DFB-Gegner im Viertelfinale:Italiens Trainer ist von Rache getrieben

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Mitspielender Trainer: Italiens Antonio Conte ist für seine Mannschaft eine Art zwölfter Mann auf einer Position irgendwo zwischen Brüllaffe und Dirigent.

(Foto: Gribaudi/imago)

Man verdächtigte und überging ihn - dann formte ein zorniger Antonio Conte aus der Squadra Azzurra einen gefährlichen Gegner für die DFB-Elf. Er hat einen perfekten Plan.

Von Birgit Schönau

Der Mann ist ein Vulkan. Wenn seine Mannschaft spielt, brodelt er am Spielfeldrand, steht keine Minute still und kann jederzeit explodieren. Ob aus Frust oder aus Freude, die Eruptionen des Antonio Conte geben dem Begriff Trainerfußball eine ganz neue Bedeutung. Denn bei den Italienern spielt der Trainer mit, auf einer Position irgendwo zwischen Brüllaffe und Dirigent, fuchtelt mit den Armen, schreit sich die Seele aus dem Leib, knallt mal den Ball wütend in die Rasenmitte und mal den Kopf beim Jubel an den Dickschädel des Stürmers Simone Zaza. Bei der Gelegenheit holte Conte sich eine blutige Nase, die er so wegsteckte: "Für einen Sieg würde ich mich auch in Stücke reißen lassen." Aber wohl nicht schon im Viertelfinale.

Vom hermetisch abgeriegelten Trainingsplatz im südfranzösischen Montpellier wird geflüstert, dass der 46-jährige Coach seinen Spielern mit der lautstarken Drohung "Vi ammazzo!" Beine mache. "Ich bringe euch um!" Wer ihn auch nur ein bisschen kennt, glaubt das sofort, nicht von ungefähr sind die Azzurri noch vor den Deutschen das laufstärkste Team des Turniers. Man weiß nicht so recht, ob sie dem Gegner davonrennen oder dem eigenen Trainer, das Resultat ist jedenfalls ein mitreißender, kraftvoller Angriffsfußball, der in Kombination mit einer eisernen Abwehr soeben Titelverteidiger Spanien weggefegt hat. Im Viertelfinale wartet jetzt Weltmeister Deutschland (Samstag, 21 Uhr im SZ-Liveticker), laut Conte "die beste Mannschaft des Turniers." Als genau der richtige Gegner, um zu beweisen, was in Antonio Conte und in Italien steckt.

Conte hasst es, unterschätzt zu werden

"Italiens Napoleon" wird der Trainer der Azzurri von den Franzosen genannt, was vermutlich als Kompliment gemeint ist. Mehr als dem kleinen Korsen ähnelt Antonio Conte jedoch dem Grafen von der Nachbarinsel Montechristo, der wie die Romanfigur von Alexandre Dumas auf seinem Rachefeldzug nach einem perfekt kalkulierten Plan einen Gegner nach dem anderen erledigt. Der Nachname Conte bedeutet tatsächlich Graf, aber der Italiener ist ebenso wenig Aristokrat wie sein literarisches Alter ego. Was beide antreibt, sind großer Ehrgeiz und maßloser Zorn über erlittene Ungerechtigkeiten. Und die größte Ungerechtigkeit für Conte ist es, unterschätzt zu werden. Ein Gefühl, das er mit vielen seiner Spieler teilt und das alle miteinander zu Höchstleistungen beflügelt.

Als Altherrenteam sind die Italiener vor dieser EM belächelt worden, als zahnloses Fähnlein ausgedienter Diven und ausgemusterter Nobodys, die gar nicht anders können, als in den Angsthasen-Fußball früherer Jahrzehnte zurückzufallen. Jetzt reiben sich alle die Augen: Italien gewinnt nicht nur gegen Belgien und Spanien, sondern spielt auch noch offensiv! Welch eine Überraschung! "Ich bin ein Tifoso von Conte geworden", erklärt ausgerechnet Deutschlands früherer Spielmacher Günter Netzer, von dem man derartige Schwärmerei nun wirklich nicht gewöhnt ist. "Wie dieser Mann arbeitet, wie der seine Mannschaft geschaffen hat! Der weiß, was er will und wie er es bekommt. Die Spieler würden alles für ihn geben, weil er an sie glaubt."

Conte: "Ich unterrichte Fußball. Nicht Catenaccio"

Conte trainiert die Squadra Azzurra wie eine Klubmannschaft. Weil er fast physisch darunter litt, viel zu selten mit seinem Team arbeiten zu dürfen, hat er seinen Nationaltrainer-Vertrag nach nur zwei Jahren schon wieder gekündigt und wechselt nach der EM zum FC Chelsea. Es geht nicht nur um Geld: Mit 4,5 Millionen Euro netto ist Antonio Conte der bestbezahlte Nationalcoach der Azzurri. Sein Nachfolger Giampiero Ventura erhält nur einen Bruchteil dieser Summe. Sicher, Geld ist für Conte sichtbares Zeichen jener Wertschätzung, die für ihn so wichtig ist. Noch wichtiger ist es allerdings, so arbeiten zu können, wie er sich das vorstellt. Besessen, am besten Tag und Nacht. Die Spieler bestätigen, sie hätten niemals so hart trainiert wie mit Conte. Vormittags, nachmittags, abends. Sehr viel Zeit widmet er den Taktik-Stunden: "Ich unterrichte Fußball", sagt er. "Nicht Catenaccio."

Das haben inzwischen auch seine Kritiker verstanden. Conte gilt als eigentlicher Star seines Teams und als eine der größten Entdeckungen des Turniers, gleichgültig, ob er im Viertelfinale scheitert oder weiterzieht. Allein, dass man ihm nun zutraut, auch noch Deutschland zu besiegen, ist schon Befriedigung genug. Endlich wird Italien gerecht behandelt! Aber da wäre noch das persönliche Unrecht, das Antonio Conte erlitten hat. Ausgerechnet er wurde über Jahre verdächtigt, unehrenhaft gehandelt zu haben. Conte, muss man wissen, schert sich nicht um sein Image. Statt dessen redet er lieber von Ehre. Der Mann ist altmodisch und knorrig wie ein Olivenbaum aus seiner Heimatprovinz Lecce. Ein ehrgeiziger, ja ehrpusseliger Apulier, der auch als Ehrenmann wahrgenommen werden will. Nichts hat Antonio Conte so verletzt wie der Verdacht, ein Betrüger zu sein.

Contes Wut bleibt bestehen

Ein Verdacht, unter dem Staatsanwälte im norditalienischen Cremona gegen ihn ermittelten. Als Trainer der Associazione Calcio Siena habe er im Zeitraum von 2010 bis 2011 von einer Spielmanipulation gewusst und sie nicht angezeigt. Diese Information hatten die Juristen von einem ehemaligen Spieler, einem einzigen. Antonio Conte, mittlerweile Trainer von Juventus Turin, wurde vom Sportgericht des Verbandes umgehend vier Monate lang gesperrt. Das zivile Strafverfahren aber lief weiter, vier Jahre lang. Und wenn Conte nicht auf Prozessverkürzung bestanden hätte - unter Verzicht auf einige Rechte, dann würde es wohl noch weiterlaufen. Der Freispruch kam im Mai 2016. Die Ehre des Antonio Conte ist wieder hergestellt. Die Wut und das Bedürfnis, es allen zu zeigen, bleiben.

So war es schon mit Juventus. 13 Jahre lang, von 1991 bis 2004 war Conte Spieler und lange Jahre auch Kapitän in Turin. Ein Kämpfer im Mittelfeld, kein großes Charisma, kein Übertalent, keine Allüren. 2011 kehrte er als Trainer zurück, die Juve war damals abgeschlagen hinter der nationalen und internationalen Konkurrenz. Conte gewann in drei Jahren drei Meistertitel. Dann wurde er Nationaltrainer, als erster Süditaliener in über hundert Jahren Geschichte der Squadra Azzurra. Eine stille Revolution - nicht nur, weil die einzigen beiden Fußball-Meistertitel für Süditalien vom SSC Neapel gewonnen wurden. Der Mezzogiorno wird bis heute, nicht nur was den Fußball angeht, von vielen Norditalienern als rückständig wahrgenommen wird, als Klotz am Bein und wirtschaftliche Bremse. Eher Afrika als Europa, unheimlich und räuberisch, so behauptet es die norditalienische Rechtsaußenpartei Lega Nord, die folgerichtig ihre eigene "Nationalmannschaft" unterhält - Padanien.

Antonio Conte, das ist also auch der Süditaliener, der den Rest der Welt erobert, und der Rest der Welt ist für einen Mann aus Lecce sowieso immer der Norden. Begleitet wird er, wie sich das für einen Italiener gehört, von seiner Familie, seiner Ehefrau Elisabetta und seiner Tochter Vittoria. Ein Vorname, den der Vater mit Bedacht gewählt hat. Er bedeutet: Sieg.

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