DFB-Gegner San Marino:San Marino zelebriert die Kunst des Verlierens

DFB-Gegner San Marino: Erinnerungen an 2006: Während Miroslav Klose und Michael Ballack längst im DFB-Ruhestand sind, spielt San Marinos Andy Selva (v. li.) noch heute.

Erinnerungen an 2006: Während Miroslav Klose und Michael Ballack längst im DFB-Ruhestand sind, spielt San Marinos Andy Selva (v. li.) noch heute.

(Foto: actionpics/imago)

Von Birgit Schönau, Rom

Fußball-Weltmeister zu sein, ist das Größte, schon klar. Aber das heißt noch lange nicht, dass Platz 201 im Fifa-Ranking das Letzte ist. Matteo Vitaioli sagt es so: "Wer uns verlacht, hat vom Fußball und vom Leben nichts verstanden."

Vitaioli ist 27 Jahre alt, er verdient sein Geld als Arbeiter in einer Fabrik für Verpackungsmaterial - und spielt im Angriff der Nationalmannschaft von San Marino. 2015 war er Fußballer des Jahres. Gegen Litauen gelang Vitaioli mal ein historischer Treffer: Das erste Auswärtstor nach 15 Jahren war ein hart geschossener Freistoß zum Zwischenstand von 1:1. Dass Litauen in der Nachspielzeit das Siegtor erzielte, brachte San Marino um einen historischen Zweipunkterekord in der EM-Qualifikation. Das war schade, aber nichts Besonderes.

Wenn es - woran eigentlich niemand, der etwas vom Fußball und vom Leben versteht, den leisesten Zweifel haben kann - so etwas gibt wie die Kunst des Verlierens, dann wird diese von keiner anderen Nationalmannschaft derart hingebungsvoll gepflegt wie von San Marino.

Zu jenem populistischen Negativkitsch, der in diesen Zeiten überall auf dem Globus mit Wählerstimmen und Macht belohnt wird, bietet die Fußball-Auswahl aus San Marino ein Gegenmodell disziplinierter Gelassenheit. In San Marino sind die ewigen Verlierer nicht wütend. Sie laufen nicht Verschwörungstheorien hinterher, sie wollen sich auch nicht die Spielregeln passend zurecht biegen, um endlich auch mal ein Spiel zu gewinnen. Sie machen einfach weiter.

Neues Spiel, neues Glück. Und dazwischen hartes Training.

"Wir opfern Freizeit und Privatleben für die Nationalmannschaft", sagt Vitaioli, "viele von uns verzichten auf den Sommer-Urlaub, um sich auf die Einsätze im September vorbereiten zu können." Dabei stehen die Chancen, das nächste Spiel nicht zu verlieren, statistisch bei null. Von 137 Partien hat die Auswahl aus der ältesten Republik der Welt 132 verloren, vier Unentschieden gespielt und nur eines gewonnen. Im April 2004 war das, ein Freundschaftsspiel gegen Liechtenstein - 1:0 nach Freistoß des Rekordnationalspielers und Rekordtorjägers Andy Selva. San Marino ist damit eine Nationalmannschaft der Rekorde. So gut wie jedes der 22 Tore in 26 Jahren Fifa-Mitgliedschaft war historisch, während keiner, wirklich keiner der 586 Gegentreffer mehr darstellt als pure Statistik.

Für San Marino erzielte etwa der Elektrowarenhändler Davide Gualtieri das schnellste Tor der Länderspielgeschichte: Im November 1993 traf Gualtieri gegen England nach 8,3 Sekunden. 23 Jahre hielt der Rekord. Jahre, in denen Gualtieri Abertausende von Rasierapparaten, Espressomaschinen und Digitalwaagen an seine Landsleute verkaufte, aber nie wieder ein Länderspieltor schaffte. Erst im Oktober 2016 wurde der Held von San Marino vom Belgier Christian Benteke überholt, der traf nach 8,1 Sekunden gegen Gibraltar.

"Diesmal wehren wir uns" - anders als beim 0:13 anno 2006

Aber wer erinnert sich daran, dass England damals nach dem fulminanten 0:1 durch Gualtieri noch 7:1 gewann? Und wer erinnert sich auch nur an ein einziges Tor von San Marinos 0:13 gegen Deutschland? Am 6. September 2006 ereignete sich diese bisher schlimmste Niederlage am Fuße des Titanenberges. Die Deutschen spielten sich damals in einen regelrechten Rausch, sie wollten gar nicht mehr aufhören mit dem Toreschießen.

Und bewiesen doch nur die alte Weisheit, dass auch das Siegen gelernt sein will. 13 Tore gegen die Amateure von San Marino, das war keine Kunst. Aber damals hatten die Deutschen eine WM zu Hause verloren und offensichtlich noch keinen Sinn für die Ästhetik von Spiel und Sieg. Am Freitagabend bekommen sie im Stadion von Serravalle eine zweite Chance. 7000 Zuschauer werden dabei sein, die Arena ist selbstredend ausverkauft.

Hinten drin steht ein Mann wie ein Fels

Im Tor steht, damals wie heute, Aldo Simoncini. Ein Urgestein von San Marino, wenn der Kalauer erlaubt ist, ein Mann wie ein Fels: "Vor zehn Jahren haben wir zu früh aufgegeben", sagt Simocini, Informatikstudent und ehemals dritter Torwart beim italienischen Profiklub Cesena, "wir wissen natürlich, wie stark der Gegner ist, aber wir werden uns diesmal wehren."

Kein Zentimeter wird verschenkt, verspricht Andy Selva, das Monument. Seit 1998 spielt der Angreifer für San Marino, acht Treffer gehen auf sein Konto, mit 40 Jahren hat er immer noch nicht genug. Was Gigi Riva für Italien war, ist Andy Selva für die Serenissima Repubblica vom Titanen: ein Idol, unerreichbar und unerreicht. Er schaffte als einziger zwei Treffer in Serie, er erzielte das einzige Siegtor, das erste Tor im neuen Jahrtausend - und allein drei Tore gegen Belgien. Dass Belgien trotzdem jedes Mal gewann - geschenkt.

Einmal stand das 1:1 von Selva 30 Minuten lang, auch das war ein Rekord. "Belgiens Schreckgespenst" nennen sie Selva zu Hause, und es spricht eigentlich nicht viel dagegen, dass er auch noch Deutschlands Schreckgespenst werden könnte, wenigstens für eine Nacht. Vielleicht schafft das aber auch der junge Mattia Stefanelli. Der 23-Jährige lehrte kürzlich Norwegen das Fürchten, mit dem ersten WM-Qualifikations-Treffer für San Marino seit 15 Jahren. Norwegen gewann knapp 4:1.

Lange Zeit hatte die Republik Einbürgerungen abgelehnt, inzwischen gehört zum Aufgebot der gebürtige Argentinier Adolfo Hirsch, 30, dribbelstark, Amateur. Einer der wenigen Profis ist Mirko Palazzi, 29, Verteidiger beim italienischen Viertligisten Gualdo Casacastalda. Alle anderen - Arbeiter, Bankangestellte, Steuerberater - kicken überwiegend in Amateurligen von San Marino oder im Nachbarland Italien. Zwerge in der gigantischen Unterhaltungsindustrie des europäischen Fußballs. Sandkörner in den Augen der Riesen, verschmäht, verlacht, verachtet. Weltmeister gegen Amateure, eine Zumutung! Nicht auszudenken, wenn sich ein hoch bezahlter Profi in Serravalle verletzt.

Im vergangen Jahr hat die Nationalelf von San Marino drei Tage lang gestreikt. Kein Training vor dem Spiel gegen Slowenien, sie drohten sogar, das Match selbst ausfallen zu lassen: "Wir wollen endlich als Fußballer anerkannt werden", sagte damals Andy Selva, "in die Kassen unseres Verbandes fließen Millionen, wir aber bekommen pro Spiel ein Taschengeld von 100 Euro." Trainer Pierangelo Manzaroli war entsetzt. Man könne über alles reden, "aber nicht über die Nationalmannschaft. Die ist heilig". Am Ende fuhren Selva und seine Gefährten brav nach Slowenien. San Marinos Heiligtum verlor 0:6. Die Welt war wieder in Ordnung.

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