 auch nicht ganz überflüssig ist.

© SZ vom 02.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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