DFB-Frauen:"Wir machen gerade alles kaputt"

Germany Women's v Iceland Women's - 2019 FIFA Women's World Championship Qualifier

Heftige Aussprache: Bundestrainerin Steffi Jones (links) und die Wolfsburger Angreiferin Alexandra Popp.

(Foto: Matthias Hangst/Getty)
  • Die DFB-Frauen verlieren 2:3 gegen Island und müssen nun um die Qualifikation zur WM 2019 bangen.
  • "So geht es nicht weiter. Es muss knallen innerhalb des Teams. Wir machen gerade alles kaputt, was wir uns im deutschen Frauenfußball aufgebaut haben", sagt Spielerin Alexandra Popp. Wenige reden so deutlich Klartext wie die 26-Jährige.
  • Steffi Jones, die das Amt der Bundestrainerin vor einem Jahr von Silvia Neid übernommen hatte, baut eine erstaunliche Distanz zu ihrem Team auf.

Von Frank Hellmann, Wiesbaden

Lena Goeßling trug nicht nur ein Getränk, sondern nach eigener Aussage eine "Mega- Enttäuschung" mit sich herum, als die Mittelfeldspielerin sich am Freitagabend im Wiesbadener Stadion zum Ausgang schleppte. Eine schlüssige Erklärung fürs Versagen - gerade hatte die deutsche Frauen-Nationalmannschaft eine historische 2:3-Pleite im WM-Qualifikationsspiel gegen Island erlitten - konnte die 96-malige Auswahlspielerin nicht liefern. Aber die 31-Jährige sah kreidebleich aus, als sie sich die Folgen dieser von ihr mit angerichteten Blamage ausmalte: "Wenn wir uns nicht qualifizieren, gibt es keine WM, keine Olympischen Spiele. Unvorstellbar!" Aber eben nicht mehr unmöglich.

Nur die sieben Gruppenersten haben aus Europa die Qualifikation für die Frauen-WM 2019 sicher, von den besten vier Gruppenzweiten wird in mühsamen Playoffs noch ein einziges Frankreich-Ticket ausgespielt. Eine Horrorvorstellung, solche Zitterspiele gegen Gegner wie Niederlande oder Norwegen zu überstehen. In der deutschen Gruppe gelten Slowenien und die Färöer Inseln als Fallobst, auch Tschechien scheint zu schwach zu sein, um gegen Island oder Deutschland zu punkten. Insofern müssen die Deutschen das Rückspiel am 1. September 2018 in Island zwingend gewinnen und viel fürs Torverhältnis tun, um noch Erster zu werden. "Wir wissen, dass es jetzt ganz schwer wird", sagte Goeßling.

Bundestrainerin Steffi Jones spürte derweil, dass etwas Grundsätzliches aus dem Ruder gelaufen ist - und baute in der Verärgerung die größtmögliche Distanz auf, die es zwischen ihr und ihren Spielerinnen jemals gab: "Wenn es die fehlende Peitsche ist, dann gebe ich die. Wir müssen uns alle mal an die eigene Nase packen." Zwischen der 44-Jährigen und ihrer Führungsspielerin Alexandra Popp hatte es auf dem Platz eine emotionale Unterredung gegeben. Die bei der EM verletzte Angreiferin - einziger Aktivposten und Torschützin zum zwischenzeitlichen 1:1 - legte schonungslos den Finger in die Wunde. "So geht es nicht weiter. Es muss knallen innerhalb des Teams. Wir machen gerade alles kaputt, was wir uns im deutschen Frauenfußball aufgebaut haben." Wenige reden so deutlich Klartext wie die 26-Jährige.

"Wir müssen ein Brikett drauflegen", diagnostiziert DFB-Präsident Grindel

Auf der Pressekonferenz bestätigte Jones die Vermutung, an dem milden Herbstnachmittag in Wiesbaden habe sich die Ergebniskrise im deutschen Frauenfußball verschärft. "Da kann man schon von einem Tiefpunkt sprechen", sagte sie. Für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) wird die Malaise zum Problem. Ex-Präsident Wolfgang Niersbach hatte im Frühjahr 2015 handstreichartig die Jones-Lösung aus dem Hut gezaubert, wobei die damals als DFB-Direktorin nicht rundherum glückliche Sympathieträgerin ein Jahr als Assistentin von Silvia Neid mitarbeitete, um von der erfolgreichsten Nationaltrainerin der Welt zu lernen. Obwohl unter Neids Regie 2016 noch erstmals Olympia-Gold heraussprang, entschied sich Jones in fast allen Fragen zur Neuausrichtung. Mit jüngerem Personal, einem offensiveren System, einem offeneren Umgang. Und deutlich mehr Mitsprache.

Heraus kam das erstmalige Scheitern im Viertelfinale bei einer Frauen-EM in diesem Sommer. Niersbach-Nachfolger Reinhard Grindel verlängerte Jones' Vertrag nach einer raschen Aufarbeitung bis 2019 mit Option bis 2020. Zum Unwillen Grindels hat die 44-Jährige indes noch nicht den geforderten zweiten Assistenztrainer eingestellt - und jetzt könnte es sein, dass sie die DFB-Frauen in eine Sackgasse steuert. "Wir müssen ein Brikett drauflegen", diagnostizierte Grindel aus der Ferne bei der Verleihung des Fußball-Kulturpreises.

Selbstverständnis einer Frauenfußball-Nation scheint verloren gegangen zu sein

Für die Besserung braucht es mehr. Bei allen Protagonisten. Dass die Trainerin zunächst allein die Schuld bei der Mannschaft ablud ("es ist sehr ärgerlich, wenn man als Trainerin feststellt, dass die Mannschaft nicht dagegenhält, obwohl sie gut vorbereitet wurde"), wirkte verstörend, weil die Chefin an der Linie mit einem Wechsel auf der Torwartposition selbst das erste Signal der Verunsicherung aussandte. "Der Torwartwechsel war nicht ausschlaggebend", sagte sie. Die beim isländischen Führungstor schwer patzende Laura Benkarth ("Ich muss energischer und mit beiden Händen hin") bekannte, dass sie von ihrer Nominierung selbst überrascht gewesen sei. Am Dienstag gegen die Färöer Inseln wird wieder Almuth Schult zwischen den Pfosten stehen - und gar nicht viel falsch machen können. In Großaspach erwartet die Bundestrainerin "eine dementsprechende Antwort und mehr". Doch schönt ein Torfestival gegen einen drittklassigen Gegner die grundsätzlichen Defizite?

Nach einer durchschnittlichen (beim 6:0 gegen Slowenien), einer dürftigen (beim 1:0 in Tschechien) und einer desolaten Vorstellung gegen Island in der WM-Qualifikation verfestigt sich der Eindruck, dass beim missratenen Turnierauftritt in den Niederlanden das Selbstverständnis einer führenden Frauenfußball-Nation gleich mit verloren gegangen ist.

"Wir stehen uns selber auf den Füßen", sagte Tabea Kemme, und die Ausführungen der Allrounderin von Turbine Potsdam ließen tief blicken. Die 25-Jährige vermittelte ein Bild von einer - durch zu komplexe Vorgaben - überfrachteten Mannschaft, die vergessen hat, dass "Fußball eigentlich ein banales Spiel" ist. Island hatte es doch mit seinen Basistugenden vorgemacht: rennen, kämpfen, kratzen und beißen. Dazu aus einer massierten Abwehr klug kontern.

Jones schlich mit gesenktem Kopf durch die Gänge des Wiesbadener Stadions. Möglicherweise war es noch ihr Glück, dass kein hochrangiger Verbandsvertreter den Offenbarungseid live erlebte, weil die Funktionäre keine 30 Kilometer Luftlinie weiter in der Otto-Fleck-Schneise im Frankfurter Stadtwald bei der Präsidiumssitzung gebunden waren, bei der unter anderem eine neue Organisationsstruktur verabschiedet wurde. Die Verantwortung für die Frauen-Nationalmannschaft liegt demnach bald bei Oliver Bierhoff. Meint es der neue Manager ernst mit seiner Aufgabe, könnte er die Arbeit der Bundestrainerin womöglich schon bald wieder auf den Prüfstand stellen. Denn wie gestand Jones selbst? "Die Ampel steht auf Rot!"

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