DFB-Frauen:"Wir machen gerade alles kaputt"

Germany Women's v Iceland Women's - 2019 FIFA Women's World Championship Qualifier

Heftige Aussprache: Bundestrainerin Steffi Jones (links) und die Wolfsburger Angreiferin Alexandra Popp.

(Foto: Matthias Hangst/Getty)
  • Durch das 2:3 gegen Island gerät für die deutschen Fußballerinnen die Qualifikation für die WM 2019 in Gefahr.
  • Vor dem Spiel gegen die Färöer am Dienstag erwartet Bundestrainerin Steffi Jones "eine dementsprechende Antwort - und mehr".
  • Die Bundestrainerin hat sich mit ihrer Manöverkritik nach der Niederlage angreifbar gemacht.

Von Frank Hellmann, Wiesbaden

Das Teamhotel der deutschen Frauen-Nationalmannschaft direkt am Kranzplatz von Wiesbaden war eigentlich ideal gelegen, um am Wochenende mal abzuschalten. Wer sich durch die Drehtür nach draußen begibt, fällt fast in die Fußgängerzone mit ihren vielfältigen Einkaufsmöglichkeiten und zahlreichen Cafés. Kurpark und Spielcasino liegen gleich gegenüber. Doch der Tagesplan von Babett Peter, Alexandra Popp und all den anderen hatte sich am Samstag radikal geändert - wegen einer unerwarteten 2:3-Niederlage gegen Island am Vorabend. Die Bundestrainerin Steffi Jones spricht von einem "Tiefpunkt", die Qualifikation für die WM 2019 ist ernsthaft in Gefahr.

Eine Aussprache hinter verschlossenen Türen und ohne das Trainerteam stand daher am Samstagvormittag auf dem Programm. Den freien Nachmittag hatte die Bundestrainerin ohnehin gestrichen. "Stattdessen mussten die Spielerinnen in ihren jeweiligen Mannschaftsteilen eine Spielanalyse erarbeiten, die dann gemeinsam mit dem Trainerteam besprochen wurde", hieß es später aus dem Quartier. Zudem machte Steffi Jones ihrer Mannschaft mit ein paar deutlichen Ansagen klar, was sie im nächsten WM-Qualifikationsspiel gegen die Färöer am Dienstag (16.10 Uhr/ARD) in Großaspach erwartet: "Eine dementsprechende Antwort - und mehr."

Ein Umweg über die Playoffs ist nicht mehr unwahrscheinlich

Gemeinhin sind die Kräfteverhältnisse so, dass der aktuelle Olympiasieger, zweimalige Welt- und achtmalige Europameister gegen einen Gegner aus dem Nordmeer auch dann gewinnen sollte, wenn die Spielerinnen ohne jedes Training und ohne jede Vorgabe antreten. Auf den Färöer sind keine 400 Fußballerinnen registriert, die älter als 18 Jahre sind. Aber so sicher scheint das alles auf einmal nicht mehr.

Mit der 2:3-Heimblamage gegen Island ist das Selbstverständnis einer führenden Frauenfußball-Nation doch arg erschüttert worden. Jones bemühte das Bild von einer Ampel, die auf Rot stehe. In der blechernen Heimstätte des SV Wehen Wiesbaden diskutierten die Trainerin und die Führungsspielerin Popp am Freitagabend heftig auf dem Rasen. "Es muss knallen", forderte die Angreiferin des VfL Wolfsburg hernach martialisch und stellte richtigerweise noch fest: "Wir machen gerade alles kaputt, was wir uns im deutschen Frauenfußball über Jahre aufgebaut haben."

Nach der Videoanalyse ließ die 26-Jährige wissen: "Es wird einem bewusst, welche Chance wir fahrlässig verspielt haben." Nämlich, sich direkt für die WM 2019 in Frankreich zu qualifizieren. Ein Umweg über nervenaufreibende Playoffs - von den vier besten Gruppenzweiten qualifiziert sich nur einer direkt - ist jedenfalls nicht mehr unwahrscheinlich. Es braucht wohl auf jeden Fall einen Sieg am 1. September 2018 im Rückspiel auf Island. Das ist eine unangenehme Aussicht, die in den nächsten Monaten schwer auf allen Protagonisten lasten wird. Auch der DFB-Präsident Reinhard Grindel sorgt sich um die WM-Qualifikation des einstigen Vorzeigeteams: "Es wäre arrogant, das nicht zu sagen: Wir müssen ein Brikett drauflegen."

Zwei Grundsatzfragen sind offen

Zudem hatte sich Steffi Jones mit ihrer Manöverkritik ("Es ist sehr ärgerlich, wenn man als Trainerin feststellt, dass die Mannschaft trotz guter Vorbereitung auf den Gegner nicht gegenhält") angreifbar gemacht. Ihr Motto: Wir, die Trainer, haben doch auf alles hingewiesen, nur ihr, die Spielerinnen, habt nicht zugehört. Dabei trug die 44-Jährige mit einem unnötigen Torwartwechsel - Laura Benkarth für Almuth Schult - durchaus eine Mitschuld an der in allen Mannschaftsteilen mit Händen greifbaren Verunsicherung.

Die nach der verkorksten EM in den Niederlanden (Aus im Viertelfinale) mit einem neuen Vertrag bis 2019 ausgestattete Jones macht mitunter einen leicht überforderten Eindruck. Gute Umgangsformen sind ebenso erkennbar wie soziale Kompetenz, aber die fehlende Praxiserfahrung macht sich immer wieder bemerkbar. Wohl auch, um seine Fußballlehrerin zu schützen, ließ der DFB von Ersatzkapitänin Babett Peter mitteilen: "Steffi wollte uns mit ihrer emotionalen öffentlichen Kritik aufrütteln." Der Weckruf sei dringend nötig gewesen.

Besser wäre es, rasch die Grundsatzfragen zu beantworten. Welchen Führungsstil braucht es? "Wenn es die fehlende Peitsche ist, gebe ich die gerne", drohte die eigentlich harmoniebedürftige Frankfurterin Jones, die aber wohl kaum authentisch wäre, würde sie dauerhaft den Stil ihrer Vorgängerin Silvia Neid nachahmen. Und welches Spielsystem soll es denn jetzt sein? Gegen Island kam plötzlich die früher bei Neid heilige 4-2-3-1-Formation zur Aufführung, wo doch unter Jones zuvor stets 4-4-2 mit Raute gespielt worden war.

Will der deutsche Frauenfußball international nicht den Anschluss verpassen, muss der neue Super-Manager des DFB, Oliver Bierhoff, alsbald eine gründliche Aufarbeitung anstoßen, was inzwischen in der Elite sowie in der Ausbildung der Spielerinnen und Trainerinnen schief läuft - und nicht zuletzt im Alltag der Frauen-Bundesliga. So ist zum Beispiel der Vorjahreszweite FC Bayern gerade das zweite Mal in der ersten Runde der Women's Champions League gescheitert.

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